- Soziales und Recht
“Rückgang der Versorgungsqualität erfüllt uns mit Sorge”
3 Minuten
Beispiel Baden-Württemberg: Wie werden Diabetiker heute in Deutschland behandelt? Wo hakt es? Hier das Interview mit Elke Brückel, Vorsitzende des DDB-Landesverbandes Baden-Württemberg, und Prof. Reinhard Holl aus Ulm.
Diabetes-Journal (DJ): Frau Brückel, kurz vor dem Weltdiabetestag laden Sie nach Stuttgart ein zu einem großen Informationstag. Wieso ist so etwas wichtig?
Elke Brückel: An diesem Tag, der jährlich am 14.11. auf der ganzen Welt begangen wird, sollte das Thema Diabetes in aller Munde sein – vor allem auf politischer Ebene. Dass dieses Thema in den letzten Jahren im Sozialministerium in Stuttgart angekommen ist, sehen wir an der Einrichtung eines Fachbeirates Diabetes und des daraus resultierenden Maßnahmenplans, der gerade verabschiedet wurde. Dennoch erleben wir einen Rückgang der Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes, die uns mit Sorge erfüllt.
DJ: Herr Prof. Holl, was würden Sie in der Klinikdiabetologie in Baden-Württemberg sofort verbessern, wenn Sie könnten: nichts?
Prof. Dr. Reinhard Holl: Die Diabetologie in der Klinik hat sich in den letzten 2 Jahrzehnten dramatisch verändert: Diabetesbehandlung, Schulung, Therapieumstellung findet fast nicht mehr in der Klinik statt. Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus hat sich stark verkürzt. Klassische Diabetes-Schulungskurse sind deshalb im Krankenhaus fast nicht mehr möglich.
Menschen mit Diabetes sind heute fast nur wegen Folgeproblemen, zum Beispiel Gefäßerkrankungen, Diabetischen Fußsyndroms oder wegen diabetesunabhängiger Probleme im Krankenhaus wie Hüft- oder Knieoperationen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat hierauf reagiert und neue Anerkennungsverfahren geschaffen: “Klinik für Diabetespatienten geeignet”, auch neue Fortbildungsmaßnahmen für Pflegepersonal in der Klinik und vieles mehr.
DJ: Herr Prof. Holl, wie schätzen Sie die Qualität der Diabetologie in Baden-Württemberg ein? Und wie die Diabetologie in Deutschland im internationalen Vergleich?
Holl: Wir klagen sicher auf hohem Niveau, sowohl aus baden-württembergischer Sicht als auch aus deutscher Sicht, wobei aber auch in anderen Ländern, etwa in Skandinavien, eine sehr gute Diabetesbetreuung angeboten wird. Trotzdem müssen wir uns weiterentwickeln, um den Herausforderungen, etwa der raschen Zunahme von Diabetes bei sehr alten Menschen, gewachsen zu bleiben.
DJ: Frau Brückel, welche Themen der Selbsthilfe sind für Sie die wichtigsten?
Brückel: Das Angebot evidenzbasierter Informationen rund um den Diabetes, auch mittels moderner Medien; persönliche Ansprechpartner auf Landes- und regionaler Ebene; Zugriff auf Erfahrungswissen anderer Betroffener, Hilfe und Unterstützung in der Bewältigung des täglichen Lebens mit Diabetes. Vor allem muss eine uneingeschränkte Teilhabe in allen Lebensbereichen gewährleistet sein.
DJ: … und welche konkreten Aufgaben und Ziele sehen Sie im DDB-Landesverband Baden-Württemberg?
Brückel: Den mündigen Patienten zu schaffen. Die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen bei gesundheitspolitischen Entscheidungen und bei Entscheidungen der Kostenträger müssen die gleiche Rolle spielen wie wirtschaftliche Aspekte, die derzeit leider allem übergeordnet sind. Weiteres Ziel ist der Ausbau unserer Geschäftsstelle zu einem Kompetenzzentrum, in dem Rat- und Hilfesuchende den passenden Ansprechpartner finden.
DJ: Herr Prof. Holl, gibt es genügend Diabetes-Experten in Baden-Württemberg – und flächendeckend gute Klinikdiabetologie?
Holl: Das Problem ist vor allem die Erreichbarkeit außerhalb der Ballungszentren wie Stuttgart, Karlsruhe oder Freiburg. Gerade ältere Menschen mit Diabetes sind aber weniger mobil und benötigen eine wohnortnahe Betreuung. Aber auch viele kleinere Kliniken in Baden-Württemberg bieten Menschen mit Diabetes eine sehr gute Betreuung an. Der Kostendruck für diese kleineren Kliniken in der Diabetologie ist aber heute immens.
Ab 14 Uhr gibt es zum Beispiel Fußparcours, Blutzuckermessung, HbA1c-Messung und Beratungen sowie Hilfe bei sozialen Fragen und Kinderschminken. Ab 17 Uhr geht eine politische Veranstaltung über die Bühne mit 3 Impulsvorträgen à 10 Minuten zum Thema: “Diabetiker in Baden-Württemberg – gut versorgt von Jung bis Alt?”
Programminformationen unter www.ddb-bw.de.
DJ: Frau Brückel, welche Highlights sehen Sie für die Besucher des Informationstages in der Liederhalle?
Brückel: Neben einer Reihe an Informationen für Jung und Alt im Vortragssaal werden im Foyer verschiedene Messungen wie HbA1c angeboten, außerdem ein Fußparcours, praktische Ernährungstipps für den Alltag, aber auch Kinderschminken ist vorgesehen. Ein Vortrag widmet sich Kindern mit Diabetes in der Pubertät, ein anderer dem Diabetes im Alter und dem Diabetischen Fußsyndrom. Besonders interessant finde ich die politische Diskussion zum Thema “Menschen mit Diabetes – gut versorgt von Jung bis Alt?”. Hier würden wir uns wünschen, dass diese auf das Interesse der Betroffenen stößt.
DJ: Herr Prof. Holl, gibt es in Baden-Württemberg einen guten Austausch zwischen den Diabetes-Experten und den Hausärzten …?
Holl: Insgesamt sicher ja, aber der Durchschnitt sagt nicht immer etwas über den Einzelfall aus. Hier sind Hausarzt, Diabetologe und Patient gemeinsam gefordert.
DJ: … und zwischen Diabetologen in Schwerpunktpraxen und in Kliniken?
Holl: Wie erwähnt, hat sich die Rolle der Akutkliniken für Menschen mit Diabetes dramatisch gewandelt. Klassische Diabetologie, wie etwa Insulin-Ersteinstellung oder Therapieumstellung, erfolgt heute meist ambulant. Die praktische Erfahrung der Ärzte – aber auch der Beratungs- und Schulungsteams – ist deshalb häufig aus der Klinik in die Schwerpunktpraxis gewandert.
Interview: Günter Nuber
Chefredaktion Diabetes-journal,
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (11) Seite 56-57
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 4 Tagen, 20 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 5 Tagen, 17 Stunden
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 5 Tagen, 16 Stunden
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike