Christa Mischke: Die gute Stimme aus der Bibliothek der Hörmedien

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© diabetesDE/Jeske
Christa Mischke: Die gute Stimme aus der Bibliothek der Hörmedien

Jedes Jahr vergibt die gemeinnützige Gesundheitsorganisation diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe den “Thomas-Fuchsberger-Preis” an Personen, die sich in der Diabetes-Aufklärung und der Betroffenenhilfe engagieren. Zu den Geehrten im Jahr 2022 zählte Christa Mischke aus Selm, die regelmäßig das Diabetes-Journal für seh- und lesebehinderte Menschen vorliest. Wir haben mit ihr über ihre Motivation und ihr ehrenamtliches Engagement gesprochen.

DJ: Frau Mischke, Sie sind 2022 mit dem Thomas-Fuchsberger-Preis ausgezeichnet worden. Für welches Engagement haben Sie diesen erhalten?
Christa Mischke:
Ich lese seit November 2019 einmal im Monat in der Westdeutschen Bibliothek der Hörmedien (WBH) in Münster für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen das Diabetes-Journal vor. Die Produktion des Hörbuchs wäre damals eingestellt worden, wenn sich kein Freiwilliger gefunden hätte. Das Angebot richtet sich auch an Körperbehinderte, die kein Buch festhalten können, und an Analphabeten. Wenn eine entsprechende Bescheinigung vorliegt, können sie sich in der WBH Bücher und Zeitschriften ausleihen.

Foto: Christa Mischke

Solche Bibliotheken sind in der Öffentlichkeit leider viel zu wenig bekannt. Selbst Betroffene wissen häufig nicht, dass es solche Angebote gibt. Für mehr Öffentlichkeitsarbeit fehlen die finanziellen Mittel, weil die WBH auf Fördergelder, Zuwendungen und Spenden angewiesen ist. Die meisten Vorleser dort sind Profis und werden bezahlt. Ich mache das ehrenamtlich.

DJ: Wie sind Sie eigentlich zum Vorlesen gekommen?
Christa Mischke:
Gelesen habe ich eigentlich immer schon gerne. Neulich fand ich beim Aufräumen mein Grundschulzeugnis. Da steht bei Lesen schon “sehr gut”. Ich hatte eine Weile eine Fernbeziehung zu einem Mann in Hamburg, und damals habe ich ihm abends am Telefon ganze Bücher vorgelesen. Die Stadt Selm, in der ich wohne, ist 2015 Lesehauptstadt Deutschlands geworden. In diesem Zusammenhang hatte ich dort etwa 100 Vorlesetermine. Irgendwie gehört das Vorlesen schon immer zu meinem Leben. Als ich in den Ruhestand ging, habe ich mich zur ehrenamtlichen Mitarbeit bei der Hörzeitung “Pressegeflüster” in Lünen gemeldet. Diese gibt es inzwischen nicht mehr, aber die Mitarbeiter haben mich letztlich an die WBH in Münster verwiesen. Der dortige Geschäftsführer, Werner Kahle, hat mir dann nach einer Leseprobe die Chance gegeben, das Diabetes-Journal zu lesen. Das hat mich unglaublich gefreut, weil es genau das ist, was ich gerne mache.

DJ: Vieles kann man sich heute automatisch im Internet vorlesen lassen. Trotzdem werden noch Vorleserinnen und Vorleser gebraucht. Warum ist das so?
Christa Mischke:
Es ist immer noch ein großer Unterschied, ob eine Computerstimme ohne Betonung und ohne Gefühl etwas vorliest oder ob wirklich ein Mensch persönlich spricht. Ein menschlicher Vorleser kann ganz anders Spannung aufbauen und mit der Stimme agieren. Computer sind aber sicherlich ein gutes Hilfsmittel, wenn es keinen menschlichen Vorleser gibt – das ist häufig auch eine Kostenfrage. Es ist übrigens gar nicht so einfach, ein solches Ehrenamt auszuüben. Ich habe gelegentlich schon angeboten, freiwillig und kostenlos etwas für Menschen mit Seh- oder Lesebehinderung einzulesen, zum Beispiel die Homepages von Museen. Oft heißt es dann aber, die Versicherungsfrage sei nicht geklärt oder man sei verpflichtet, die Leistung zu bezahlen und könne sich das nicht leisten. Ich finde das sehr traurig, da ich mich gerne noch viel mehr engagieren würde.

DJ: Was macht das Vorlesen im Studio aus? Gibt es dort irgendwelche Besonderheiten?
Christa Mischke:
Im Studio ist natürlich eine professionellere Technik vorhanden. Man arbeitet dort sehr konzentriert. Bei einer Lesung mit Publikum muss man hingegen auch ein bisschen moderieren und den Leuten ein paar ergänzende Erläuterungen geben. Das ist im Studio nicht der Fall. Dort sind die Möglichkeiten, frei etwas zu ergänzen, sehr eingeschränkt. Der Text wird im Anschluss an das Vorlesen noch einmal kontrolliert, um Fehler oder Lücken zu finden. Danach muss das Ganze technisch bearbeitet werden. Das Hörbuch wird dann entweder auf CD gebrannt oder zum Download angeboten. Anschließend gehen die CDs in die Versandabteilung. Das Team, das an der Produktion beteiligt ist, umfasst insgesamt fast 20 Leute.

DJ: Hatten Sie vor diesem Engagement schon irgendeinen Bezug zum Thema Diabetes?
Christa Mischke:
Nein, aber ich habe mich, denke ich, relativ schnell auf die Texte eingestellt. Mein Hausarzt, der auch Diabetologe ist, hat mir anfangs bei dem einen oder anderen medizinischen Begriff geholfen. Bei Fremdsprachen ist das manchmal ein bisschen schwierig, aber vieles kann ich auch selbst im Internet recherchieren. Ich bemühe mich dann, die Begriffe korrekt nachzusprechen. Bislang gab es noch keine Beschwerden.

DJ: Wie viel Zeit nimmt das Einlesen des Diabetes-Journals üblicherweise in Anspruch?
Christa Mischke:
Ich fahre zwei Tage pro Monat nach Münster, um es einzulesen. Pro Tag arbeite ich dann ungefähr 4 bis 5 Stunden. Für ein Diabetes-Journal brauche ich etwa 8 bis 9 Stunden brutto. Dazu zählen auch die Vorbereitung des Leseplatzes, das Anlegen des Inhaltsverzeichnisses und die Pausen. Aufgezeichnet werden etwa 4,5 bis 5 Stunden.

DJ: Wie gehen Sie mit Fotos, Grafiken und Tabellen um?
Christa Mischke:
Das Beschreiben von Fotos habe ich mir mit Hilfe des Blindenverbands in Berlin angeeignet. Ich schildere immer zunächst den Gesamteindruck – ob zum Beispiel eine Gruppe von Menschen zu sehen ist oder eine Einzelperson oder Kinder. Dann beschreibe ich Details. Ich frage mich: Was machen die Personen? Gibt es irgendwelche technischen Geräte zu sehen? Auch die Räumlichkeit, die Farben und die Emotionen beschreibe ich dann. Tabellen und Statistiken sind nicht so ganz einfach. Darüber muss ich mir vorab immer ein paar Gedanken machen. Die Überschriften der Spalten und Zeilen müssen teilweise mehrfach wiederholt werden, damit der Inhalt verständlich ist.

DJ: Welche Texte machen Ihnen besonders viel Spaß?
Christa Mischke:
Besonders gerne lese ich persönliche Geschichten von Diabetikern – zum Beispiel Reiseberichte, in denen erläutert wird, wie die Menschen mit besonderen Situationen umgehen. Es ist mir bei persönlichen Schicksalen schon passiert, dass ich das Lesen abbrechen musste, weil mir die Tränen in die Augen geschossen sind. Dann musste ich mich erst einmal sammeln und nochmal neu beginnen. Wenn alles gut ausgeht, dann ist es natürlich am schönsten.

DJ: Gibt es ein Thema, dass Sie sich einmal im Diabetes-Journal wünschen würden?
Christa Mischke:
Die schönste Nachricht wäre, wenn Diabetes geheilt werden könnte. Das wäre ein wunderbares Thema. Ich glaube zwar leider nicht, dass es in absehbarer Zeit möglich sein wird, aber die medizinische Entwicklung geht natürlich immer weiter.

DJ: Haben Sie schon Pläne, wie lange Sie Ihr Ehrenamt ausüben möchten?
Christa Mischke:
Das ist noch völlig offen. Zum einen macht es mir unheimlich viel Spaß. Zum anderen sind mir auch die sozialen Kontakte sehr wichtig, deshalb fahre ich so gerne ins Studio. Man hätte mir die Technik grundsätzlich auch zu Hause einrichten können. Solange es meine Gesundheit mitmacht und ich Auto fahren kann, mache ich das auf jeden Fall gerne. Es ist ja eine Tätigkeit, die man glücklicherweise ausüben kann, solange man selbst sehen und sprechen kann.

DJ: Wir danken Ihnen für das Gespräch!


Interview: Thorsten Ferdinand

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (2) Seite 38-40

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  • cesta postete ein Update vor 1 Tag, 20 Stunden

    Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa

    • kw antwortete vor 26 Minuten

      Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
      Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.

      LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c

  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid

    • @sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
      Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻‍♀️

    • @sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

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