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Lyn Künstner aus Dresden ist 31 Jahre alt und hat seit 2010 Typ-1-Diabetes. Mittlerweile arbeitet sie als Model und Influencerin. Mehr als 140.000 Menschen folgen ihr im Internet auf Instagram. Wie sie das oft aufregende Jetlag-Leben meistert und wie es dazu kam, dass auch Insulinpumpe und CGM-Sensor immer wieder auf ihren Fotos zu sehen sind, berichtet sie im Interview mit dem Diabetes-Journal.
Diabetes-Journal: Liebe Lyn Künstner, sind Sie trotz oder wegen Diabetes Influencerin geworden?
Lyn Künstner: Das kann ich ganz klar beantworten: Nicht deswegen! Es war eigentlich gar nicht geplant, dass ich die Erkrankung bekannt gebe. Das ist einfach entstanden, weil mir immer wieder Leute sehr persönliche Dinge geschrieben haben. Ich dachte mir, vielleicht sollte ich auch irgendetwas Persönliches von mir bekannt geben, weil die meisten ja denken, mein Leben sei perfekt. Dann habe ich gesagt: Hey Leute, auch wenn auf meinen Bildern alles immer toll aussieht, ist nicht immer alles perfekt! Ich habe Typ-1-Diabetes.
DJ: Können Sie kurz erzählen, wie es zu der Diagnose kam?
Künstner: Ich war damals gerade 18 Jahre alt geworden und im ersten Lehrjahr. Von 2009 auf 2010, so über den Jahreswechsel, hatte ich eine ziemlich schwere Grippe, die sich etwa zwei Wochen hinzog. Ungefähr Anfang Februar habe ich gemerkt, dass es mir immer noch nicht richtig gut ging. Die Grippe war zwar weg, aber ich war abgeschlagen, immer müde und habe mich überhaupt nicht fit gefühlt. Irgendwann kamen dann die typischen Symptome hinzu, dieser permanente Durst zum Beispiel. Das Schlimmste war das ständige Wasserlassen und dadurch dann auch der fehlende Schlaf. Ein prägendes Erlebnis war, als meine Zahnpasta beim Zähneputzen überhaupt nicht mehr schäumte, weil mein Mund so trocken war. Ich hatte einfach viel zu wenig Körperflüssigkeit. Irgendwann hat dann meine Mama zu mir gesagt, dass ich mal zum Arzt gehen soll. Der hat sich das gar nicht lange angehört, sondern direkt ein Messgerät geholt und mir in den Finger gestochen. Ja, und dann war die Katze aus dem Sack!
DJ: Wissen Sie noch, wie hoch der Wert war?
Künstner: Ja, 26 mmol/l (468 mg/dl; Anmerkung der Redaktion). Es wurde aber trotzdem alles ambulant gemacht. Mein Arzt hat gesagt: “Wenn du allein wohnen würdest, hätte ich dich jetzt ins Krankenhaus geschickt, aber da du in einer WG wohnst, schicke ich dich jetzt erstmal nach Hause und du trinkst bis morgen einfach ganz viel Wasser.” Am nächsten Tag hatte ich gleich einen Termin bei einer Diabetologin, und dann ging es direkt los mit der Insulintherapie. Mein Arzt meinte, wenn ich nicht gekommen wäre, wäre das höchstens noch ein oder zwei Wochen gut gegangen. Mittlerweile habe ich eine Insulinpumpe, weil ich allergische Reaktionen an den Einspritzstellen hatte. Die waren immer stark angeschwollen. Mit der Pumpe hat es zum Glück besser funktioniert.
DJ: Welche Botschaft an Menschen mit Diabetes ist Ihnen besonders wichtig?
Künstner: Vor Kurzem habe ich auf Facebook wieder Beiträge von einer Frau gelesen, die seit ungefähr 15 Jahren Typ-1-Diabetes hat und immer noch sehr verzweifelt ist. Sie hatte Angst, dass ihr Partner sie deswegen irgendwann verlässt oder dass sie selbst einfach nicht mehr klarkommt. Für mich ist immer noch das Wichtigste, den Leuten zu zeigen, dass man trotz Typ-1-Diabetes das Leben in vollen Zügen genießen und wirklich alles erreichen kann, was man möchte. Ich finde außerdem, dass es wirklich guttut, darüber zu reden. Das ist viel besser, als sich irgendwo einzuigeln. Über das Thema Diabetes müsste in der Gesellschaft noch viel mehr gesprochen werden.
DJ: Kommt es schon mal vor, dass Follower Fragen zum Thema Diabetes stellen?
Künstner: Ja, ich freue mich, wenn meine Follower neugierig sind und mehr zum Thema Diabetes wissen wollen. Ich erzähle auch gern von meinen Erfahrungen, aber medizinische Ratschläge kann ich nicht geben. Da sollte jeder den Arzt seines Vertrauens fragen und auf seinen eigenen Körper hören, da nun mal jeder Körper anders reagiert.
DJ: Als Influencerin ist man ja auch viel unterwegs. Schränkt Sie der Diabetes auf Reisen irgendwie ein?
Künstner: Klar, er ist ein täglicher Begleiter. Mit der Zeitverschiebung bei langen Flügen ist das natürlich manchmal nicht so einfach. Schon ohne Diabetes bemerkt man ja, dass man einen Jetlag hat und dann mit Müdigkeit und Stress kämpft. In solchen Fällen fahren auch die Zuckerwerte schon mal Karussell. Auch das Wetter in anderen Ländern wirkt sich manchmal aus. Dann brauche ich schon ein oder zwei Tage, um mich an das Klima zu gewöhnen. Wichtig ist natürlich, das Insulin gut gekühlt aufzubewahren und immer eine Reserve mitzunehmen, denn in anderen Ländern kann es recht kompliziert oder teuer werden, Ersatz zu beschaffen. In den USA zum Beispiel ist das fast unbezahlbar. Letztes Jahr auf Zakynthos hatte ich mir kurz vor dem Flug einen neuen Sensor gesetzt, und plötzlich bekam ich eine Fehlermeldung. Ich hatte noch einen Reservesensor eingepackt. Wir waren nur eine Woche dort, also hätte das normalerweise locker gereicht. Aber dann hat der Ersatzsensor nach zwei Stunden auch nicht mehr funktioniert. Da war ich froh, dass ich mein altes Messgerät und genügend Teststreifen dabeihatte, auch wenn es natürlich nervig und ungewohnt war, wieder blutig zu messen.
DJ: Wie klappt es bei der Zeitverschiebung mit der Insulinanpassung?
Künstner: Ich reduziere meistens an der Pumpe ein wenig die Basalrate. Vor allem bei Nachtflügen bin ich sehr vorsichtig und korrigiere lieber, wenn die Werte steigen. Vor Ort taste ich mich dann langsam heran, damit sich der Körper erstmal an die Zeitverschiebung gewöhnen kann. Wenn die Werte anfangs etwas höher sind, ist das halt so! Die Zeit muss man dem Körper einfach geben. Es gibt bei Diabetes eben Phasen, in denen der Basalbedarf schwankt. Gerade als Frau kennt man das.
DJ: Im Ausland kommen dann auch noch ungewohnte Speisen hinzu. Hatten Sie damit schon mal Probleme?
Künstner: Ja, ich war mal zwei Wochen in Florida, und die Amerikaner ernähren sich wirklich sehr zuckerhaltig. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ich trotz Typ-1-Diabetes alles essen kann, aber natürlich in Maßen. Ich probiere gern auch etwas Neues aus. In den USA musste ich allerdings ziemlich oft korrigieren – da bin ich ehrlich. Ich bin in solchen Fällen meistens sehr vorsichtig und will keine Unterzuckerung riskieren. Wenn man gerade im Urlaub irgendwo unterwegs ist und etwas unternehmen will, ist eine Unterzuckerung natürlich mega-nervig.
DJ: Sie sind außerdem auch Tattoo-Model. Früher wurde Menschen mit Diabetes von Tätowierungen eher abgeraten, weil es hieß, es könnte Probleme mit der Wundheilung geben. Haben Sie solche Erfahrungen gemacht?
Künstner: Ich hatte zum Glück nie Wundheilungsstörungen. Selbst als ich mit Anfang 20 mal eine Phase hatte, in der mir meine Blutzuckerwerte ziemlich egal waren, hatte ich bei neuen Tattoos keine Probleme. Normalerweise bin ich aber schon darauf bedacht, gute Werte zu haben, wenn ich mir ein frisches Tattoo stechen lasse, damit solche Probleme nicht vorkommen und alles ordentlich abheilt. Während des Tätowierens habe ich aber lieber einen etwas höheren Wert, denn ich neige dazu, beim Stechen eines Tattoos in den Unterzucker abzurutschen.
DJ: Haben Sie auch eine Tätowierung mit Diabetes-Bezug?
Künstner: Ja, mein erstes Tattoo, auf meinem Rücken, war direkt auf Diabetes bezogen. Es ist ein Korsett mit dem englischen Schriftzug “Liebe deinen Feind”. In dem Falle betrachte ich den Typ-1-Diabetes als meinen Feind, auch wenn es ein bisschen hart klingt. Es bedeutet: Wenn du deinen Feind nicht liebst, kannst du auch nicht mit ihm zusammenleben beziehungsweise ihn akzeptieren. Am Oberschenkel habe ich noch ein zweites Tattoo mit Diabetes-Bezug. Das ist ein großer Baum, unter dem ein kleines Mädchen steht, das einen Schirm schützend über sich hält. Das bin ich. Im Baum hängt eine Uhr mit drei Zeigern, die den 8. März 2010 anzeigt, also den Tag meiner Diagnose.
DJ: Abschließend würde ich gern noch wissen, was Sie sich für die Zukunft wünschen?
Künstner: Beruflich wünsche ich mir natürlich, dass es so aufregend bleibt, wie es aktuell ist, und dass Corona nie wiederkommt. Beim Thema Diabetes wünsche ich mir, dass die Forschung weiter Fortschritte macht, und vor allen Dingen, dass auch die medizinische Versorgung besser wird. Ich glaube, da ist noch viel Luft nach oben! Man hört so oft, dass die Krankenkassen irgendwelche Dinge nicht genehmigen. Dabei finde ich, dass jeder Mensch mit Diabetes selbst entscheiden sollte, womit er am besten klarkommt. Für manche ist das eine Pumpe, für andere ist ein Pen besser. Ich finde es sehr wichtig, dass man sich selbst mit der Behandlung wohlfühlt.
DJ: Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Interview: Thorsten Ferdinand
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (5) Seite 42-45
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