Sag’ ich Bescheid? Oder sag’ ich’s besser nicht …

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© Steve Brookland
Sag’ ich Bescheid? Oder sag’ ich’s besser nicht …

Marcus Overmann hat mit seinen Kindern Tauchurlaub gemacht, auf Elba. Dort interessierte ihn, ob die Tauchbasis mit Diabetes etwas anfangen kann. Denn klar ist: Tauchen ist nur dann ungefährlich, wenn du alles im Griff hast. “Als tauchender Diabetiker musst du besonders viel im Griff haben”, sagt unser Autor.

Elba im Juli 2015. Die Insel ist ein einziges Blütenmeer, grün, in voller Pracht, es duftet nach Kräutern. Lufttemperatur im Schnitt über 30 Grad, wir freuen uns schon richtig auf das Meer. Ich habe meinen Kindern schon lange den Tauchschein versprochen. Und jetzt haben wir eine Woche gebucht, in Morcone. Hier gibt es eine deutschsprachige Tauchschule, was es Paula und Vincent leichter machen dürfte, den Tauchschein zu bestehen.

Tauchen mit Diabetes – meist völlig unwissende Tauchschulen

Ich habe seit 17 Jahren den OWD-Tauchschein (Open Water Diver), und natürlich will auch ich tauchen. Aber wie soll ich es dieses Mal anstellen? Gleich Bescheid sagen, dass ich Typ-1-Diabetiker bin? Davon haben die doch gar keine Ahnung, denke ich mir. In vergangenen Tauchurlauben bin ich meist auf völlig unwissende Tauchschulen gestoßen. Habe dort zwar gesagt, dass ich Diabetiker bin, aber das hätte ich mir auch sparen können, weil es, wenn überhaupt, nur Bedenkenträger gab.

Bei der Anmeldung hier auf Elba, in der Tauchschule Aquanautic in Morcone, lege ich die Karten gleich auf den Tisch. Mal sehen, wie die damit umgehen. “Kann ich meinen Insulin-Pen mit an Bord nehmen und dazu Traubenzucker? Und könnt ihr das so verschließen, dass es trocken bleibt?”

“Kein Problem”, sagt Björn, der Chef der Tauchschule, “das können wir.” “Bist du Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker?”, fragt mich dann Verena, eine der Tauchlehrerinnen. “Und willst du an Bord vor dem Tauchen den Blutzucker nochmal kontrollieren? Dann packen wir auch dein Blutzuckergerät ein.” Und ich bin jetzt erst einmal überrascht – wir kommen ins Plaudern.

Disziplin und Verantwortung heißen die Stichworte beim Tauchen

Ich will wissen, wieso die sich auskennen und welche Erfahrungen sie mit Diabetikern haben: “Spielen die mit offenen Karten, wenn sie zu euch zum Tauchen kommen, oder sind Diabetiker eher zurückhaltend?”, will ich wissen.

Björn antwortet: “Es gibt beide Gruppen. Die, die gleich sagen, was los ist, und die, die das mit sich allein ausmachen. Das sind leider die meisten. Für uns ist es aber viel, viel leichter, wenn wir wissen, wer da mit uns taucht. Denn wir wollen, dass unsere Taucher sicher sind. Und angenommen, ein Taucher unterzuckert, dann könnten wir helfen, so weit es geht. Aber nur dann, wenn wir auch wissen, dass der Taucher Diabetiker ist.” Wenn sie es wissen, erklärt Verena, dann fragt sie vor dem Tauchgang, wie es um den aktuellen Blutzuckerwert steht.

“Wir können dir als Diabetiker zur Seite stehen, gar keine Frage”, sagt Björn, “aber am Ende bleibst du allein verantwortlich. Du musst wissen, wie deine Werte sind und wie du dich damit fühlst. Du musst entscheiden, ob du tauchen kannst. Wir können in niemanden hineinschauen.” Dann fragt mich Verena, ob mein HbA1c im Rahmen sei. “6,4”, antworte ich und sie nickt zufrieden.

Alles läuft problemlos beim ersten Tauchgang

Am Nachmittag folgt mein erster Tauchgang: Corbelli, der Affenfelsen. Der liegt direkt vor Morcone, mit dem Motorboot keine 5 Minuten entfernt. Wir sind 8 Taucher. Man taucht immer zu zweit, weil einer auf den anderen aufpasst. Mein “Buddy” ist Florian, ein junger Biologe, der mir die Unterwasserwelt erklärt.

Vor dem Tauchgang lege ich die Insulinpumpe ab, die wäre nach spätestens einem Meter Wassertiefe für alle Zeiten erledigt; mein Blutzucker beträgt 135 mg/dl (7,5 mmol/l), ich trinke noch einen Becher Orangensaft. Ausrüstung sitzt, Taucherbrille auf, Atemregler in den Mund, dann die Rolle rückwärts von der Reling ins Wasser. Wow, das ist irre schön!

Wir tauchen 45 Minuten, auf maximal 16 Metern. Die Sicht ist gut, ich entdecke Muränen, Fischschwärme und darin Raubfische, Barrakudas. Aber das Allerschönste ist, schwerelos zu sein und unter Wasser atmen zu können. Wer das mal gemacht hat, weiß, was ich meine.

Als ich 45 Minuten später aus dem Wasser komme, beträgt der Wert 115 (bzw. 6,4). Bis ich die Pumpe wieder angelegt habe, zurück in der Tauchbasis, sind 1,5 Stunden vergangen. Achtung, jetzt müsste der Blutzucker schnell wieder hochgehen, ich gebe mir 3 Einheiten zusätzlich – passt, er bleibt unter 140 (bzw. 7,8).

Unterzuckerung unter Wasser wäre eine Katastrophe

“Was macht ihr eigentlich, wenn ein Diabetiker unter Wasser unterzuckert?”, frage ich Björn. “Wir würden ihm Cola geben oder Traubenzucker, sobald er wieder an Bord ist”, sagt er. “Aber wenn er tiefer taucht, so dass er erst eine Dekompressionspause einlegen muss beim Auftauchen, dann wird es komplizierter.” Erklärung: Wer z. B. 30 Meter tief taucht und sich dort 20 Minuten aufhält, der muss bei einer Tiefe von 3 Metern unbedingt einen 5-minütigen Stopp einlegen, um den Stickstoff wieder abzuatmen, den er zusätzlich aufgenommen hat. Sonst droht eine Taucherkrankheit.

“Ich habe mich schlau gemacht”, sagt Björn, “es gibt flüssigen Traubenzucker, den der Taucher auch unter Wasser einnehmen könnte. Die Betonung liegt auf könnte, denn das muss der Diabetiker selbst entscheiden. Nochmal: Wir können die helfende Hand reichen. Aber der Taucher mit Diabetes, der muss die Verantwortung übernehmen!”

In der Zwischenzeit habe ich vier weitere Tauchgänge absolviert, und Paula und Vincent haben ihren Tauchschein bestanden. Wir können jetzt zusammen tauchen. Das Boot der Tauchschule fährt zu einem Schiffswrack in Pomonte. Die Fahrt bringt Spaß, ab und an, wenn eine Welle kommt, hüpft das Boot übers Wasser. Die Sonne scheint. Wir ankern neben einem Handelsschiff, das 1972 gesunken ist; es liegt zwischen 5 und 18 Metern.

Froh, über den Diabetes Bescheid gesagt zu haben

Der Tauchgang beeindruckt, wir sehen Fischschwärme durchs Wrack ziehen, man kann sogar ein bisschen hineintauchen. Bilanz: Wir haben die Unterwasserwelt bestaunt, wir haben einen leichten Sonnenbrand mitgebracht … und einen tollen Urlaub verbracht. Und ich bin froh, dass ich Bescheid gesagt habe – das mit dem Diabetes.


von Marcus Overmann

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (11) Seite 42-44

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