- Aus der Community
Das Problem ist strukturell und heißt Ableismus
3 Minuten
Beim Brainstorming für diesen Text wurde ich von einer Masse Situationen überrollt, von denen ich hier berichten könnte. Erlebnisse in der Uni und am Arbeitsplatz. Aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Restaurants oder mit der Familie. Oder bei Antragsstellungen, wie in dem Beispiel: Ein Antrag auf Nachteilsausgleich – zwei Urteile. Diese Reihe könnte ich jetzt noch lange so weiterführen.
Alle Situationen, die in meinem Kopf aufpoppen, haben gemeinsam, dass ich mich auf Grund von Diabetes und/oder anderen Be_hinderungen oder (chronischen) Krankheiten unwohl gefühlt habe oder benachteiligt wurde. Dass mein Handeln ungefragt kommentiert wurde, ich Sprüche abbekommen habe, die offene Wunden gefüttert haben, oder mir meine Kompetenzen abgesprochen wurden.
Gibt es die „Schuldigen“?
Früher haben mich solche Situationen in der Regel hilflos und verletzbar zurückgelassen und bei mir immer wieder die Frage nach dem „Warum?“ eröffnet.
Auf der Suche nach „Schuldigen“, nach einer Person, die ich für meine Erfahrungen verantwortlich machen kann, schien es häufig der logischste Schluss, dass ich selbst diese Person sein müsse. Natürlich kam diese Schlussfolgerung immer im Komplett-Paket mit Gedanken wie: „Hätte ich mich nur mehr angestrengt“, der kleinen Schwester von: „Stell dich nicht so an“, und auch immer dabei war: „Du steigerst dich da rein.“
Irgendwann ist dieses Gefühl der Hilflosigkeit und eigenen Schuldzuweisung einer brodelnden Wut gewichen. Mittlerweile lassen mich solche Situationen meistens einfach nur wütend und ernüchtert zurück.
Zu verstehen, was für strukturelle Probleme hinter meinen persönlichen Erfahrungen stecken, hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass ich in meinem eigenen Umgang mit Diskriminierungserfahrungen heute bin, wo ich bin.

Damit möchte ich weder ignorieren, wie wichtig auch der Austausch über eigene Erlebnisse sein kann und wie sehr es mich häufig bekräftigt hat (und immer noch tut) zu hören, dass ich mit meinen Erfahrungen nicht alleine bin. Noch möchte ich solch eine Auseinandersetzung als selbstverständlich und notwendig darstellen. Ich bin mir bewusst, wie privilegiert es ist, dass ich heute hier sitze und diesen Text so schreiben kann. Strukturen in ihrer Komplexität mehr und mehr verstehe und die Ressourcen hatte, meinen heutigen Wissensstand erreicht haben zu dürfen. Kein Wissen dieser Welt oder Verständnis für strukturelle Gegebenheiten kann persönliche Diskriminierungserfahrungen ersetzen oder nachvollziehbar machen.
Strukturelle Diskriminierung
Diskriminierung findet in der Regel strukturell statt. Sie betrifft verschiedene Minderheiten oder Gruppen, die in existierenden Herrschaftsverhältnissen weiter unten positioniert werden.
Als Ableismus (aus dem engl. to be able = fähig sein) wird die Diskriminierungsform bezeichnet, die sich gegen be_hinderte oder chronisch kranke Personen richtet. „Der Ableismus geht von einem physischen Standard des Menschen aus, den eine behinderte Person nicht leisten kann. Der behinderte Mensch ist demzufolge ‚minderwertig‘. Auf sozialer Ebene bedeutet es, dass Menschen mit Behinderung als ausgeschlossen und unsichtbar gelten.“ (https://leidmedien.de/begriffe/)
Aus diesem vorausgesetztem physischen Standard resultieren Barrieren, stereotype Vorstellungen und Vorurteile, die sich bei uns als betroffene Personen in nervigen Kommentaren, großen bürokratischen Hürden oder ungefragtem Anfassen unserer Pumpen oder Sensoren niederschlägt.
Ableismus bedeutet auch, dass diese vermeintlich kleinen Erfahrungen, die wir im Alltag machen, seit vielen Jahren strukturell verankert sind. Sie lassen sich in der Regel in ein großes Netz aus ähnlichen Erfahrungen einordnen. Die Tatsache, dass Strukturen es für bestimmte Personen nahezu unmöglich machen, an bestimmte Macht- und Entscheidungspositionen zu gelangen, trägt maßgeblich dazu bei, dass dieses System unhinterfragt weiter (re-)produziert und aufrechterhalten wird.
Als ich angefangen habe, das zu verstehen, sind die Schuldzuweisungen in meinem Kopf, die mich immer wieder selbst getroffen haben, langsam leiser geworden. Manchmal kann ich mich nicht „einfach mehr anstrengen“. Unterzuckerungen kommen und gehen, wann, wie und wo sie wollen. Ein weniger ableistisches System würde Raum dafür schaffen. Es würde Lösungen finden, damit ich mich nicht hin und wieder doch dabei erwische, verstecken zu wollen, dass ich gerade unterzuckere, weil die Situation einfach unpassend ist.
Das Gesicht von Ableismus
Wie sehr Ableismus in unseren gesellschaftlichen Strukturen verankert ist und dabei weder unabhängig von Kapitalismus noch von anderen Herrschaftsstrukturen (z.B. Sexismus, Rassismus oder Klassismus) wirkt, ist schwer greifbar. Ableismus schlägt sich in unserer Sprache nieder. In Standardarbeitszeiten von 40 h pro Woche. Oder darin, was Menschen über Krankheiten (nicht) wissen/lernen und wie diese medial dargestellt werden.
Wir leben in einer Gesellschaft, die den Wert einer einzelnen Person an deren Produktivität misst. Die logische Folge ist: Alle, die langfristig oder temporär nicht mithalten können oder mehr Barrieren im Alltag haben, müssen deutlich mehr Aufwand betreiben, um dasselbe Ziel wie viele ableisierte Personen erreichen zu können.
Für all das gibt es pauschal keine Lösung. Strukturelle Veränderungen sind immer langfristige Kämpfe. Aber ein Anfang wäre es, anderen Personen mit Diabetes ihre (Diskriminierungs-)Erfahrungen anzuerkennen und uns, sowie andere be_hinderte und kranke Personen, in Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen, um möglichst viele unterschiedliche Realitäten und Alltage abbilden zu können und Lösungen anhand unserer Bedürfnisse gestalten zu können.
Auch Vivi kennt den Moment, in dem die äußeren Strukturen zu Selbstzweifeln führen: SELBSTDISKRIMINIERUNG – die Verinnerlichung gesellschaftlicher Vorurteile. Ihr Umgang damit ist aber ein anderer.
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Tagen, 15 Stunden
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 4 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 4 Tagen, 9 Stunden
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 2 Tagen, 9 Stunden
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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