Mit Mission auf dem Weg zur Miss Germany

4 Minuten

© Wendy Stephan
Mit Mission auf dem Weg zur Miss Germany

Kathi Korn lebt mit neun chronischen Erkrankungen, darunter Typ-1-Diabetes und Lipödem. Seit zehn Jahren setzt sie sich für die Anliegen chronisch kranker Menschen ein, klärt auf und macht Mut – ehrenamtlich und beruflich. Nun steht sie mit ihrer Mission im Halbfinale bei Miss Germany. Ja, richtig gelesen!

“Was für ein ‚Miss Germany‘ ist das denn?” Diese Frage ist Kathi Korn inzwischen gewohnt. Selbst ihre Freunde stellen sie, wenn Kathi Korn davon erzählt, dass sie bei Miss Germany mitmacht und mittlerweile sogar im Halbfinale steht. “Sie denken, dass es ein Miss Germany für dicke oder kranke Menschen ist”, sagt Kathi Korn.

Wer denkt, dass sich bei Miss Germany immer noch alles um schaulaufende Schönheiten im Abendkleid oder Bikini dreht, liegt daneben. Bereits im dritten Jahr geht es nicht mehr ums Äußere, sondern um Persönlichkeit und die Mission der Teilnehmerinnen. Gesucht werden Frauen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und als Vorbilder agieren – egal wie sie aussehen, wie viel sie wiegen und wie alt sie sind. Rund 15 000 Frauen haben sich laut Angaben der Veranstalter für die Wahl beworben. “Es ist meine Herzensangelegenheit und eine Ehre, mich für Menschen mit chronischen Erkrankungen einzusetzen. Ich freue mich, dass Miss Germany das Thema auch so wichtig findet.”

Selbst lebt Kathi Korn u. a. mit Typ-1-Diabetes und Lipödem. Seit zehn Jahren engagiert sie sich für eine bessere Lebensqualität von Menschen mit chronischen Erkrankungen. Sie schult Patienten und Patientinnen, teilt ihre Erfahrungen, spricht auf Kongressen und macht anderen Mut. Mit Miss Germany möchte Kathi Korn ihre Projekte noch weiter ausbauen und Menschen mit chronischen Erkrankungen auf die große Bühne holen.

Offen, selbstbewusst, lebensbejahend

Dass Krankheit kein Grund ist, sich zu verstecken, zeigt Kathi Korn unter anderem auf ihrem Instagram-Kanal @diabeteswelt_lipaktiv, wo ihr über 12 000 Menschen folgen. Sie zeigt Wechsel von Glukose-Sensoren, inszeniert sich mit Insulinpumpe und Kompressions-Kleidung und lässt teilhaben an ihrem Leben als dreifache Mutter. Ob beim Sport, in Abendgarderobe oder mit Bikini am Pool – ihren Körper mit seinen Hilfsmitteln präsentiert sie mit festem Blick, lächelnd und starken Gesten. Blaue Flecken, Narben oder Schweiß sind keine Tabus, sondern Beweise dafür, dass der Körper arbeitet, heilt und trotzt.

Nicht immer war Kathi Korn so selbstbewusst. Nach der Diagnose Typ-1-Diabetes brach für die damals 21-Jährige eine Welt zusammen. Sie hatte Probleme, die Krankheit zu akzeptieren. Ärzte rieten der damaligen Leistungs-Tischtennis-Spielerin, den Sport aufzugeben, genauso wie ihren Kinderwunsch. “Das war für mich so niederschmetternd, dass ich zwei Jahre meines Lebens verloren habe. Ich kann mich an diese Zeit nicht erinnern”, erzählt sie im Interview.

Auffangnetz nach der Diagnose

Kathi Korn wünscht sich, dass anderen der steinige Weg nach der Diagnose erspart bleibt. Oft erhielten Betroffene lediglich ein Rezept, seien überfordert und fühlten sich alleingelassen, kritisiert sie. Dies führe dazu, meint Kathi Korn, dass es dauere, bis Betroffene ihre Erkrankung wirklich akzeptieren könnten: “In dieser Zeit geht so viel Lebensqualität verloren.” Sie ist davon überzeugt, dass ein selbstbestimmtes Management der eigenen Erkrankung vor allem dann gut gelingen kann, wenn man sie wirklich akzeptiert habe.

Ihr Ziel ist es, zusammen mit Miss Germany eine Anlaufstelle für Menschen mit chronischen Erkrankungen zu schaffen. Diese soll, vor allem nach der Diagnose, ein Auffangnetz sein und Betroffenen dabei helfen, sich selbst zu Expertinnen und Experten zu machen. Zur Verwirklichung des eigenen Projekts stehen Miss Germany am Ende 25 000 Euro in Aussicht.

“Wir sind die Expertinnen und Experten”

Gerade im Zusammenspiel mit ihrer Insulinpumpe gibt Kathi Korns Körper vielen Menschen Anlass für Vorurteile: “Kein Wunder, dass du Diabetes hast, so, wie du aussiehst. Nimm doch einfach mal ab”, sei das, was ihr am häufigsten entgegengeschleudert werde. Dass man bei Lipödem Fettpolster nicht einfach durch Abnehmen verlieren kann, wollten viele nicht verstehen. “Es kann nicht sein, dass wir uns erst ewig erklären müssen”, sagt Kathi Korn, “insbesondere, wenn die Krankheit unsichbar ist.” Es sei wichtig, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen auch in den Medien auftauchen. “Wir in unseren Communitys und Bubbles wissen das alles bereits. Das Wissen muss darüber hinaus getragen werden”, sagt Kathi Korn. Nur so könnten Stigmata endlich abgebaut werden.

Damit diese Art der Aufklärung funktioniere, sei es wichtig, dass die Darstellungen und Bilder auch korrekt seien. Wenn man im Fernsehen sehe, dass Menschen mit Diabetes bei Unterzuckerung Insulin gespritzt werde, sei der gute Wille schnell wieder zunichtegemacht, findet Kathi Korn. Wichtig sei, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen in die Entstehungsprozesse einbezogen werden. “Wir müssen mitsprechen dürfen, denn wir sind diejenigen, die sich am besten auskennen. Wir sind die Expertinnen und Experten.”

Fake Positivity

Bewegungen wie “Body Positivity” machten die Bilder in den Medien zwar augenscheinlich diverser, oft stecke aber eine toxische Positivität dahinter, meint Kathi Korn. “Es ist mehr nötig, als einfach nur mal andere Körperformen zu zeigen.” Der enorme Aufwand, der z. B. hinter Inszenierungen von Sendungen wie Germanys Next Topmodel stecke, verzerre die Realität und setze immer noch unrealistische Standards.

Auch in Social Media, wo weichgezeichnete Gesichter und geschmälte Taillen gängig seien, entspreche vieles nicht der Realität, kritisiert sie. “Da müssen wir auch im Diabetes-Bereich mehr aufpassen.” Auch hier gehe es immer mehrum Ästhetik und Sexualisierung. Das sei per se nicht schlimm, habe aber oft nicht mehr viel mit Diabetes-Aufklärung zu tun, sagt Kathi Korn.”Wenn wir bei Krankheit von Selbstliebe und Akzeptanz sprechen, aber alle Bilder fake sind, finde ich das problematisch.” Auch Hersteller von Medizinprodukten sollten sich fragen, wie sinnvoll das sei. Man müsse viel häufiger über vermeintliche Tabu-Themen reden. Das würde dann auch einen Mehrwert bieten, sagt Kathi Korn. Zwar öffne sich der Diskurs langsam, trotzdem würden Themen wie Sex oder sexuelle Dysfunktionen nicht ausreichend öffentlich besprochen.

Veränderung geht nur gemeinsam

Auch wenn es kritische Punkte gibt, der Austausch in der Community ist für Kathi Korn wichtig. Sie wünscht sich, dass man stärker nach Schnittmengen sucht, unabhängig vom Geschlecht und auch über die Diabetes-Community hinaus. “Wir kommen nur weiter, wenn wir die Dinge gemeinsam anpacken.”

Das sei auch bei Miss Germany sehr wichtig, berichtet Kathi Korn. Die Teilnehmerinnen würden einander nicht als Konkurrenz sehen, auch wenn am Ende nur eine weiterkomme. “Wir unterstützen uns und unsere Missionen gegenseitig.” Bereits jetzt würden sich die Teilnehmerinnen vernetzen, Podcasts und gemeinsam Start-ups planen.

Kathi Korn ist überzeugt:”Miss Germany ist ein fantastisches Format, gerade für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen. Traut euch und bewerbt euch”, ermutigt sie. Denn trotz des neuen Konzepts seien die letzten Misses den klassischen Schönheitsidealen immer sehr nahegekommen. Ein echtes Zeichen wäre es, dies endlich zu durchbrechen, findet Kathi Korn – damit niemand mehr fragt: “Was für ein Miss Germany ist das denn?”

Miss Germany 2024
Das Finale von Miss Germany findet am 24. Februar 2024 im Europa Park statt. Das Event kann live und kostenlos auf https://twitch.tv/missgermany gestreamt werden.
Mehr unter: https://missgermany.com

Autorin
Verena Schweitzer

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (12) Seite 10-13

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