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„Die Höhen und Tiefen im Leben mit Typ-1-Diabetes – Erzähl’ deine Geschichte“: Unter diesem Motto hat Mirjam Eiswirth Gespräche zwischen 16 Typ-1-Diabetiker:innen in Schottland aufgenommen und sie gemeinsam mit einem Künstler porträtiert.
Im Diabetes-Journal und auf diabetes-online.de sind weitere Beiträge zu diesem Projekt erschienen:
„Ihr könnt damit bestimmt gut umgehen“, sagten alle, als bei Angelas und Stefans Sohn Andy im Alter von zwei Jahren Diabetes diagnostiziert wurde. Angela, heute Ende 30, ist gelernte Krankenschwester und arbeitet mittlerweile in der Forschung, ihr Mann ist Arzt. Die Diagnose hat sie selbst gestellt. Angela erzählt: „Andys Windeln waren ständig nass und er war immer durstig, müde, rastlos. Als er eines Tages bei einem Geburtstag allen anderen Kindern die Becher leer getrunken hat, habe ich meinen Mann gebeten, einen Test für Zucker im Urin mitzubringen.“ Der war positiv, sie fuhren gleich ins Krankenhaus.
„Wir waren nur drei Tage auf der Station und haben kaum Informationen oder Hilfe bekommen. Vielleicht dachte das Team ja, wir wüssten schon alles, weil wir vom Fach sind, aber das war nicht so. Ich hatte zwar schon mal von Diabetes gehört, wusste, dass unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) zu tief ist, hatte schon mal Blutzucker gemessen und gespritzt. Aber ich hatte keine Ahnung, was das eigentlich bedeutet. Wie es sich anfühlt, unterzuckert zu sein. Was der Unterschied zwischen Typ 1 und 2 ist. Wie fordernd Diabetes sein kann. Es war schrecklich zu sehen, wie schlecht es Andy ging und wie ihm die Spritzen zu schaffen machten. Ich würde ihm das alles so gerne abnehmen.“
Die Ersteinstellung erfolgte noch auf ein fixes Spritz-Ess-Schema mit drei fest vorgeschriebenen Mahlzeiten pro Tag. Doch das war mit einem 2-Jährigen kaum umzusetzen, sagt Angela: „Andy war die ganze Zeit hungrig. Also habe ich ihm kaum Kohlenhydrate gegeben, sondern viel Gemüse, Käse, Eier, Nüsse … Trotzdem war sein Zucker ständig zu hoch, er war meist müde und lethargisch und vor allem sehr viel krank. Ziemlich bald nach der Diagnose musste er noch mal wegen einer Mandelentzündung ins Krankenhaus.“
Sie erzählt weiter: „Einige Monate danach sind wir freitags abends zu einer Hochzeit gefahren, und auf der Anreise sind Andys Augen wegen einer Entzündung so schlimm zugeschwollen, dass wir umdrehen und ihn schon wieder ins Krankenhaus bringen mussten. Dort hat er ein Antibiotikum bekommen. Aber die Diabetologie hat das nie interessiert, die haben uns einfach irgendwie machen lassen.
Irgendwann hat uns eine der Ernährungsberaterinnen endlich in eine Spezialsprechstunde weitergeleitet, und wir haben gelernt, mit der intensivierten konventionellen Therapie zu arbeiten: also das Insulin an die Mahlzeiten und den Blutzucker anzupassen. Danach wurde alles deutlich besser.“
Für das erste Jahr nach der Diagnose ließ Angela sich beurlauben, um alles über Diabetes zu lernen. Damals, so erzählt sie, sagten alle zu ihr, das Leben würde ganz schnell wieder normal werden. Aber: „Nichts ist normal, und das wird es auch nie wieder. Diabetes ist jetzt immer da, wir müssen es immer mitdenken.“
Der Austausch mit anderen Eltern von Kindern mit Diabetes war und ist für Angela in diesem Prozess sehr hilfreich, denn: „Es tut einfach gut, mit Menschen in der gleichen Lage zu sprechen, die dich verstehen. Und oft kann man von den Erfahrungen anderer viel lernen – klar muss man filtern, nicht alles passt für jeden. Aber grundsätzlich wollen wir ja alle das Beste für unsere Kinder.“
Mittlerweile arbeitet Angela wieder, aber in Teilzeit und im Labor statt in Vollzeit auf Station. Denn sie muss ihren Sohn zur Schule bringen und abholen und ist auch sonst stark involviert, da die Betreuung im Schulalltag in den letzten Jahren schlecht geklappt hat. Andy hat nun eine mit einem Sensor gekoppelte Insulinpumpe mit Hypoglykämie-Abschaltung. Den Alltag in der Klasse bewältigt er mit der Hilfe einer Integrationsassistentin, weil er zusätzlich zum Diabetes auch Lernschwierigkeiten hat. Doch sowohl diese Betreuung als auch die technische Versorgung mit Pumpe und Sensor musste die Familie bei Ämtern und Schule hart erkämpfen, erzählt Angela.
Besondere Sorge bereitet ihr, dass Andy in den nächsten Jahren zunehmend selbst Verantwortung für sein Diabetes-Management übernehmen muss. Angela weiß, wie belastend es sein kann, ständig so viel im Blick zu behalten, immer vorauszudenken und zu planen.
Sie sorgt sich um mögliche Folgeerkrankungen des Diabetes, aber vor allem auch darum, wie es für ihren Sohn werden wird, ein Leben lang den Alltag mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes mellitus zu meistern: „Im Moment kümmere ich mich noch um alles, und ich will ihm eigentlich nichts davon aufbürden, vor allem will ich ihn nicht überfordern. Die Pubertät und das Erwachsenwerden sind so schon schwierig genug. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das zusammen mit Diabetes sein wird.“
Eines will sie ihrem Sohn auf jeden Fall auf den Weg mitgeben: „Diabetes ist eine große Herausforderung, denn unser Körper ist sehr komplex. Wir können nur jeden Tag immer wieder unser Bestes geben. Manche Tage werden trotzdem nicht gut laufen. Dann ist es wichtig, dass wir gut zu uns sind, Pausen machen, wenn wir sie brauchen, uns einfach mal mit einem Tee unter einer dicken Decke auf dem Sofa einkuscheln, unseren Frust rauslassen, wenn wir wütend sind. Und dann wieder aufstehen, weitermachen und wieder unser Bestes geben. Mehr kann niemand verlangen, auch wir selbst nicht.“
von Mirjam Eiswirth
E-Mail: mirjam.eiswirth@gmail.com
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (9) Seite 42-43
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