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Eine sensorunterstützte Insulinpumpe (SuP; Pumpe plus CGM-System) kann vielen Familien besonders mit einem kleinen Kind mit Diabetes helfen. Wie kann die noch relativ neue Technik sinnvoll und entlastend eingesetzt werden?
In unserer Klinik betreuen wir ca. 15 Klein-, Vorschul- und Grundschulkinder, die aktuell eine sensorunterstützte Insulinpumpe nutzen, also eine Insulinpumpe und ein dazu passendes Gerät zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Einige Eltern haben sich die vorläufige Kostenübernahme für das CGM-System mühevoll vor Gericht im Rahmen eines Eilverfahrens erstritten, andere erlebten unerwartet ein Einlenken der Krankenkasse (Einzelfallentscheidung), und nicht wenige haben sich in ihrer Verzweiflung das CGM-System selbst gekauft, zumeist mit Hilfe von Spenden aus der Verwandtschaft.
Allen Familien mit so einem kleinen Kind ist die hohe Belastung gemeinsam, die sich aus dem völlig unvorhersehbaren Verlauf der Blutzuckerwerte und Angst vor nächtlichen Unterzuckerungen ergibt. Nur durch 10, 12 oder 15 Blutzuckermessungen über Tag und Nacht kann zumeist der Auf-oder Abwärtstrend vorausgeahnt werden.
Gelingt es den Familien, ein CGM-System zu erhalten, starten sie bei uns mit einer Tagesschulung. Dazu gehört neben der technischen Einweisung eine ehrliche Aufklärung darüber, was eine Familie mit einem CGM-System in den ersten vier Wochen erwarten kann. Auf der einen Seite: Arbeit (das neue System bedienen zu lernen), ein Piks und ein “technisches Tool” mehr am Körper des Kindes und auch mehr Zeit am Computer zum Einlesen der Daten in eine Software.
Auf der anderen Seite finden sich Entlastung und Sicherheit, und diese beiden Errungenschaften spüren Eltern auch bald – aber nicht vom ersten Tag an. Ich sage den Eltern immer: “Wenn Sie mir in vier Wochen sagen, dass Sie den Sensor jetzt ‚lieb gewonnen’ haben, dann ist der Start gelungen”, aber oft dauert es gar nicht so lange.
Über die letzten drei Jahre, in denen immer mehr Eltern ein CGM-System nutzen, haben wir gelernt, einiges von Anfang zu besprechen:
Eltern finden für die Blutzuckermessung ja rasch eigene Worte, z. B. “eine Mücke machen” oder “Fingerpiks”. Ein CGM-System ist für das Kind zunächst nur ein Stich mehr am Po, der Sinn erschließt sich ihm nicht. Daher ist es wichtig, dass Eltern nicht “Sensor stechen” oder zum Alarm “Sirene” sagen, sondern den Sensor positiv belegen, z. B.: “Das ist dein kleiner Aufpasser.” und “Komm zu uns, wenn die Pumpe piept.”
Hautschutz ist wichtig, da relativ viele Kinder auf Pflasterklebstoff mit Hautrötung und Juckreiz reagieren. Wir haben viele Produkte zum Schutz der Haut, zum Fixieren und zum Ablösen des Pflasters, so dass auch Kinder mit ganz empfindlicher Haut oder stark schwitzende Kinder das CGM-System gut vertragen.
Viele Eltern nutzen die prozentuale Erhöhung oder Absenkung der Basalrate, aber wie effektiv diese Aktion ist, kann man eigentlich erst mit einem CGM sehen. Die verschiedenen Bolustypen, die alle Pumpen anbieten, bleiben aber oft “ausgeschaltet”, denn deren Effekt ist ebenfalls erst mit CGM-Kurve und Trendpfeilen sichtbar.
Vor allem ein Bolustyp mit einem schnellen und einem verzögerten Bolusanteil gewinnt jetzt an Bedeutung, insbesondere dann, wenn die Pumpe bei fallenden Sensorwerten den noch laufenden Bolus automatisch abschalten kann. Wir ermuntern die Eltern, sobald sie dem Sensor “vertrauen”, einfach mal diesen Bolustyp immer wieder auszuprobieren und dann mit uns in der Auswertung zu prüfen, was das gebracht hat.
Ganz besonders schön finde ich es, wenn ich in den Auswertungen der Daten sehe, dass Eltern hier und da “wie ein Sensor denken”, nur schneller. Sie schalten selber die Basalrate für eine Stunde auf null Prozent, wenn sie sehen, dass bei einem Sensorwert im Zielbereich mehrere Trendpfeile nach unten zeigen und sie gar nicht erst auf einen Unterzuckerungsalarm warten wollen, der wahrscheinlich kommen wird.
Mit der Pumpe, die eine Art vorausdenkende Software zur Abschaltung vor einer Unterzuckerung anbietet, ist das dann gar nicht mehr nötig, denn hier ist die Software noch schneller als die schon sehr erfahrenen Eltern.
Eltern von kleinen Kindern sind meiner Erfahrung nach Super-Tagebuch-Schreiber. Die Bücher sind wie ein kleiner Blick in den Alltag, oft über zwei Seiten pro Tag mit allen Einzelheiten. Trends oder Therapieentscheidungen lassen sich aber nicht so leicht daraus ablesen. Wir lassen den Eltern das Tagebuch in dem Umfang, wie sie es für sinnvoll empfinden, und oft wird das Tagebuch dann nur noch zwischen Kita und Eltern hin- und hergereicht.
Die Auswertung der Daten mit einer Software und die gemeinsame Besprechung am Telefon alle vier Wochen ist für die Eltern, wie sie mir versichern, “eine große Sicherheit”, “ein fester Termin im turbulenten Alltag ” bzw. “ein bisschen Verpflichtung, gemeinsam genau hinzusehen”.
Die Eltern laden dafür die Daten in eine Software und senden dazu die “Untertitel” in einer E-Mail mit ein paar wichtige Fakten zum vergangenen Monat, und wir laden die Daten von dort in unseren Klinik-PC. Gemeinsam betrachten, bestaunen und analysieren wir (neugierig, aber nicht kritisch) das, was sich im kleinen Kinderkörper so abgespielt hat. Diese Art der Telemedizin wird leider noch gar nicht vergütet, aber die Politik hat durchaus erkannt, welches Potential in der Telemedizin liegen kann. Die Teilnahme an dieser Art von Betreuung ist freiwillig und nicht jede Familie möchte das.
Die meisten Kinder laufen mit einem CGM-System deutlich besser also zuvor, also entweder niedriger im Gesamtniveau oder mit weniger Schwankungen oder mit weniger Unterzuckerungen, und vor allem schlafen viele Eltern wieder nachts durch. Der Preis, den die Familien zahlen müssen, ist aber noch ein wenig mehr “Diabetesarbeit” am Kind.
Nur manchmal erlebe ich es, dass Eltern so große Angst vor Unterzuckerungen haben, dass sie auch dem Sensor nicht recht trauen wollen. Sie bleiben bei einer “Sicherheitseinstellung”, messen weiterhin zehn Mal täglich den Blutzucker. Aber auch diese Eltern berichten oft von einer großen Entlastung – und das zählt erst mal auch. Auf lange Sicht müssen Eltern aber dann doch dem Sensor und der Technik mehr und mehr vertrauen lernen und diese Technik für die Optimierung der Stoffwechsellage ihres Kindes nutzen.
Wenn ich Eltern schule, dann frage ich mich oft, welcher CGM-Wunsch-Typ sie wohl sind. Wie auch ein Smartphone ganz unterschiedlich genutzt werden kann, so kann auch ein CGM-System unterschiedlichen Wünschen dienen (siehe Kasten oben).
Manchmal erleben wir, dass Eltern mit dem CGM-System hoch erfolgreich – gemessen am HbA1c-Wert meist im Sechs-Prozent-Bereich – unter sehr hohem Engagement die Therapie wie ein Experte führen. Ich spüre, dass sie die Kontrolle behalten wollen, den unberechenbaren Diabetes durch exzellente Führung “bezwingen” wollen, was ihnen auch gelingt. Manchmal habe ich aber auch Sorge, ob hinter dem Experten-Engagement nicht auch noch unverarbeitete Schuldgefühle und Sorgen stecken, die mit viel Technik und Kontrolle in Schach gehalten werden sollen.
Egal, welcher CGM-Wunsch-Typ, Eltern sollten natürlich immer eine gute Stoffwechsellage als Ziel haben, denn dies ist wie das Einzahlen auf ein unsichtbares Gesundheitssparbuch des Kindes – aber es ist nicht alles. Eltern sollten auch die Selbständigkeitsentwicklung ihres Kindes fördern, sein Selbstwertgefühl stärken und ihm helfen, seine Talente zu entdecken, denn auch diese Aspekte und viele mehr haben einen hohen Wert auf dem Konto des Lebens.
Ich wünsche mir sehr, dass in der nahen Zukunft viele Menschen mit Typ-1-Diabetes und natürlich vor allem Kinder Zugang zu einem CGM-System bekommen, denn abgeben will es wirklich keine Familie mehr. Wenn die Angst beherrscht werden kann, dass die Krankenkasse die Kostenübernahme wieder zurückzieht, dann erlebe ich über die Jahre, dass Eltern mit einer sensorunterstützten Pumpe an ihrem Kind viel entspannter und weniger ängstlich sind. Ich sehe Kinder, die ganz normale Erfahrungen machen können, weil die Angst vor Unterzuckerungen bei anderen Betreuungspersonen (Freunde der Familie, Großeltern, Trainer) deutlich abnimmt.
Entscheidend ist, das Kind altersgemäß an die Therapie heranzuführen, es also nicht noch strenger zu kontrollieren, sondern auch die Chance zu nutzen, es mit dem CGM-System “gesichert” und so selbständig wie ein altersgleiches Kind aufwachsen zu lassen. Dafür müssen ihm die Sensordaten kindgerecht erklärt werden.
Neulich habe ich abends bei einem befreundeten Paar auf den sechsjährigen Sohn aufgepasst. Nach dem Abendbrot wollte ich wissen, wie der Trend ist. J. nahm seine Pumpe, tippte kurz darauf herum und sagte: “Ich habe 169 mit zwei Pfeilen nach oben”, grinste und wendete sich wieder hochkonzentriert seinem Lieblingstrickfilm zu. J. geht noch nicht zur Schule, aber Zahlen und Pfeile und ob er jemanden Bescheid sagen muss, darin ist er schon Profi. Ich habe innerlich gelächelt und mich entspannt zurückgelehnt, und das wünsche ich Ihnen auch.
Familien, in denen ein kleines Kind mit Diabetes lebt, sind besonders stark belastet. Eine sensorunterstützte Insulinpumpe (Insulinpumpe und ein dazu passendes CGM-Gerät) kann für sie eine große Entlastung sein. Wichtig ist eine gute Schulung, auch die regelmäßige Besprechung der Daten mit dem Diabetesteam ist sinnvoll. Meistens bessert sich durch die sensorunterstützte Pumpe die Diabeteseinstellung. Ein großer Vorteil ist, dass das Kind selbständiger aufwachsen kann – eine Möglichkeit, die Eltern auch unbedingt nutzen sollten.
von Dr. Simone von Sengbusch
Diabetologin DDG, Oberärztin
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck,
E-Mail: Simone.vonsengbusch@uksh.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2016; 9 (2) Seite 8-10
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