Body-Shaming – es gibt keinen „Happy Obese“

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Body-Shaming – es gibt keinen „Happy Obese“

Übergewicht bringt gesundheitliche Probleme auf verschiedenen Ebenen mit sich. Aber auch kosmetisch fühlen sich Menschen mit einem Zuviel auf der Waage oft unwohl – sie schämen sich für ihr Aussehen. Verstärkt werden kann das durch äußere Einflüsse wie Blicke oder entsprechende Bemerkungen. Wie die Mechanismen hierbei ablaufen, was man selbst tun kann und was die Wissenschaft sagt, erfahren Sie im folgenden Artikel.

Übergewicht und Adipositas in Deutschland

Übergewicht und Adipositas nehmen in Deutschland immer mehr zu. Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig. Das bedeutet: Sie haben einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 25 kg/m2. Ab einem BMI von mehr als 30 kg/m2 spricht man von Fettleibigkeit oder Adipositas. Hiervon sind 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen in Deutschland betroffen. Aber auch die Zahlen der Betroffenen im Kindes- und Jugendalter sind alarmierend. Nach Angaben der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie KiGGS (2014 – 2017) waren 15,4 Prozent der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig sowie 5,9 Prozent adipös.

Übergewichtige oder adipöse Menschen haben diverse gesundheitliche Risiken und fühlen sich häufig weniger belastbar. Bereits alltägliche Dinge wie Treppensteigen oder Bücken machen Betroffenen zu schaffen. Häufig ist Übergewicht oder Adipositas mit Scham behaftet. Dies führt bei vielen zu einem verminderten Selbstwert und das löst bei den Betroffenen einen sozialen Rückzug aus. Laut Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen, sind 25 Prozent der Menschen mit starkem Übergewicht depressiv. Ihr Risiko für psychische Erkrankungen liegt damit um 50 Prozenthöher als bei normalgewichtigen Menschen. Durch Body-Shaming werden diese Aspekte verstärkt.

Body-Shaming

Dabei handelt es sich um eine Form der Diskriminierung, Beleidigung und Demütigung von Menschen aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds. Das Verb “to shame somebody” stammt aus dem Englischen und bedeutet, jemanden zu beleidigen, zu beschämen. Eine große Rolle spielen dabei auch unrealistische Schönheitsideale in den Medien und sozialen Netzwerken. Personen, die den gesellschaftlichen Vorstellungen nicht entsprechen, werden abgewertet. Jungen und Mädchen im pubertären Alter sind besonders anfällig für solche Bewertungen. Aufgrund der körperlichen Veränderungen fühlen sich viele in ihrem Körper ohnehin verunsichert. In solch unsicheren Phasen orientieren sich Jugendliche gern am Äußeren: Wie muss ich mich präsentieren, wie muss ich aussehen, damit ich besonders viele Likes bekomme? Die Folgen davon steuern nicht selten in eine Ess-Störung.

Um Kinder vor dieser Gefahr zu schützen, sind der Umgang und das Vorleben zu Hause wichtige Aspekte. Wenn sich eine Mutter vor dem Spiegel unzufrieden in den Bauch kneift oder die Großmutter bei einer Gewichtszunahme dem Kind in die Backen kneift, prägt das oft ein Leben lang. Auch vermeintlich gut gemeinte Kommentare können einen ähnlichen Effekt haben. Wenn das Kind oder der Jugendliche beispielsweise aufgrund seines flachen Bauchs ständig gelobt wird, knüpft sich das Selbstwertgefühl daran an. Expertinnen und Experten raten, dass sich Eltern und Verwandte mit Kommentaren über das Äußere zurückhalten sollten. Viel wichtiger ist, den Kindern zuzuhören und den Selbstwert auf ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten zu fokussieren.

Adipositas auch medizinisch bedeutsam

Das Problem von Adipositas ist nicht “nur” ein kosmetisches. Betroffene haben eine niedrigere Lebenserwartung und ein erhöhtes Risiko für chronische Krankheiten und Gesundheitsprobleme. Dazu gehören Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Fettleber, Krebs-Erkrankungen, orthopädische Probleme und Depressionen. Deshalb sollten Übergewicht und Fettleibigkeit durch eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung im besten Fall von vornherein verhindert und Menschen mit Übergewicht oder Adipositas eine Gewichtsreduktion angeraten werden.

Stress und Übergewicht hängen zusammen

Doch warum fällt genau das vielen Menschen so schwer? Warum funktioniert keine Diät? Damit hat sich ein Forschungsteam um Dr. Achim Peters, Professor für Innere Medizin und Adipositas-Experte aus Lübeck, beschäftigt. Dabei stellten sie fest: Übergewicht ist von Stress nicht zu trennen. Nicht jeder Stress-Esser wird übergewichtig – so, wie nicht jeder bei entsprechendem Konsum alkohol- oder nikotinabhängig wird. Allerdings liegt bei vielen Menschen eine Stoffwechselstörung des Gehirns vor – genau in dem Bereich, der unsere Fähigkeit steuert, Energie aus den Körperdepots zu ziehen. Unser Gehirn macht gerade einmal 2 Prozent unseres gesamten Körpergewichts aus, verbraucht aber 50 Prozent der Glukose, die wir zu uns nehmen.

Wenn die Depots nicht für genug Nachschub in den grauen Zellen sorgen, erhält das Hungergefühl durch die zugrunde liegende Fehlregulation immer neue Nahrung: “Hilfe! Gib mir mehr, ich bekomme nicht genug ab!” Bei entsprechender Veranlagung sind die Folgen, dass wir immer mehr essen müssen, um dem Gehirn, das vor allen anderen Organen den Zucker für sich abgreift, ausreichend Nachschub zu beschaffen. Aus dieser Spirale kommt man, so Achim Peters, nicht mit Diäten heraus, denn das führt zu erneutem Stress für unser Gehirn. Nur, wenn man die Haupt-Stressoren ausschaltet, kann man sein Gehirn beruhigen. Im Wesentlichen sind dies psychosoziale Stressoren, sowohl für das Gehirn als auch für den Körper. Peters empfiehlt, in seinen Bauch hineinzuhorchen. Was belastet mich? Diese Belastungen müssen raus aus dem Leben. Unterstützung kann man zum Beispiel über einen Coach erhalten.

Was ist ein Happy Obese?

Mancher hat vielleicht schon einmal etwas über die “glücklichen Dicken”, die “Happy Obese” gehört. Doch was genau verbirgt sich dahinter und gibt es die Happy Obese wirklich? Die Tübinger Familienstudie zeigt, dass Adipositas nicht gleich Adipositas ist und diese in Subtypen unterteilt werden kann. Prof. Dr. Hans-Ulrich Häring vom Universitätsklinikum Tübingen berichtet, dass etwa 30 Prozent der Adipösen zur Gruppe der Happy Obese gehören. Das bedeutet, dass sie trotz massiven Übergewichts eine ähnlich gute Insulinempfindlichkeit wie Normalgewichtige aufweisen und dadurch ein geringes Risiko haben, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Ebenfalls scheint ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht erhöht zu sein. Das bedeutet, dass sie keine Stoffwechsel-Probleme durch ihr Zuviel an Körperfett haben.

Diesen Happy Obese steht aber eine Gruppe adipöser Menschen gegenüber, die deutlich im Nachteil sind: Diese Menschen haben multiple Stoffwechsel-Störungen und eine ausgeprägte Insulinresistenz. Glückliche und unglückliche Dicke unterscheiden sich vor allem in der Art der Fett-Speicherung. Leber und Gehirn scheinen einen entscheidenden Einfluss darauf zu haben, zu welcher Gruppe man gehört.

Andere Studien widerlegen jedoch eindrucksvoll das Märchen vom gesunden Dicken. Neben bekannten Risiken für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht ein Zuviel an Körpergewicht unter anderem die Gefahren für Krebs-Erkrankungen, Depressionen und Demenz.

Übergewicht darf also nicht verharmlost werden, da es immensen Einfluss auf die Gesundheit und potenziell unsere Lebensdauer und die Lebensqualität im Alter hat. Auch die im Juni 2017 veröffentlichte besorgniserregende Publikation “Health Effects of Overweight and Obesity in 195 Countries over 25 Years” von “The Global Burden Disease 2015 Obesity Collaborators” in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine betont die Dramatik von Übergewicht als Krankmacher.

Gesunder Lebensstil ist beste Prävention

Wer sich vor Stoffwechsel-Störungen und ihren Folgen schützen möchte, dem helfen zwei Dinge: Bewegung und Ernährung. Körperliche Bewegung reduziert nicht nur die Adipositas und Insulinresistenz, sondern verbessert auch den Blutdruck und gestörte Blutfette. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung versorgt den Körper mit allen wichtigen Nährstoffen und sorgt für eine ausgeglichene Energiebilanz.

Schwerpunkt: „Übergewicht mit Erfolg angehen“


von Simone Pschiebl

Avatar von simone-pschiebl

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 73 (2)  Seite 17-20

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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