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Landgericht Berlin, Saal 143, 21. Juni, 12 Uhr: Verhandlung Medisana AG / Institut für Diabetes-Technologie Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH an der Universität Ulm (IDT). Grund des Rechtsstreits: Teststreifen, die ungenau messen und damit die Patientensicherheit gefährden.
Was passiert, wenn ein Forschungsinstitut, das zu einer Universität gehört, die Messgenauigkeit eines Blutzuckermessgeräts aus einem Supermarkt testet, dabei feststellt, dass es ziemlich ungenau misst, und die Ergebnisse seiner Untersuchung den Teilnehmern des Diabetes Kongresses Anfang Mai in Berlin auf einem Poster zeigen will?
“Es wird unter Androhung einer Strafe von 250.000 Euro vom Hersteller des Blutzuckermessgeräts gezwungen, den Namen des Messgeräts nicht zu nennen! Die Folge: Die Autoren der Studie schneiden aus dem Poster alle Flächen heraus, auf denen der Name des Geräts steht oder ein Foto zu sehen ist. Glauben Sie, dass das Ganze erfunden ist? Leider nicht .” Dies schrieb die Diabetes-Journal-Autorin Dr. Katrin Kraatz in der Juni-Ausgabe (Freie Forschung in Gefahr?) – sie hatte das Poster mit den ausgeschnittenen Stellen bei der Tagung entdeckt.
Nun: Das Gericht hat die einstweilige Verfügung aufgehoben (LG Berlin, 21.06.16, Aktenzeichen: 27 O 200/16). “Wir sind sehr froh, dass der Richter die unter hohem Zeitdruck gefällte Entscheidung nach gründlicher Prüfung der Sachlage revidiert und die einstweilige Verfügung aufgehoben hat”, sagt Dr. Guido Freckmann, Geschäftsführer des Instituts für Diabetes-Technologie (Ulm).
“Das Urteil ist eine Bestätigung der Qualität unserer Arbeit und stärkt die Wissenschaftsfreiheit gegenüber kommerziellen Interessen in unserem Land. Die Veröffentlichung von Studienergebnissen, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ ausfallen, kann wesentlich zur Erhöhung der Patientensicherheit beitragen.”
Hintergrund der juristischen Auseinandersetzung: Eine Charge mit grob unzuverlässigen Blutzuckerteststreifen wurde vom Medizinproduktehersteller Medisana (“Curamed Blutzuckermessgerät Modell CM”) über den Discounter Aldi Süd vertrieben. Die Ungenauigkeit der Teststreifen hat das IDT in einer Studie ermittelt. Die Ergebnisse des Prüflabors dürfen jetzt in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden.
Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), kritisiert, dass weder der Hersteller noch der Discounter Anstrengungen unternommen hätten, die fehlerhaften Teststreifen zurückzurufen. “Durch diese Unterlassung geht Aldi Süd das Risiko ein, Patientenleben zu gefährden”, so der DDG Präsident.
Die Streifen seien an 100 Patienten mit Blut aus der Fingerbeere getestet worden, erklärt Freckmann. Dabei wurde streng nach wissenschaftlichen Standards vorgegangen. Bei der erforderlichen Genauigkeit fielen die Tests mangelhaft aus. “Besonders im niedrigen Blutzuckerbereich lagen die Messwerte deutlich zu hoch und waren geeignet, eine drohende Unterzuckerung zu verschleiern”, betont Prof. Dr. Lutz Heinemann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie der DDG.
Die Streifen hatten Werte gemessen, die im Schnitt um 16 Prozent zu hoch waren. “Dies stellt eine Patientengefährdung dar”, sagt Heinemann; zum Beispiel, wenn der Diabetespatient ins Auto steigt und denkt, sein Blutzucker wäre in Ordnung – obwohl der aktuelle Wert vielleicht viel zu niedrig ist.
Dass bislang keine Rückrufaktion – weder von Medisana noch von Aldi Süd – vorgenommen wurde, ärgert den DDG-Geschäftsführer Dr. Dietrich Garlichs: Dem Discounter läge seit 13. Mai die Pressemitteilung der DDG über die schlechten Testergebnisse vor. “Aldi Süd hätte seiner Sorgfaltspflicht nachkommen und sich im Sinne der Patientensicherheit erkundigen müssen”, erklärt er.
Auch der Bayerische Rundfunk hatte über die unzuverlässigen Teststreifen berichtet. “Wegschauen kann bei Medizinprodukten großen Schaden verursachen, Transparenz hingegen schafft Vertrauen”, so der DDG-Geschäftsführer.
Die Fachgesellschaft ist auch darüber erstaunt, dass sich die Aufsichtsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), bislang ebenfalls nicht zu den bedenklichen Messergebnissen geäußert hat.
von Angela Monecke
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (8) Seite 42-43
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