Depressionen im Typ-1-Diabetes-Alltag

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Depressionen im Typ-1-Diabetes-Alltag

Manchmal weiß ich gar nicht, was schwieriger ist, auszusprechen: dass ich Typ-1-Diabetes oder dass ich Depressionen habe. Beides zieht in den meisten Fällen Gespräche nach sich, die mühsam sind.

All die Sprüche zum Thema Diabetes kennen die meisten hier. Doch auch Depressionen und die Reaktionen darauf werden vielen nicht unbekannt sein, denn laut der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist die Wahrscheinlichkeit, an Depressionen zu erkranken, für Menschen mit Diabetes doppelt so hoch wie für die Allgemeinbevölkerung.

In meiner Erziehung und meinem Erwachsenwerden wurden Depressionen nie zu einem Tabu-Thema gemacht. Mir war früh bewusst, dass das eine Krankheit ist und dass diese nichts über die Persönlichkeit des Menschen aussagt – auch als ich selbst noch nicht betroffen war.

Quelle: Katharina Weirauch

Als ich 16 war – also noch vor meiner Typ-1-Diabetes-Diagnose – sprach meine damalige Hausärztin das erste Mal davon, dass ich eine „depressive Verstimmung“ hätte. Da ich mich zu der Zeit eh in kinder- und jugendpsychotherapeutischer Behandlung befand, wurde von ärztlicher Seite aus nichts weiter unternommen.

Es störte mich nicht, das Thema bei meinen Freunden zu erwähnen, allerdings fand ich zu dem Zeitpunkt kein Verständnis für mein Problem. In den Jahren war „depri” zu sein eine Beschreibung, mit der fast jede pubertäre Stimmungsschwankung betitelt wurde. „Depressiv” zu sein bedeutete für die meisten einfach nichts anderes, egal, wie sehr ich es zu erklären versuchte. Andere Betroffene, mit denen ich mich anfreundete, lernte ich – ähnlich wie die Diabetes-Community – erst viel später online kennen.

Zum Insulin kam noch ein Medikament mehr

2010 – zwei Jahre nach der Typ-1-Diabetes-Diagnose – ging ich aus vielen verschiedenen Gründen in eine psychotherapeutische Tagesklinik. Zu der Zeit war ich zu nichts mehr fähig außer dazu, zu weinen. All meine Gefühle waren Angst und Traurigkeit und dann auch irgendwie gar nicht wirklich fühlbar. Ich bekam Antidepressiva verordnet, die ich auch bis heute nehme. Meine Depressionen sind weder von den Medikamenten noch von regelmäßiger Psychotherapie verschwunden, dennoch kann ich damit anders und irgendwie besser leben als früher.

Sich vor Außenstehenden als Mensch mit Depressionen zu outen, zieht verschiedene Reaktionen nach sich. Für die einen sind Depressionen nur ein Zeichen von Schwäche, eine Anstellerei oder irgendein normales Tief, das nach einem Abend mit der Lieblingsserie und einer Tafel Schokolade wieder weg ist. Für andere ist man plötzlich ein „Freak“. Die wenigsten aber sehen, dass es eine Krankheit ist, die ebenso wie andere (chronische) Krankheiten behandelt werden muss und die man sich genauso wenig wie andere (chronische) Krankheiten aussucht.

Quelle: Katharina Weirauch

Mein Alltag mit den Depressionen und welche Rolle mein Diabetes dabei spielt

Es gibt unterschiedlich gute Tage – wie bei jedem Menschen, egal ob gesund oder in irgendeiner Form krank. Manchmal fühle ich mich „ganz normal“, manchmal gibt es Trigger, die mich in eine Krise stürzen, und manchmal befinde ich mich mehr oder weniger von jetzt auf gleich in einem tiefen schwarzen Loch.

Wenn ich eine schlimme depressive Phase habe, kann ich mich nicht gut um mich kümmern. Wenn schon das Aufstehen und Zähneputzen zur Hürde wird, wie soll dann ein gutes Diabetes-Management laufen?

Depressionen sind im Gegensatz zu dem weitverbreiteten Glauben mehr als nur Traurigkeit. Manchmal nehmen die Depressionen so einen großen Raum ein, dass nichts mehr bleibt. Keine klar definierbaren Gefühle, Bedürfnisse oder Gedanken. Alles wird irgendwie egal, und vieles ist einfach nur überfordernd. Während ich Termine absage und alltägliche Aufgaben einfach nicht erledige, bleibt der Typ-1-Diabetes jedoch genauso anspruchsvoll wie immer.

Da psychischer Stress sich immer auch auf die Blutzuckerwerte auswirkt und zumindest bei mir während einer depressiven Episode die körperliche Aktivität auf nahezu null runtergefahren wird, gehen meine Blutzuckerwerte dabei meistens hoch. Neben dem Teil in mir, dem das dann irgendwie egal ist, belastet es einen anderen Teil viel mehr als sonst.

In meinem Gedanken hat der Diabetes dann plötzlich an ungefähr allem Schuld, und ich hasse ihn und ich hasse meinen Körper und ich hasse mich. Und in meinem Kopf ist alles laut und still und viel zu grell und tiefschwarz und ich bin traurig und irgendwo höre ich mich in meiner Erinnerung lachen und dann denke ich, dass ich vielleicht einfach nie wieder lachen will, weil es dafür weder einen Grund noch vorhandene Energie gibt. Und der Diabetes ist immer noch da.

Ein besseres Diabetes-Management dank der Insulinpumpe – auch während depressiver Phasen

Obwohl Depressionen als Kontraindikation für die Insulinpumpentherapie gelten, hat sich bei mir das Diabetes-Management während depressiver Phasen mit der Pumpe deutlich verbessert. Da ich die Pumpe automatisch bei mir trage und ich nicht im Zweifel erst aufstehen und meine Insulinpens suchen muss, um Basalinsulin oder den Bolus zu spritzen. Außerdem habe ich die Möglichkeit, meine Basalrate dem höheren Bedarf anzupassen. Wobei die Möglichkeit zu haben nicht unbedingt bedeutet, dass ich es dann wirklich tue, weil ich es einfach nicht auf die Reihe bekomme.

Quelle: Katharina Weirauch

In depressiven Episoden ernähre ich mich nicht gut. Ich bin zu uninspiriert und auch zu kraftlos, mir irgendwas Gesundes zu kochen. Aber bei dem ganzen „Nichts mehr fühlen“ ist das Gefühl beim Schlucken etwas, das mir meistens erhalten bleibt. Deswegen esse ich ständig kleine Mahlzeiten oder Snacks, um irgendetwas zu fühlen. Die Lebensmittel dabei zu schätzen, geht oft schief. Wenn ich keine konkrete BE-Angabe zur Hand habe, gebe ich irgendeinen Fantasie-Bolus ab, der meistens zu viel oder zu wenig der Kohlenhydrate abdeckt. Es ist ein bisschen, als würde ich mich mit den Werten außerhalb des Zielbereiches noch zusätzlich selbst bestrafen. Wofür auch immer.

Depressionen kann (und sollte) niemand alleine durchstehen. Auch wenn es unfassbar schwer ist, sich um irgendetwas zu kümmern: Wenn ihr bereits in einer Depression steckt, nehmt Kontakt mit Ärztinnen oder Ärzten auf oder bittet Freunde und Angehörige, das für euch zu übernehmen.


Auch in diesen Blood Sugar Lounge-Artikeln geht es um das wichtige Thema Depression:

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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