Als Diabetikerin diskriminiert bei „Dinner in the Dark“

5 Minuten

Community-Beitrag
Als Diabetikerin diskriminiert bei „Dinner in the Dark“

Es ist inzwischen schon vier Jahre her, dass mein Mann Christoph und ich beim „Dinner in the Dark“ in der Hamburger Speicherstadt im Stockdunkeln ein 3-Gänge-Menü essen wollten. Wir hatten von ein paar Freunden zu unserer Hochzeit einen Gutschein für dieses Event geschenkt bekommen und freuten uns darauf, in absoluter Dunkelheit von blinden Kellnern ein Überraschungsmenü serviert zu bekommen.

Ich war neugierig, ob ich im Dunkeln Messer und Gabel finden würde, ohne dabei mein Glas umzustoßen. Und ich fragte mich, ob ich die verschiedenen Bestandteile des Essens identifizieren könnte, ganz ohne sie zu sehen. Genau diese Idee steckt auch hinter dem „Dinner in the Dark“ – ebenso wie hinter „Dialog im Dunkeln“. Der Gast soll ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, ganz ohne visuelle Sinneseindrücke zu leben bzw. zu essen.

Karte Dinner in the Dark
Quelle: Antje Thiel

Wie soll ich Kohlenhydrate schätzen, wenn ich nichts sehe?

Unsere Plätze waren längst reserviert, als mir ein paar Tage vor dem Termin der Gedanke kam, dass ich im Dunkeln und bei einem unbekannten Essen ja gar nicht abschätzen kann, wie viele Kohlenhydrate in dem Überraschungsmenü enthalten sind. Das machte mich nach damals gerade einmal zwei Jahren Diabeteskarriere ziemlich nervös.

Also versuchte ich, telefonisch herauszubekommen, wie viele Kohlenhydrate das Menü enthält, das uns serviert würde. Denn dann hätte ich vorher, so lange wir uns noch im Hellen aufhalten, schon mal mein Insulin spritzen können. Ich wollte mich – ebenso wie alle anderen Gäste – unbedingt überraschen lassen, eben weil ich gern wissen wollte, ob man Speisen tatsächlich erkennt, wenn man nicht weiß, was da vor einem liegt, weil man nicht sehen kann. Der Mitarbeiter der Telefonzentrale verband mich weiter zu einem netten Menschen, der mir zwar keine Antwort auf meine Frage geben konnte, aber versprach, mit dem Koch zu sprechen.

Verbunde Augen_Pixabay
Quelle: Pixabay

1100 Kilokalorien ergibt nie und nimmer 268 Gramm Kohlenhydrate!

Als er mich eine Weile später zurückrief, sagte er: „Der Caterer wusste es nicht so genau, hat nur eine Zahl gesagt, nämlich 1100. Er wusste aber nicht, ob das Kilokalorien oder Broteinheiten oder so sind. Hilft Ihnen das weiter?“ Ähh, nein, das half mir natürlich überhaupt nicht weiter. Der Mitarbeiter der Telefonzentrale bot mir an, dass er mir auch das Menü verraten könne, damit ich im Vorfeld selbst schätzen könnte. Doch genau das ist ja nicht Sinn der ganzen Aktion. Also vereinbarten wir, dass er weiter recherchieren und mir bis zum Tag unseres Essens – zwei Tage später – eine neue Antwort geben würde.

Nachdem die Leute bei „Dinner in the Dark“ dann zwei Tage lang Zeit hatten, herauszufinden, wie viele Kohlenhydrate in dem Menü stecken, bekam ich einen Rückruf, in dem man mir wieder nur mitteilte: „Das Menü hat 1100 ähh… vermutlich Kalorien.“ Gefolgt von einer E-Mail, in der es hieß: „Da mir außer der Mengenangaben von 1100 Kilokalorien je Menü kein weiterer Wert zur Verfügung steht, gehe ich von max. 268,29 g Kohlenhydraten aus (1 g Kohlenhydrate liefert 4,1 kcal oder 17,1 kJ). Ich hoffe, die Information hilft Ihnen weiter.“

Ich war sauer und schrieb eine böse E-Mail

Nach diesem Armutszeugnis – lernen Köche denn in ihrer Ausbildung nicht, woraus Nahrung besteht, und können bei Bedarf auch mal Nährwerte ausrechnen? – war ich dann wirklich sauer.

Ich mailte zurück: „Vielen Dank für Ihre Antwort, mit der ich leider überhaupt nichts anfangen kann. ‪In keiner Speise auf diesem Erdball stammen sämtliche Kalorien ausschließlich aus Kohlenhydraten (Zucker und stärkehaltige Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Nudeln, Reis, Getreide). Auch Fett und Eiweiß (Fleisch, Milchprodukte, Hülsenfrüchte etc.) sind wichtige Energielieferanten. Dass in einer Mahlzeit sämtliche Kalorien aus Kohlenhydraten stammen, ist völlig ausgeschlossen. ‪Wenn ich mir die für 268 g Kohlenhydrate erforderliche Insulinmenge vor dem Essen spritzen würde, wie insulinpflichtige Diabetiker es nun einmal tun müssen, dann könnten Sie gleich einen Notarztwagen bestellen, der mich im Verlauf des Abends wegen lebensgefährlicher Unterzuckerung in die nächste Klinik fährt.

‪Ich bin ziemlich verwundert, dass Sie auch nach zwei Tagen Recherche keine verwertbare Antwort auf eine sehr simple Frage liefern können. Jeder Koch muss in der Lage sein, die Frage nach einem zumindest ungefähren Kohlenhydratanteil in den von ihm zubereiteten Mahlzeiten zu beantworten, denn er entscheidet ja vermutlich nicht erst heute Nachmittag, welche Nahrungsmittel er für das Dinner heute Abend einsetzen wird. ‪Zumal in einer Einrichtung wie ,Dialog im Dunkeln‛, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Öffentlichkeit über die Lebenswirklichkeit von Blinden zu informieren. Es ist ja kein Geheimnis, dass ein Großteil der Erblindungen auf Diabetes zurückzuführen ist. Es wird auch sicher häufiger mal vorkommen, dass ein blinder Diabetiker mit Freunden oder Verwandten zum „Dinner in the Dark“ kommt, um sie für einen Abend mit seiner Lebenswirklichkeit als Blinder vertraut zu machen.

Bitte geben Sie mir im Lauf des Nachmittags noch eine verlässliche Antwort, denn ich habe kein Interesse daran, für ein Dinner meine Gesundheit zu riskieren. Sollte es Ihnen nicht möglich sein, diese einfache Frage zu beantworten, gehe ich davon aus, dass wir unsere Buchung auf einen Zeitpunkt verschieben können, an dem Sie die Kohlenhydratmengen in Erfahrung gebracht haben. ‪Danke für kurze Rückmeldung.“

„Ihr Mann kann doch mit jemand anderem hingehen!“

Daraufhin rief mich der Mitarbeiter der Zentrale erneut an. Er habe beim Caterer alle Leute aufgescheucht, aber niemand habe ihm sagen können, wie viele Kohlenhydrate das Essen hat. Und dass er es natürlich verstehen könne, wenn ich das jetzt nicht riskieren möchte. Aber mein Mann könnte ja auch mit jemand anderem hingehen statt mit mir.

Ich erklärte ihm, dass wir den Gutschein zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten und daher auch gern zusammen hingehen würden. Er antwortete mir, er werde das so an seine Clearing-Stelle weiterleiten, damit die darüber entscheiden, ob unser Gutschein auch zu einem späteren Zeitpunkt noch gültig ist. Es war das erste Mal, dass ich mich wegen meines Diabetes diskriminiert fühlte.

Die Rückmeldung des blinden Diabetikers kam leider zu spät

Später irgendwann nahm noch einmal jemand von „Dialog im Dunkeln“ Kontakt mit mir auf, vielleicht gehörte er ja zu dieser ominösen Clearing-Stelle. Er erklärte mir, er habe auch Typ-1-Diabetes und sei genau deshalb erblindet. Er war schockiert, wie man mit meiner Anfrage umgegangen war. Denn letztlich hatte man mir das Gefühl vermittelt, mit meiner persönlichen Einschränkung namens Diabetes dort nicht erwünscht zu sein. „Barrierefrei“ sollte schließlich heißen, dass es für jede Sorte Einschränkung keine Hindernisse gibt, die Betroffene von einer Teilnahme ausschließen. Und wo sollte man das erwarten dürfen, wenn nicht in einem Vorzeige-Inklusionsprojekt wie „Dialog im Dunkeln“ bzw. seinem Ableger „Dinner in the Dark“?

Wir unterhielten uns eine ganze Weile über das Leben mit Diabetes und er erzählte mir einiges darüber, wie es sich mit Diabetes lebt, wenn man zu allem Überfluss auch nicht mehr sehen kann. Er zeigte Verständnis, dass mir erst einmal die Lust auf einen Besuch im „Dinner in the Dark“ vergangen war. Doch mein Gutschein sei weiterhin gültig, und er versprach, dass ich ihn jederzeit anrufen könne, wenn ich meine Meinung ändern würde. Dann würde er höchstpersönlich herausfinden, wie viele Kohlenhydrate in dem Menü enthalten sind. Das klang alles wirklich nett, und diesem Co-Diabetiker hätte ich auch zugetraut, dass er meine Anfrage korrekt beantworten kann. Doch irgendwie hatten mein Mann und ich das Interesse verloren. Unseren Gutschein haben wir bis heute nicht eingelöst. Eigentlich schade.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Kopfschmerzen, schwarze Flecken und jede Menge Angst – Teil 2 

Vor einiger Zeit berichtete Lesley, wie sie mit Kopfschmerzen und einem merkwürdigen Gefühl in den Augen aufwachte. Diagnose: Einblutungen in der Netzhaut – es folgten Laserbehandlungen, Augenoperationen und die Nachsorge. Doch damit er es leider noch nicht vorbei. Wie es weiterging, erzählt Lesley hier im zweiten Teil.

3 Minuten

Community-Beitrag

Wie ist es um das Wissen über Diabetes und den Umgang mit Betroffenen an Schulen bestellt?

Um herauszufinden, wie viel ­Wissen über Diabetes an Schulen vorliegt und wie betroffene Kinder und Jugendliche in ihrem Schulalltag inkludiert sind und zurechtkommen, haben Schülerinnen und Schüler aus Eisenach dazu eine Umfrage durchgeführt.
Wie ist es um das Wissen über Diabetes und den Umgang mit Betroffenen an Schulen bestellt?

6 Minuten

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • moira antwortete vor 1 Woche

      Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

Verbände