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Dein grausames Outfit stimmt, alle Freunde sind da, die Halloween-Party ist gut …und dann meldet sich Melli, unerbittlich. So geschehen bei Nina, im neusten Teil der Diabetes-Kurzgeschichten-Reihe von Lena Schuster.
Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt. Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein. Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de |
Freudestrahlend schaue ich in den Spiegel. Ein breites Grinsen im Gesicht: Seit Wochen freue ich mich auf den Abend, denn heute ist Halloween – mein absolutes Lieblingsfest im Jahr! Ich habe mir extra ein Kleid gekauft. Es ist ein schwarzes, enges Vampir-Kostüm mit Spinnennetzen darauf. Die hochgesteckten, zerzausten Haare und der schwarze Lippenstift machen das Outfit perfekt. Ich bin bereit, losgeht‘s!
Den ganzen Tag rannte ich nervös durch die Wohnung, bereitete alles vor. Schließlich kommen meine Freunde, die genauso verrückt nach Halloween sind wie ich – die jährliche Feier bei mir hat sogar schon Tradition! Ein letztes Mal gehe ich durch die Wohnung und überprüfe, ob nicht doch noch etwas fehlt: Das Büfett ist aufgebaut, die Musikboxen sind angeschlossen und die Getränke sind gekühlt. Melli steht hinter mir und beobachtet mich.
Und da klingelt es auch schon. Ich reiße begeistert die Wohnungstür auf. Lachend fällt mir Sophie um den Hals und sagt: “Mensch, Nina, mit so einem Kostüm möchte man dir auch nicht nachts begegnen!” Und schon stehen auch Clara mit ihrem Freund David, Corinna, Jessica, Fabian und Jonas in der Tür.
Die Musik dröhnt aus den Boxen, und alle fallen über das Büfett her. Die Meute tummelt sich in meiner kleinen, gemütlichen Küche. Es gibt Kürbiskuchen und Rotweinkuchen bis hin zu Guacamole und wahrhaftig vieles mehr. Corinna hat sogar Himbeerlikör selbst gemacht. Ich lasse meinen Blick schweifen und versinke ein wenig in Gedanken: Überall um mich herum sind strahlende Gesichter, und ich freue mich gerade einfach, dass ich so tolle Freunde habe.
Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“
Plötzlich dröhnt eine Stimme zu mir durch. Es ist Jessica, die mich vom Wohnzimmer aus ruft: “Hey Nina, wir spielen ein Spiel. Willst du mitmachen?” Lachend gehe ich in ihre Richtung und antworte: “Klar! Was wollt ihr denn spielen?” Gespannt lasse ich mich aufs Sofa fallen.
Beim Gehen schwanke ich etwas, doch ich beachte es nicht weiter. Während mir David das Spiel erklärt, merke ich plötzlich, wie sich Melli neben mich stellt. Ich drehe mich zu ihm um und frage ihn, ob auch er das neue Spiel ausprobieren will. Begeistert schaue ich ihn an: “Melli, lass uns doch zusammen spielen. Wir zu zweit gegen Jessica und David! Das wird lustig!”
Doch Melli ist wenig begeistert von meiner Idee. Ernst schaut er mir direkt in die Augen. “Nina, du musst was essen!” Ich erwidere mit einem Zwinkern: “Ach Quatsch. Ich habe mir doch gerade erst den Bauch vollgehauen in der Küche. Da geht nichts mehr rein, glaub mir!” Doch er lässt nicht locker. Er will jetzt nicht etwa mit mir diskutieren, oder? Nicht sein Ernst!
Wut steigt in mir hoch: Wieso nervt er mich immer in genau den Situationen, in denen ich Spaß habe? Warum muss er mir immer alles kaputt machen? Aufgebracht fauche ich ihn an: “Jetzt lass mich endlich in Ruhe! Entweder du spielst mit oder du lässt es bleiben. Aber hör verdammt noch mal auf, mir den Spaß zu verderben!” Ich will weiter auf ihn einreden, doch von der einen Sekunde auf die andere bekomme ich Sehstörungen. Um mich herum verschwimmt alles. Was ist plötzlich los mit mir?
Panik steigt in mir auf. Jessica redet besorgt auf mich ein, doch ich nehme ihre Stimme kaum wahr. Zucker! Ich brauche Zucker! Aber woher bloß? In meiner Hosentasche! Da hatte ich doch einen Traubenzucker. Doch in welcher? Grobmotorisch greife ich zur rechten. Nichts. Die linke ist auch leer. Ich werde immer nervöser. Die Welt um mich herum scheint immer weiter weg.
Mit einem Mal steht Melli vor mir und schiebt mir einen Traubenzucker in den Mund. Automatisch fange ich an zu kauen und runterzuschlucken – meine Rettung. Von Minute zu Minute wird es wieder klarer um mich herum. Corinna drückt mich fest und murmelt: “Ich bin so froh, dass es dir wieder besser geht. Du warst bleich wie eine Leiche.” Und lächelnd sagt sie: “Hat ja schon ganz gut gepasst zu deinem Outfit, aber ich finde es trotzdem schöner, dich lebend zu sehen!”
Wer Diabetes hat, kennt Unterzuckerungen: Mal unterzuckern wir auf dem Weg zur Arbeit, beim Sport oder wie Nina auf einer Party; von jetzt auf gleich braucht der Körper Zucker. Da Nina gerade Spaß mit Freunden hat, versucht sie, Melli zu ignorieren: Wer wird schon gern bei etwas Schönem gestört? Es ist anstrengend, dass der Diabetes oft plötzlich Aufmerksamkeit fordert. Allerdings braucht unser Körper den Verstand: So darf der Kopf nicht gegen den Körper arbeiten, denn nur wenn Kopf und Körper zusammenarbeiten, sind wir ausgeglichen und stark.
von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (10) Seite 32-33
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