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Diabetes belastet die ganze Familie – vor allem, wenn das Kind erwachsen wird. Wie die Behandlung junger Typ-1-Diabetiker weitergeht, wenn sie nicht mehr vom Kinderarzt betreut werden können, diskutierten Diabetesexperten bei der Vorab-Pressekonferenz zur Herbsttagung 2016 der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin.
Ausbildung, Studium, Ortswechsel, weg von den Eltern – junge Menschen mit Typ-1-Diabetes sind eine Risikogruppe. “Diese Lebensphase mit tiefgreifenden Veränderungen wie die erste Liebe oder Auslandsaufenthalten ist schon für stoffwechselgesunde Heranwachsende schwierig”, erklärte Prof. Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer aus Bad Mergentheim. Rund 17.500 Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren und knapp 13.000 Jugendliche zwischen 14 bis 19 Jahren leben derzeit in Deutschland. Etwa 30.500 Kinder und Jugendliche haben demnach Typ-1-Diabetes. Und sie werden natürlich älter.
Für junge Patienten mit 18 heißt es dann, Abschied zu nehmen von der vertrauten kinder- und jugendspezifischen (pädiatrischen) Ambulanz – und ab sofort von einer diabetologischen Einrichtung für Erwachsene, meist einer Schwerpunktpraxis, betreut zu werden. Für die Jugendlichen ist das meist ein großer Schritt. Hier spricht die Wissenschaft von der “Transition”, die bedeutende Übergänge im Leben eines Menschen beschreibt.
Im Krankheitsverlauf mit Typ-1-Diabetes bis zum Erwachsenwerden haben diese jungen Diabetespatienten die schlechteste Blutzuckereinstellung. Das zeigt eine aktuelle Analyse von 16.000 Personen mit Typ-1-Diabetes aus den USA. In der Lebensspanne zwischen dem 5. und 32. Lebensjahr liegt der HbA1c-Wert im Schnitt deutlich zu hoch. Erst danach werde die von Diabetologen empfohlene Grenze des Langzeitblutzuckerwerts von 7,5 Prozent erreicht, so Kulzer.
Auch in Deutschland ist die Situation ähnlich. Kinder mit Typ-1-Diabetes liegen ab dem 10. Jahr durchschnittlich über dieser Marke und unterschreiten sie erst 16 Jahre später wieder. Hinzu kommt, dass junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Unterzuckerungen und lebensbedrohliche Ketoazidosen zeigen, u. a. wegen ihres Alkohol- und Drogenkonsums und einem potenziell höheren Gefährdungspotenzial, das sich in dieser Gruppe nachweisen lässt.
“Die Transition von der pädiatrischen in die internistische Diabetesbetreuung in dieser Lebensphase voller Umbrüche sollte begleitet werden, z. B. durch Übergangssprechstunden”, betonte er. Dies fordern auch internationale sowie nationale Leitlinien der DDG. Schon ein Jahr zuvor ist es ratsam, mit den Jugendlichen und deren Eltern über den Übergang zur Erwachsenenmedizin zu sprechen, sie in Schulungen auf diesen Einschnitt vorzubereiten. Das empfiehlt ein Positionspapier führender pädiatrischer Organisationen, allen voran die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft (ADA).
Strukturierte Ansätze fehlen allerdings in Deutschland. Das “Berliner TransitionsProgramm” (BTP), ein Projekt der DRK Kliniken Berlin, gemeinsam entwickelt mit dem IGES Institut und von der Robert Bosch Stiftung unterstützt, will den Übergang von der Kinder- zur Erwachsenenmedizin für chronisch Kranke verbessern. Kernelement ist ein zentrales Fallmanagement, das den Transitionsprozess mithilfe speziell qualifizierter Mitarbeiter über einen Zeitraum von 2 Jahren steuert.
“Neben dem persönlichen Leid hat das Thema ja auch ökonomische Bedeutung”, sagte Dr. Silvia Müther, Vorstandsvorsitzende des Berliner TransitionsProgramms. Die Behandlungskosten bei schlecht eingestelltem Diabetes würden sich wegen akuter und chronischer Komplikationen verdoppeln und weitere indirekte Krankheitskosten verursachen, u. a. durch die Störung der sozialen und beruflichen Entwicklung. Das BTP gibt es inzwischen bundesweit und es wird – als bislang einziges – von den Krankenkassen finanziert.
Ein neues, stationäres Interventionskonzept für junge Diabetiker, die Schwierigkeiten mit ihrem Diabetes-Selbstmanagement haben, entsteht derzeit auch in Bad Mergentheim. Der Fokus liegt u. a. auf speziellen Schulungsinhalten und einem individuellen Behandlungsplan. “Mein Projekt, mein Ding mit Diabetes”, so der Diplom-Psychologe. Darum ginge es.
“Viele Menschen mit Diabetes bewältigen auch unter hohen Anforderungen ihr Leben sehr gut”, sagte Prof. Dr. Klaus Badenhoop, Tagungspräsident der DDG-Herbsttagung. Höchstleistung mit Diabetes zeigt z. B. Stefanie Blockus aus Hannover, u. a. Redakteurin der Blood Sugar Lounge und Marathonläuferin. Der Typ-1-Diabetes sei ein “24-Stunden-Job”. Für ihr Selbstmanagement setzt sie alles ein, was die moderne Diabetes-Technologie momentan hergibt: die kontinuierliche Glukosemessung (CGM), das Flash-Glukose-Monitoring-System (FGM) und die Insulinpumpe.
“Das erlaubt mir einen aktiven Lebensstil”, unterstrich sie. “Ohne CGM bzw. FGM einen Marathon zu laufen oder starkem beruflichem Stress ausgesetzt zu sein, endet meist in Blutzuckerkatastrophen”. Die Diabetes-Blogs sind voll von solchen Erfahrungsberichten – auch Kulzer beschreiben Diabetiker immer wieder ähnliche Situationen. “Technik ist der Treiber der Diabetestherapie”, schloss er.
von Angela Monecke
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (12) Seite 58-59
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