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Redaktionsmitglied Dr. Martin Lederle ist Diabetologe in der Diabetespraxis Ahaus. Im Interview beantwortet er Fragen rund um diabetesspezifische Zwischenfälle im Ausland, um Insulinlagerung sowie allgemein um Besonderheiten hinsichtlich des Stoffwechsels in anderen Ländern.
Dr. Martin Lederle: Der Diabetes mellitus ist eine chronische Erkrankung und somit ein Handicap für den betroffenen Menschen, das seine Lebensführung beeinflusst. Meiner Ansicht nach kann der Diabetes mellitus aber so gemanagt werden, dass eine Person mit dieser Erkrankung die gleichen Reiseziele ansteuern kann wie ein Mensch ohne Diabetes. Entscheidend wichtig für mich ist eine sorgfältige und gründliche Vorbereitung.
Lederle: Ich denke, dass eine spezielle Beratung durch einen Reisemediziner sinnvoll ist, wenn Ziele in den Blick genommen werden, an denen der Reisende auf ungewöhnliche klimatische Bedingungen treffen wird wie Hitze, Kälte, Höhenlage – oder ungewöhnliche medizinische bzw. hygienische Bedingungen. Dann ist eine gute Vorbereitung unerlässlich, und dafür sollte man das Wissen und die Erfahrung eines Experten in Anspruch nehmen. Das dafür erforderliche Honorar ist meiner Ansicht nach gut angelegt.
Lederle: Eine Möglichkeit wäre, sich vor der Reise bei der Botschaft des entsprechenden Landes zu erkundigen, ob es eine regionale Selbsthilfeorganisation gibt, an die man sich bei Bedarf wenden kann. Informationen finden sich auch auf der Internetseite der International Diabetes Federation ( http://www.idf.org
). Überhaupt wird man im Internet verschiedene Blogs oder Erfahrungsberichte finden; z. B. auf der Seite der Blood Sugar Lounge ( http://www.blood-sugar-lounge.de
) gibt es eine Rubrik “Unterwegs”, die man sich ansehen kann.
Dr. Lederle: Da würde ich mich vorab bei der Botschaft des Reiselandes erkundigen. Nachfragen kann man sicherlich auch bei seiner Krankenversicherung, die wohl nützliche Informationen hat.
Lederle: Ja, solche Ausweise sind verfügbar. In der Regel haben Diabeteseinrichtungen in Deutschland solche Formulare vorrätig. Natürlich findet sich ein solcher Ausweis in verschiedenen Sprachen auch im Internet. Informieren kann man sich auch bei diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe ( http://www.diabetesde.org
) oder auf www.kirchheim-shop.de.
Lederle: Dies muss gut geplant werden. Der Bedarf der Utensilien sollte für die Dauer der Reise berechnet werden. Von den unbedingt notwendigen Dingen wie Insulin, anderen Diabetesmedikamenten und Blutglukoseteststreifen sollten dann etwa 50 bis 100 Prozent mehr mitgenommen werden, um wirklich auf der sicheren Seite zu sein.
Lederle: Wir betreuen in der Diabetespraxis Ahaus viele Patienten, die schon zu sehr ungewöhnlichen Reisezielen unterwegs waren. Wenn die Personen eine entsprechende Bescheinigung in den gängigen Sprachen mitgeführt haben, dann hat es meines Wissens noch nie Probleme gegeben. Vielleicht hat ein Leser des Diabetes-Journals eine entsprechende negative Erfahrung gemacht und kann darüber berichten, wie er/sie diese Situation gemeistert hat?
Lederle: Vorausgesetzt, es besteht eine ausgeglichene Stoffwechsellage und es liegt keine andere akute Erkrankung vor, dann können Menschen mit Diabetes genauso behandelt werden wie andere Menschen.
Lederle: Wenn eine Impfung durchgeführt wird, dann sollte in dieser Phase der Stoffwechsel noch engmaschiger kontrolliert werden. Falls keine stärkeren Blutglukoseschwankungen auftreten, können die Impfungen im üblichen Zeitfenster durchgeführt werden.
Lederle: Das ist eine gute Frage. Ich denke, wenn die Fingerspitzen mit sauberem Wasser (möglicherweise muss dafür auch Trinkwasser verwendet werden) gesäubert werden, dann dürfte es bei der Blutglukosemessung keine Probleme geben. (Hat jemand andere Erfahrungen? Dann schreiben Sie mir!)
Lederle: Ich bin kein Tropenmediziner und kenne mich daher mit der Behandlung von Malaria wenig aus. Wenn Fieber auftritt, dann wird in der Regel der Insulinbedarf ansteigen. Das bedeutet, dass bei jeder Erkrankung, die mit Fieber einhergeht, sehr engmaschige Blutglukosekontrollen durchgeführt werden müssen, um eine Stoffwechselentgleisung vermeiden zu können.
Lederle: Dies kann zu einer akuten Stoffwechselentgleisung führen; insbesondere bei Menschen mit einem Typ-1-Diabetes kann dies innerhalb von Stunden auftreten. Somit müssen die Blutglukosekontrollen engmaschig und konsequent durchgeführt werden. Auch ohne ausreichende Nahrungszufuhr kann in einer solchen Situation der Blutglukosewert ansteigen. Wichtig ist dann vor allem eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Wenn Flüssigkeit selbst nicht mehr zugeführt werden kann, zum Beipiel durch ständiges Erbrechen, dann muss sich der Betroffene unbedingt in ärztliche Behandlung begeben; denn dann muss die lebensnotwendige Flüssigkeit als Infusion zugeführt werden.
Lederle: Die zeitliche Durchführung der Therapie muss dann auf die Zeitzone am Reiseort umgestellt werden. Eine Insulintherapie muss dann auf die geänderten Zeiten der Nahrungszufuhr angepasst werden. Dafür müssen in der Regel bei der Anreise bzw. bei der Heimreise Insulingaben zusätzlich gegeben oder weggelassen werden. Dies macht eine sorgfältige Planung erforderlich.
Dr. Lederle: Insulin ist ein biologisch aktives Eiweiß, das nicht gefrieren und auch nicht zu heiß (über 40 °C) werden darf. Falls dies passieren sollte, wird das Insulin seine Wirksamkeit teilweise oder sogar vollständig verlieren.
Lederle: Klimatische Bedingungen können Stressfaktoren sein, die sich somit auf den Blutglukosestoffwechsel auswirken können. Wenn Insulin in ein Hautareal gespritzt wird, das relativ kühl ist, dann wird das Insulin langsamer ins Blut übergehen. Somit wird die Insulinwirkung verspätet einsetzen.
Lederle: Es muss eingeplant werden, dass der worst case auftreten könnte: Die Insulinpumpe gibt ihren Geist auf – warum auch immer. Dann muss natürlich die Insulintherapie weitergeführt werden. Insulin kann immer mit einer Einmalspritze zugeführt werden. Das Pumpeninsulin kann verwendet werden, um den Insulinbedarf zu den Mahlzeiten abzudecken. Schwieriger wird natürlich, bei Ausfall der Pumpe den Insulingrundbedarf abzudecken.
Dies würde im schlimmsten Fall auch mit dem Pumpeninsulin gehen, es müsste dann auch nachts alle 3 bis 4 Stunden (kurzwirksames Insulinanalogon) bzw. alle 4 bis 5 Stunden (Normalinsulin) gespritzt werden. Dies wäre ziemlich lästig. Dafür ist es sinnvoll, wenn für diesen größten anzunehmenden Unfall zur Sicherheit ein Verzögerungsinsulin im Einmalpen mitgenommen wird.
Es kann natürlich auch sein, dass das Messgerät aus irgendeinem Grund nicht mehr funktionieren will. Für eine solche Situation gibt es Teststreifen, die durch eine Farbveränderung den Glukosewert anzeigen (z. B. Betachek) und mit etwas Übung auch zur sicheren Blutglukosebestimmung genutzt werden können. Damit können dann auch im australischen Outback die notwendigen Stoffwechselkontrollen durchgeführt werden.
Siehe dazu auch den Beitrag Andere Länder… andere Risiken
Die Fragen hat Nicole Finkenauer-Ganz gestellt.
Dr. Martin Lederle ist Arzt für Innere Medizin, Diabetologie, und führt eine Diabetespraxis in Ahaus, Wüllener Straße 101, 48683 Ahaus, E-Mail: lederle@mvz-ahaus-vreden.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (3) Seite 28-31
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