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Nie wieder Blutzucker messen? Nein, auch die besten Glukosesensoren lassen diesen Wunschtraum leider noch nicht ganz in Erfüllung gehen. Die meisten Diabetiker, die einen Sensor tragen, können die Zahl der erforderlichen Blutzuckermessungen aber wesentlich reduzieren.
Blutzuckermessungen haben im Vergleich zu einem Sensor einen ganz zentralen Vorteil: Bei sorgfältig durchgeführter Messung ist ein Blutzucker-Test normalerweise sehr genau und verlässlich. Als Referenzmethode ist die Blutzuckermessung daher auch im CGM-Zeitalter unentbehrlich.
Blutzuckermessungen sind auch mit Sensor zwingend erforderlich …
„Traditionelle“ CGM-Systeme müssen vom Anwender mit Blutzuckerwerten kalibriert werden: das System Dexcom G5, die Systeme von Medtronic und Medtrum sowie das implantierbare System Eversense XL von Roche.
Bei einer Kalibrierung teilt der Anwender dem CGM-System einen aktuellen Blutzuckermesswert mit. Erst anhand der Kalibrierung kann der CGM-Empfänger die vom Sensor gemessenen elektrischen Signale, die den Gewebezucker widerspiegeln, als einen „scheinbaren Blutzuckerwert“ darstellen – sprich die „CGM-Glukose“.
Bis zur ersten Kalibrierung zeigen die Systeme keine Glukosewerte an (je nach System 1 bis 2 Stunden nach Sensorlegen), in der Folge muss je nach System ca. 2-mal täglich nachkalibriert werden. Eine Kalibrierung sollte man nur durchführen, wenn der Zuckerverlauf stabil ist, denn in diesen Phasen stimmen Gewebe- und Blutzuckerspiegel am besten überein.
Die genannten CGM-Systeme müssen regelmäßig nachkalibriert werden, in der Regel mindestens alle 12 Stunden. Was passiert, wenn man diese Aufforderung einfach ignoriert? Einige Systeme zeigen weiterhin Glukosewerte an, erinnern aber ausdauernd an die Notwendigkeit einer Kalibrierung (Dexcom, Medtrum). Andere Systeme sind nicht so „gnädig“, zeigen kurze Zeit später keine Werte mehr an (Medtronic) oder fallen sogar in die Initialisierungsphase des Sensors mit unpraktisch häufigen Kalibrierungen zurück (Roche).
Einige der neueren CGM-Systeme sind bereits werkseitig kalibriert, d. h. der Anwender muss nicht mehr routinemäßig Blutzuckerwerte eingeben.
Für die Patienten wird es ohne Kalibrieren deutlich einfacher, für die Hersteller aber umso komplizierter. Es ist sehr anspruchsvoll, Sensoren jeden Tag nicht nur vieltausendfach herzustellen, sondern dies auch mit höchster Präzision hinzubekommen – denn das ist nötig, um auf die Kalibrierung durch den Anwender zu verzichten. Zwei Hersteller haben bereits derartige Sensoren auf dem Markt.
Die „kalibrierfreien“ CGM-Systeme haben folgende Vorteile:
Mögliche Nachteile der „kalibrierfreien“ Systeme betreffen – wenig überraschend – vor allem die Messgenauigkeit. Zwar liefern diese Sensoren bei den allermeisten Patienten ausreichend präzise Werte. Bei einem Teil der Anwender hat das Unterhautfettgewebe aber offenbar nicht die vorgesehenen Eigenschaften, sodass die Sensoren dauerhaft zu hohe oder zu niedrige Messwerte liefern. Auch können einzelne Sensoren, Chargen oder Sensor-Anlagestellen ungenaue Messwerte produzieren.
Weitere physiologische Einflussgrößen sind möglich, z. B. der Hydrierungs-Zustand (evtl. weniger genaue Messwerte bei Flüssigkeitsmangel im Körper). Die Abweichungen sind in der Regel produkt- und patientenspezifisch und nicht vorhersehbar.
Dexcom G6: Auch bei diesem System ist eine patientenseitige Kalibrierung nicht zwingend erforderlich. Bei Bedarf kann der Sensor aber dennoch in traditioneller Weise kalibriert werden, sodass man die Kurve bei ungenauen Messwerten korrigieren kann.
(Stand Herbst 2019)
Wie häufig kommen bedeutsame Abweichungen vor? Zu dieser Frage gibt es keine zuverlässigen Daten. In den Hersteller-Studien werden sehr geringe Fehlerraten genannt, was sich dann im Alltagsbetrieb leider nicht immer bestätigt. Die größte Gefahr bei der Verwendung „kalibrierfreier“ Sensoren ist die Tendenz, sich blind auf die angezeigten Messwerte zu verlassen, ohne jemals den Blutzucker zu kontrollieren. Das ist zwar bequem, aber manchmal auch gefährlich!
Die Zulassung eines CGM-Systems als „kalibrierfrei“ bedeutet nicht automatisch, dass das System als Ersatz der Blutzuckermessung zugelassen ist – und andersherum. Außerdem sind bei jedem CGM-System Blutzuckerkontrollmessungen in bestimmten Situationen erforderlich, selbst wenn es als Ersatz der Blutzuckermessung zugelassen ist (siehe nächster Punkt).
Die meisten CGM-Systeme sind offiziell „nur“ als Ergänzung der Blutzuckermessung zugelassen. Gemäß den Zulassungsbestimmungen sollte weiterhin vor jeder Therapieentscheidung der Blutzucker gemessen werden. So ähnlich können Sie es im Kleingedruckten der Sensoren von Medtronic, Medtrum und Roche nachlesen. Es ist kein Geheimnis, dass erfahrene CGM-Anwender, die ihr System kennen und ihm vertrauen, dennoch im Wesentlichen nur noch zum Kalibrieren den Blutzucker messen.
In den letzten Jahren kamen neue Sensor-Generationen auf den Markt, deren Messgenauigkeit und Stabilität nochmals verbessert wurde. Diese Sensoren zeigten in den Zulassungsstudien z. B. eine MARD (mittlere absolute relative Abweichung) von unter 10 Prozent, sodass sie nun offiziell dafür zugelassen sind, die Blutzuckermessungen unter bestimmten Bedingungen zu ersetzen. Produktbeispiele und das „Kleingedruckte“ finden Sie links unten.
FreeStyle Libre und FreeStyle Libre 2
Eine Blutzuckermessung ist erforderlich bei rascher Glukoseänderung, wenn eine Hypoglykämie angezeigt wird, falls eine Hypoglykämie droht oder wenn der Glukosewert nicht zu den Symptomen passt.
Was interessiert Sie mehr: Wie gut Ihr Sensor in der Zulassungsstudie abgeschnitten hat (ermittelt vom Hersteller unter optimalen Bedingungen) oder wie genau der Sensor bei Ihnen persönlich im Alltagseinsatz misst? Na klar, letztlich entscheidend ist immer die Messgenauigkeit im Einzelfall. Wer wissen möchte, wie genau sein aktueller Sensor im Moment misst, oder wer Zweifel an der Messgenauigkeit seines CGM-Systems hat, der kann die „persönliche Messgenauigkeit“ näherungsweise relativ einfach bestimmen.
Voraussetzung ist ein verlässliches Blutzuckermessgerät (Kontrollmessungen in der Praxis!). Im Praxis-Tipp „Persönliche Messgenauigkeit“ ist beschrieben, wie man mit 10 Parallelmessungen von Blut- und Sensorglukose seine „persönliche MARD“ abschätzen kann.
Für die Auswertung gibt es Faustregeln. Die offiziellen Kriterien zur Messgenauigkeit z. B. der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (s. „CGM- und Insulinpumpenfibel“) funktionieren nur bei sehr großen Stichproben wie im Rahmen einer Zulassungsstudie mit über 1 000 Parallelmessungen. Im Einzelfall helfen diese Kriterien nicht weiter.
Unsere Empfehlung für den „persönlichen Gebrauch“ finden Sie im obigen Kasten. Doch Vorsicht: Da man zuhause nur mit einem Blutzuckermessgerät für den Patienteneinsatz und nicht mit einem Laborgerät messen kann (kein Referenzverfahren), ist das Ergebnis nur ein grober Anhaltspunkt für die Messgenauigkeit des CGM-Systems. Besprechen Sie das Ergebnis unbedingt mit Ihrem Diabetesteam.
Die Informationen stammen größtenteils aus: „CGM- und Insulinpumpenfibel“.
Autoren: Ulrike Thurm
Erste Vorsitzende der IDAA Sektion Deutschland e. V.,
Sportlehrerin, Diabetesberaterin
E-Mail: thurm@idaa.de
und Dr. med. Bernhard Gehr
Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie,
m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (12) Seite 28-31
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