Behinderung ist nicht gleich Invalidität

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Behinderung ist nicht gleich Invalidität

Rechtsanwalt Oliver Ebert gibt Ihnen in der Diabetes-Journal-Rubrik Rechteck Antworten auf rechtliche und soziale Fragen rund um das Thema Diabetes.

Frage:

Ich habe ein Problem mit einem Versicherer: Meine 17-jährige Tochter Anika bekam letztes Jahr die Diagnose Typ-1-Diabetes und wurde daraufhin vom Versorgungsamt als schwerbehindert (GdB 50) ein- gestuft. Ich hatte für sie eine Unfallversicherung abgeschlossen. Als Zusatz hatte ich den “Junior Plus”-Tarif abgeschlossen, der auch Leistungen bei Krankheits-Invalidität beinhaltet.

Nun erkennt die Versicherung den GdB von 50 (Schwerbehinderung) vom Versorgungsamt nicht an und sagt, sie hätten eigene Bewertungskriterien. Außerdem möchte die Versicherung ein Gutachten bei unserem behandelnden Arzt in Auftrag geben. Dafür müsste ich den Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Alternativ boten sie mir einen einmaligen Betrag in Höhe von 25 000 Euro an, dann wäre die Sache erledigt. Sie würden damit einen GdB von 25 unterstellen und anerkennen.

Ein Gutachten könne sich jedoch auch negativ für uns auswirken, so dass keine oder eine Schwerbehinderung mit geringerem Grad anerkannt würde. In meinem Versicherungsschein stehen folgende Versicherungssummen:”Unfall- oder Krankheits-Invalidität: 100 000 €; Vollinvalidität: 200 000 €; Invaliditätsleistung durch Krankheit ab einem Invaliditätsgrad von mind. 25 %.”

Nun meine Fragen: Muss die Versicherung nicht den GdB von 50 vom Versorgungsamt anerkennen? Ist es sinnvoll, sie bei einem Gutachten zu unterstützen und den Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden? Soll ich mich mit den 25 000 Euro abfinden lassen? Müssten die mir nicht 100 000 Euro bezahlen, da im Versicherungsschein steht: “Invaliditätsleistung durch Krankheit ab einem Invaliditätsgrad von mindestens 25 %”?

Dagmar M.

Oliver Ebert:

In der Tat ist der vom Versorgungsamt festgestellte Grad der Behinderung (GdB) nicht identisch mit dem Invaliditätsgrad im Sinne der Versicherung. Letzterer berechnet sich anhand einer Gliedertaxe. Bei Verlust oder vollständiger Funktionsunfähigkeit eines Organs oder Körperteils wird hierfür anhand eines vorgegebenen Kriterienkataloges (dieser ist in der Regel auch Bestandteil der Versicherungsbedingungen) ein Invaliditätsgrad festgestellt.

Der Verlust eines Daumens durch einen Unfall führt z. B. in der Regel zu einem Invaliditätsgrad von 20 Prozent. Bei Ihrer Versicherung würde die Zahlungssumme dann 20 000 Euro (20 Prozent von 100 000 Euro) betragen.

In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob das Organ oder Körperteil wirklich komplett funktionsuntauglich ist bzw. fehlt; nur dann würde der volle Betrag ausbezahlt. Ist jedoch noch eine Restfunktion verblieben, wird das Ausmaß der Gebrauchsminderung festgestellt. Wäre der Daumen beispielsweise versteift, aber noch zu 50 Prozent nutzbar, würde die Versicherungsleistung auch nur 10 000 Euro betragen (50 Prozent von 20 000 Euro).

Die Versicherung muss also die Schwerbehinderung nicht anerkennen. Damit der mit dem Diabetes verbundene Invaliditätsgrad überhaupt beurteilt werden kann, muss der Versicherung grundsätzlich eine ärztliche Begutachtung ermöglicht werden. Es trifft Sie insoweit eine Mitwirkungspflicht.

Ob die angebotene Summe ausreichend ist, kann ich ohne Kenntnis weiterer Umstände natürlich nicht seriös einschätzen. Sie sollten sich hierzu mit Ihrem Arzt besprechen und diesen um seine Einschätzung des Invaliditätsgrades bitten. Beachten Sie allerdings, dass mit einem solchen Vergleichsangebot oftmals der Verzicht auf sämtliche weitere Ansprüche verbunden ist. Möglicherweise wird die Versicherung dadurch für die Zukunft faktisch wertlos. Umgekehrt könnte sich auch ergeben, dass am Schluss womöglich sogar noch ein niedrigerer Invaliditätsgrad herauskommt und/oder sie erst nach langjährigem Rechtsstreit eine Zahlung erhalten.

Bevor Sie ein solches Angebot der Versicherung annehmen, sollten Sie es auf jeden Fall von einem Fachanwalt für Versicherungsrecht (Adressen bei der Anwaltskammer) prüfen bzw. sich hierzu beraten lassen. Möglicherweise kann er auch noch etwas mehr für Sie “herausholen”.

Der Passus “Invaliditätsleistung durch Krankheit ab einem Invaliditätsgrad von mind. 25 %” bedeutet übrigens nicht, dass Sie mit Erreichen von 25 Prozent gleich Anspruch auf die volle Summe hätten. Vielmehr ist hiermit gemeint, dass die Versicherung nur dann leisten muss, wenn mindestens ein Invaliditätsgrad von 25 Prozent besteht. Liegt der Invaliditätsgrad darunter, besteht dagegen gar kein Leistungsanspruch.


von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de

Internet: www.diabetes-und-recht.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (7) Seite 55

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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