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Werner Beck, Abenteurer und Buch-Autor, ist seit 33 Jahren Diabetiker und Pumpenträger. Mit seiner Frau hat er etwa 100 Länder bereist – in diesem Beitrag berichtet er von ihrer Tour durch Afrika.
Drei Ereignisse veränderten meine Welt: Das erste ereignete sich vor 35 Jahren, als ich meine Frau Herta heiratete. Ohne sie wäre so ein turbulentes Leben nicht möglich gewesen. Beinahe 15 Jahre unseres Lebens sind wir als moderne Nomaden unterwegs, anfangs noch mit unseren beiden Kindern.
Das zweite Ereignis war nicht so schön wie der Hochzeitstag und warf meine Welt aus den Angeln: Vor 33 Jahren diagnostizierten die Ärzte bei mir Diabetes und machten mir unmissverständlich klar, dass mein Leben ab sofort nach eisernen Regeln verlaufen muss. Sport oder gar Reisen waren damals für die Doktoren ein rotes Tuch.
Das dritte Ereignis forderte unseren ganzen Mut: Während andere um ihren Arbeitsplatz froh waren, haben wir vor 10 Jahren unsere guten Jobs als Chefsekretärin und Fertigungsplaner gekündigt: Vor allem mit einer Familie ist der konsequente Schritt von der bequemen Sicherheit zum Aufbruch ins Abenteuer eine existenzielle Entscheidung mit offenem Ende. Wir haben uns für den Aufbruch entschieden und brachen mit unserem Toyota Land Cruiser zu einer Weltreise auf.
Zuerst trieb uns die Neugierde mehrere Jahre über die legendäre Seidenstraße nach Asien, dann gingen wir auf eine Reise zu uns selbst und verbrachten ein einsames Jahr zwischen -40 °C und +40 °C am menschenleeren Baikalsee, wo eine mongolische Filzjurte unser einziger Schutz vor Kälte, Bären und Wölfen war. Danach zogen wir mit unserem Cruiser weiter nach Afrika: ein Kontinent – mit Vorurteilen gepflastert, von Missverständnissen gebrandmarkt.
Zwei Jahre durchstreiften wir den faszinierenden Erdteil – immer auf der Suche nach interessanten Begegnungen und außergewöhnlichen Erfahrungen. Hautnah suchten wir unser Afrika. Wir sahen unglaubliche Landschaften und erlebten absolute Einsamkeit. Immer dort, wo die Masse geradeaus fährt, bogen wir zweimal rechts ab. So erlebten wir Momente des größten Glücks, aber auch Schicksale, die uns frustrierten – weit mehr, als das altbekannte Afrikabild versprach.
Hier also Episoden unserer außergewöhnlichen Tour zum und durch den schwarzen Kontinent:
Im Iran besuchten wir einen Freund, der uns bei unserer früheren Iranreise in größter Not half (wir hatten damals einen schlimmen Unfall, bei dem ein Kind starb). Hashem ist heute frustrierter als damals noch. Er hat Angst vor Krieg und Verfolgung – und keine Hoffnung auf Besserung in diesem Unrechtsstaat. Er will mit seiner Familie nur noch weg. Ein Silberschmied auf dem Basar in Esfahan bezeichnet den Iran als schlimmere Diktatur, als Deutschland unter Hitler war.
Ich mache unbedarft ein Foto vom Sonnenuntergang mit einer Ölverladerampe im Hintergrund. Sofort werde ich umzingelt. Ein Mann reißt mir die Kamera aus der Hand und konfisziert die Pässe. Wir beide werden wegen Spionage verhaftet – in einem vermeintlichen Gottesstaat, in dem Ausländer wegen Belanglosigkeiten Jahre im Gefängnis verbringen.
Die Danakil-Depression ist der unwirtlichste und menschenfeindlichste Ort ganz Afrikas: Hier bilden Stein, Sand, Lava und alte Sinterschlote eine skurrile Welt. Es scheint, als wäre ein Stück Mond auf die Erde gefallen. Das möchten wir mit eigenen Augen sehen, obwohl wir nicht genau wissen, wie und ob dieser Ort mit unserem Land Cruiser überhaupt erreichbar ist. Denn die Gegend ist so erdfremd, dass der Film Planet der Affen hier gedreht wurde.
Und ausgerechnet in dieser abgelegenen Lavawüste streikt unser Auto. Also machen wir uns morgens zu Fuß auf den Weg, ohne zu bedenken, dass am Hitzepol der Erde die Temperaturen mittags auf 60 °C steigen und jedes Lebewesen in kürzester Zeit austrocknet. Wir schwitzen in der gnadenlosen Sonne, verlieren zu viel Körperflüssigkeit, und das Trinkwasser geht zu Ende. Eine Afar-Frau rettet uns mit ein wenig Wasser vor dem Verdursten. In ihrem Zelt finden wir etwas Schatten, Ruhe und Erholung.
Danach setzen wir unseren Weg fort und erreichen tatsächlich unser Auto. Dort zeigt das Thermometer 60 °C an. Zudem hat der extreme Schweiß den Silikonkatheter meiner Insulinpumpe herausgeschwemmt. Da wir nur mit einem kurzen Ausflug gerechnet hatten, hatte ich keinen Ersatz dabei. Nach dieser Tour erreiche ich den höchsten Zuckerwert in meiner Diabetes-Karriere.
Am Tag sind die Hadzabe-Buschmänner am Lake Easy unsichtbar und ein Phantom der Wildnis. Sie hinterlassen keine Spuren, haben keine Hütten, schlafen unter Bäumen und Ästen. Zum Schutz vor Löwen und anderen gefährlichen Tieren brennt die ganze Nacht ein Feuer. Der Schein ihres Lagerfeuers verrät sie und ist die einzige Möglichkeit, sie überhaupt zu orten.
Die letzten 800 Hadzabe-Buschmänner führen ein Leben wie in der Steinzeit. Sie besitzen nur so viel, wie sie tragen können – Pfeil und Bogen, Messer und Topf. Sie kennen keinen Führer, keine Gewalt und keine Regeln.
Wir dürfen die Buschmänner auf die Jagd durch die Dornensavanne begleiten und sind von deren Jagdinstinkt, ihrer Art der Ernährung (Eichhörnchen) und ihrer Überlebensstrategie überrascht.
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Der kriegsgeschüttelte Kongo ist ein Land mit nur noch wenigen befahrbaren Straßen, also machen wir uns im Kongobecken mit Flugzeug und Einbaum auf die Suche nach den sehr scheuen Urwaldpygmäen. Dabei werden wir von einem Bantu-Stamm als Missionare empfangen. Sie schenken uns zum Abschied ihre größte Delikatesse als Reiseproviant: eine lebende Fledermaus.
Immer tiefer müssen wir in den Dschungel vordringen, weil die friedlichen Pygmäen sich mehr und mehr in den unzugänglichen Urwald zurückziehen. Sie haben vor den herrschenden Bantu Angst, die sie versklaven oder gar töten, wenn sie den Holzfällern nicht schnell genug Platz machen. Mit Glück entdecken wir die kleinen Menschen, die mir nur bis zum Bauchnabel reichen.
Der Aufenthalt im dampfigen Urwald des Kongobeckens rächt sich unerwartet. In dieser entlegenen Region steht Malaria auf Platz eins der Todesursachen.
In Luanda, der Hauptstadt Angolas, lernen wir Jun kennen, einen herzensguten Philippinen, der uns auf sein Grundstück zum Übernachten einlädt. Am nächsten Morgen ist Jun traurig. Soeben ist ein Mitarbeiter innerhalb einer Woche an der gefährlichen Malaria tropica gestorben. Diese Art Malaria kann in kürzester Zeit das Gehirn zerstören. Der Mann hatte nur leichte Beschwerden wie Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindelgefühle.
Als Herta von den gleichen Symptomen erzählt, leuchten alle Warnlampen knallrot. Sofort gehen wir zum Test: Peng, sie ist positiv. Hätten wir nicht Jun getroffen, wären wir einfach weitergereist und jetzt in der arzt- und menschenleeren Moçâmedes-Wüste im Südwesten Angolas am Atlantik unterwegs. Wieder einmal hatten wir Glück.
Als Diabetiker werde ich oft gefragt, ob ein solches Leben nicht verantwortungslos ist? Nun, es kommt auf die Erfahrung und die Risikobereitschaft an. Sicher ist es nicht jedermanns Sache, mit dem Handicap Diabetes so extrem zu reisen. Letztlich aber ist alles, was wir tun, riskant. Auch durch vorausschauendes Handeln und mit 30 Jahren Diabeteserfahrung bleibt immer ein Restrisiko. Schon mit unserer Geburt beginnt das Risiko des Lebens, das in vielen Ländern unterschiedlich gesehen wird.
In Afrika habe ich hautnah erlebt, wie die Menschen ihr einfaches Leben meistern – meist ohne soziales Netz und ohne wirkliche medizinische Versorgung, mit weniger Sorgen und Zukunftsängsten und mit mehr Lachen und Freude als in Europa. Und dort, wo der Lebensstandard steigt, wie im reichen Südafrika, steigen auch Sorgen und Ängste – ebenso wie die Diabetikerzahlen.
Wer ein bisschen Geld hat, kauft sich Fastfood und Cola … mit dem Ergebnis, dass in Südafrika die meisten Diabetiker ganz Afrikas leben.
Die DVDs Abenteuer Baikal – 1 Jahr am Limit und Auge in Auge mit Afrika – Eine Reise zu den Menschen und ihren Kulturen wie auch die Bücher können unter www.hwbeck.de bestellt werden. Dort gibt es auch ausführliche Informationen und Bilder über unsere Abenteuer.
von Werner Beck
Werner Beck, 58 Jahre, Abenteurer und Autor der Bücher „Afrika hautnah“ sowie „Auszeit am Baikalsee“, ist seit 33 Jahren Diabetiker und Pumpenträger. Mit seiner Frau hat er etwa 100 Länder bereist.
Ihr Ziel ist die ganze Welt. Dabei sind ihnen auch Fortbewegungsmittel wie Tempelelefanten in Südindien oder Hundeschlitten in Lappland recht. Doch am liebsten sind sie mit ihrem alten Land Cruiser unterwegs. Mehr Infos unter www.hwbeck.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (8) Seite 44-47
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