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Darf ich als Diabetiker noch Auto fahren? Hat man den ersten Schock der Diabetes-Diagnose überwunden, kommt meist recht schnell die Sorge um den Führerschein auf. Die Erlaubnis, am Straßenverkehr teilzunehmen und mobil zu sein, ist für die meisten Menschen von enormer Bedeutung und nicht selten auch Grundlage der beruflichen Existenz. In diesem Beitrag geben wir Ihnen einen Überblick über die rechtlichen Hintergründe.
Um das Risiko im Straßenverkehr so gering wie möglich zu halten, dürfen nur Menschen ein Fahrzeug führen, die körperlich, geistig und charakterlich dazu geeignet sind. Das bedeutet: Jeder Fahrer muss sein Auto, sein Motorrad, den Bus oder LKW jederzeit beherrschen und darf keine Ausfallerscheinungen zeigen, weil er z. B. Alkohol getrunken hat oder Medikamente einnehmen musste und deshalb einschläft, zu langsam reagiert oder einen Tunnelblick hat. Die Überprüfung, wer geeignet oder ungeeignet ist, ein Fahrzeug zu führen, obliegt der zuständigen Straßenverkehrsbehörde.
Die Straßenverkehrsbehörde (meist das zuständige Landratsamt) muss daher entscheiden, was zu tun ist, wenn jemand ein erhöhtes Risiko hat, wegen einer Krankheit oder sonstiger Gründe plötzlich bewusstlos und/oder fahruntauglich zu werden. Dies kann z. B. bei Patienten mit Epilepsie der Fall sein: Ein epileptischer Anfall auf der Autobahn kann in einer Katastrophe enden.
Auch Diabetiker, die Insulin spritzen oder blutzuckersenkende Tabletten nehmen, können durch eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) die Kontrolle verlieren und einen Unfall verursachen. Bei der Bewertung der Fahreignung hat sich die Führerscheinbehörde an den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zu orientieren.
Nach aktueller Datenlage gibt es in Deutschland ca. 7,6 Millionen Diabetiker; dies dürfte einem Anteil von ungefähr 10 Prozent aller Führerscheininhaber entsprechen. Trotz dieses hohen Anteils an der Gesamtzahl der Führerscheininhaber gibt es bislang aber keine Belege dafür, dass Diabetiker ein relevant höheres Risiko im Straßenverkehr darstellen.
Bei vielen Unfällen, bei denen Unterzuckerungen eine Rolle spielten, dürften in erster Linie Verhaltensfehler die eigentliche Ursache gewesen sein. Zu nennen sind als Gründe hier vor allem eine zu seltene Messung des Blutzuckers, eine falsche Insulin- oder Medikamentendosierung, die Verwechslung der Insulinsorte oder eine Unterzuckerung nach vorausgegangenem Alkoholkonsum.
In den amtlichen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist daher klargestellt, dass „gut eingestellte und geschulte Menschen mit Diabetes“ grundsätzlich sowohl PKW als auch LKW sicher führen können – dies gilt auch für die Personenbeförderung (z. B. in Taxis, Omnibussen). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Unterzuckerungen rechtzeitig wahrgenommen werden.
Handlungsempfehlungen zur Bewertung finden Ärzte in der wissenschaftlichen Leitlinie „Diabetes & Strassenverkehr“ der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
Bei Diabetes hängt das Risiko einer „Gefährdung der Verkehrssicherheit […] in erster Linie vom Auftreten einer Hypoglykämie mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen“ ab.
Die Begutachtungsleitlinien unterteilen die Führerscheinklassen dazu in zwei Gruppen:
Führer von Fahrzeugen der Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T
„Bei Therapie mit Diät, Lebensstilanpassung oder medikamentöser Therapie mit niedrigem Hypoglykämierisiko besteht keine Einschränkung, solange eine ausgeglichene Stoffwechsellage besteht und keine die Fahreignung in sonstiger Weise ausschließenden Folgekomplikationen vorliegen. Bei Therapie mit hohem Hypoglykämierisiko ist bei ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung nach Einstellung und Schulung das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 möglich, Stoffwechselselbstkontrollen werden empfohlen. […]“
Führer von Fahrzeugen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (FzF)
„Für das Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 ist grundsätzlich eine stabile Stoffwechselführung über drei Monate nachzuweisen. Bei Therapie mit oralen Antidiabetika mit niedrigem Hypoglykämierisiko müssen regelmäßige ärztliche Kontrollen gewährleistet sein. Bei Therapie mit höherem bzw. hohem Hypoglykämierisiko (Sulfonylharnstoffe und ihre Analoga, Glinide, Insulin) ist neben regelmäßigen ärztlichen Kontrollen alle drei Jahre eine fachärztliche Begutachtung erforderlich. Diese Untersuchung soll von einem Facharzt mit nachgewiesener diabetologischer Qualifikation, in der Regel einem Facharzt für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin, vorgenommen werden. […]“
Bei der Bewertung der Fahreignung sind in erster Linie das Unterzuckerungsrisiko und die Fähigkeit zur Unterzuckerungswahrnehmung wichtig. „Wiederholte schwere Hypoglykämien im Wachzustand“ schließen in der Regel die Fahreignung so lange aus, bis wieder eine „hinreichende Stabilität der Stoffwechsellage sowie eine zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien“ sichergestellt ist. „Schwere Hypoglykämie“ meint dabei die „Notwendigkeit von Hilfe durch eine andere Person“. „Wiederholte Hypoglykämie“ bedeutet das „zweimalige Auftreten einer schweren Hypoglykämie innerhalb von 12 Monaten“.
Kam es also innerhalb eines Jahres mehr als einmal zu einer so schweren Unterzuckerung, dass man sich nicht mehr selbst helfen konnte bzw. sogar notärztliche Hilfe benötigte, darf man bis auf Weiteres nicht mehr Auto fahren.
Für die Fahreignung spielen nicht nur Unterzuckerungen eine Rolle. Nach den Begutachtungsleitlinien schließen auch Überzuckerungen „mit ausgeprägten Symptomen wie z. B. Schwäche, Übelkeit oder Bewusstseinsbeeinträchtigungen“ das Führen von Kraftfahrzeugen aus.
Auch die mit einer Therapieumstellung verbundenen Risiken sind zu beachten. Die Leitlinie sagt hierzu: „Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erstmals oder wer neu eingestellt wird, darf kein Fahrzeug führen, bis die Einstellphase nach ärztlicher Einschätzung durch Erreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage (insbesondere bezüglich der Normalisierung des Sehvermögens sowie der Wahrnehmung von Hypoglykämien) abgeschlossen ist.“
Dies bedeutet: Unter Umständen können auch sehr hohe Blutzuckerwerte die Fahreignung vorübergehend ausschließen. Es gibt zwar keine starren Normwerte, aber Arzt und Patient müssen die jeweilige Situation verantwortungsvoll einschätzen. Beachten Sie hier unbedingt die Hinweise, die Sie von Arzt und Diabetesberatung erhalten.
Allerdings führt der Diabetes nur selten dazu, dass die Fahreignung dauerhaft beeinträchtigt bzw. ausgeschlossen ist. Denn sobald eine „zuverlässige Wahrnehmung von Hypoglykämien“ wieder sichergestellt ist, kann die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen meist wieder attestiert werden.
Nach den Begutachtungsleitlinien kann die Fahreignung in der Regel „auf der Grundlage einer fachärztlichen (diabetologischen) Begutachtung durch geeignete Maßnahmen wie das Hypoglykämiewahrnehmungstraining, Therapieänderungen und vermehrte Blutzuckerselbstkontrollen wieder hergestellt werden“.
Es stehen daher zahlreiche Instrumente zur Verfügung, um die Teilnahme am Straßenverkehr wieder zu ermöglichen. Als Maßnahme der Therapieänderung könnte beispielsweise der Umstieg auf Insuline mit anderem Wirkprofil in Frage kommen. Häufig kann bereits eine erhöhte Anzahl an Blutzuckerselbstkontrollen dazu beitragen, dass man die Stoffwechsellage besser einschätzen bzw. vorhersehen kann, so dass überraschende Hypoglykämien vermieden werden können.
Auch durch den Einsatz eines kontinuierlichen Glukosemonitoring-Systems (CGM-System) und der damit verbundenen Alarmierungs- und Warnmöglichkeit bei abfallenden Glukosewerten lassen sich die mit einer Hypoglykämiegefahr verbundenen Risiken minimieren.
Wenn Sie vom Arzt ein „ärztliches Fahrverbot“ erhalten, sollten Sie dieses unbedingt beachten. Wer dies ignoriert, der macht sich – auch ohne Unfall – in der Regel gemäß § 315c StGB (Strafgesetzbuch) strafbar. Kommt es zu einem Unfall, muss man zusätzlich mit einer Strafbarkeit nach weiteren Normen (u. a. §§ 222, 229 StGB) sowie Leistungsausschlüssen bzw. Regressen der Haftpflichtversicherer rechnen, da das Ignorieren begründeter ärztlicher Weisungen grundsätzlich als grob fahrlässig anzusehen ist.
Jeder Autofahrer mit Diabetes muss sicherstellen, dass Unterzuckerungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden können, ohne dass es deswegen zu einem Unfall kommt.
Die Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft empfiehlt u. a. folgende Maßnahmen:
von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (3) Seite 26-29
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