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Eigentlich war ich immer der Überzeugung, dass unser soziales Sicherungssystem in Deutschland uns auch eine sehr gute medizinische Versorgung bietet. Eigentlich. Eigentlich ist das auch so. Denn im internationalen Vergleich schneiden wir sehr gut ab. Mal ehrlich, es ist ja auch nicht wirklich selbstverständlich, dass Krankenkassen beispielsweise teure Insulinpumpentherapien, bei denen allein die Pumpe an die 4000 € kostet, übernehmen. Besonders seit meiner Zeit in Indien ist mir das bewusst. Nichtsdestotrotz hat sich in den letzten Jahren hier in Deutschland ein bisschen was geändert, sodass viele von uns sich benachteiligt fühlen. Vielleicht liegt dieses „Jammern auf hohem Niveau“ auch gerade an dem unheimlich hohen Standard, den wir hier gewöhnt sind.
So wurde mein Bild zwischenzeitlich getrogen, als es in meiner Schwerpunktpraxis hieß: „Nein, mehr Streifen bekommen Sie dieses Quartal nicht!“ Ehrlich gesagt, dachte ich immer, „das passiert dir nicht als Typ-1-Diabetikerin und Pumpenträgerin“ – auch wenn man es natürlich schon oft von anderen Fällen gehört hat. Ich gebe zu, das war naiv. Pech gehabt. Für mich war das eine mittelschwere Katastrophe. Denn das Quartal war noch lang und es sollte doch auch noch für zwei Wochen in den Skiurlaub gehen. Ein Gespräch mit meinem Arzt ergab: Bei 600 Streifen im Quartal ist Schluss! Begründung: Auch die Ärzte sind angehalten, wirtschaftlich zu sein. Wer sein Budget stark (> 15 % überschreitet), muss in den Regress. Bei einem Regress muss der Arzt mit einer Geldstrafe von z.T. mehreren 10.000 Euros rechnen, was damit u.U. sogar die Existenz seiner Praxis bedrohen kann.
Aber wie, bitte, soll ich mit meinen stark schwankenden Werten, ca. 5 Trainingseinheiten pro Woche und meinen Job, durch den ich tagtäglich permanent mit dem Auto unterwegs bin, mit nur durchschnittlich 6 Messungen pro Tag auskommen?! Habe ich nicht extra eine Pumpe, um auf jegliche Situation im Leben reagieren zu können und meine Therapie nach entsprechender Messung anzupassen, um meine Lebensqualität so hoch wie möglich halten zu können? Ist nicht sogar in den Diabetesleitlinien niedergeschrieben, dass der Erhalt der Lebensqualität eines der höchsten Ziele bei Typ-1-Diabetes ist? Ausnahmsweise erlebte mich mein Diabetologe mal nicht freundlich und gut gelaunt, sondern pampig. Ich war sauer und fühlte mich mehr oder weniger ausgeliefert. Schließlich ging es hier irgendwie ein Stück weit auch um meine Existenz.
In der folgenden Zeit musste mein Freund eine Menge aushalten 😉 und ich musste lernen, meine Wut zu verarbeiten und die Situation zu akzeptieren. Denn anfangs war ich stinkwütend. Zunächst auf meinen Diabetologen. Dann irgendwie auch auf das soziale System und seine Umstände in Deutschland, auf die Politik.
Doch schnell wurde mir eins klar: Mein Diabetologe machte auch nur seinen Job. Wie viele Ärzte arbeitet er auch nur unter dem Druck der Krankenkassen und KVen (Kassenärztlichen Vereinigungen). Mit seinem Budget muss er viele Typ-1-Diabetiker versorgen, die alle Bedürfnisse haben wie ich. Viele unserer Ärzte müssen jedes Jahr wegen Budgetüberschreitung in den Regress und riskieren damit, ihre Kassenzulassung zu verlieren. Wenn ein Arzt diese verliert, darf er keine Patienten mehr aus der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln. Muss man sich also auch einmal vor Augen halten. Wie sieht es also mit den Krankenkassen und KVen aus, die diesen Druck ausüben?
Ja, die handeln doch auch nur im Rahmen dessen, was im Jahr durch Beiträge der arbeitenden Bevölkerung und Bundeszuschüssen eingenommen wird und für die vielen kranken Menschen in Deutschland wieder ausgegeben wird. Kann ich also auch verstehen. Es müssten also mehr gesunde und gut zahlende junge Menschen in die Versicherungen. Problem: Wir haben immer solche Menschen in Deutschland, die wenig einzahlen und/oder viel verbrauchen (z.B. durch demografischen Wandel und den Anstieg der Arbeitslosenquote). Daran können auch Politiker nichts drehen, denn sie können die Bevölkerungsstruktur auch nicht ändern.
Im Grunde genommen ist da doch wohl eher jeder von uns ein Stück weit selbst gefragt, etwas zum Gesamtwohl beizutragen – und wenn aus Rücksicht auf die anderen Menschen im (Gesundheits)system. Jeder von uns kann einen kleinen Beitrag leisten, beispielsweise indem man sich in irgendeiner Weise gesundheitsbewusst verhält. Das könnten ein paar Schritte Richtung ausgewogener Ernährung sein, ein bisschen (mehr?) Sport, ein paar Zigaretten weniger, und und und… Ich für meinen Teil will (nicht nur deswegen) also mein HbA1c, das u.a. unter dieser Situation ziemlich gelitten hat, unbedingt wieder in eine – für mich – schönere Zahl verwandeln.
Ich konnte also aus der misslichen Situation neue Ambitionen wecken. Das finde ich positiv. Aber nicht nur das. Mir ist noch etwas anderes bewusst geworden. Denn durch den Mangel an Streifen hat sich zwar dieser Weg etwas verengt, aber ich habe einen schönen Ausweichpfad gefunden, den ich sporadisch schon nutzte: CGM/FGM. Dieser Ausweichpfad kostet mein privates Budget zwar ordentlich Maut ;), aber das Geld gebe ich für meine Lebensqualität gerne aus. Und wer tut das nicht? Denn wenn wir z.B. einen Urlaub buchen, geben wird doch auch hunderte Euros für ein paar bessere Tage aus.
Manchmal kann also ein kleiner Perspektivwechsel helfen, einer misslichen Situation wieder positive Strategien abgewinnen zu können. Meine Navigation in diesem Chaos war übrigens das Laufen… 😉
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