Kein Koffer da in Kanada?

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Kein Koffer da in Kanada?

Voller Vorfreude stieg ich aus meinem soeben gelandeten Flugzeug und ließ die kanadische Luft zum ersten Mal durch meine Lungen strömen. Ich atmete tief durch. Es war geschafft! Erleichtert darüber, dass der langwierige Flug nun endlich vorüber war, folgte ich der Menge in Richtung der Passkontrolle. Bei jedem Schritt spürte ich, wie sich meine Anspannung nach und nach löste. Zugegebenermaßen habe ich nämlich schon angenehmere Flüge erlebt. Die über einstündige Verspätung wegen „technischer Probleme“ an der Maschine hat mich und noch weitere Passagiere langsam, aber sicher nervös werden lassen, weil die Zeit, um den Anschlussflug in Reykjavik zu bekommen, ohnehin knapp bemessen war. Die Bordcrew versicherte uns zwar, dass alle geplanten Anschlussflüge nicht ohne uns starten würden, aber ohne wirklich konkrete Informationen tappten wir trotzdem noch größtenteils im Dunkeln.

Ein mulmiges Gefühl

Kurz vor der Landung gab es dann die erlösende Nachricht: Das Flugzeug wartete noch auf die Passagiere des Fluges nach Toronto! In Reykjavik angekommen, ging es dann aber Schlag auf Schlag: Halb rennend, halb gehend eilte ich zum Gate, wo mich das Personal hektisch und dabei nur flüchtig die Bordkarte kontrollierend durchwinkte. Als ich völlig außer Atem und unter Strom meinen Platz einnahm, überkam mich schon zum ersten Mal ein mulmiges Gefühl. Ist mit meinem Gepäck alles gut gegangen? Hat es es rechtzeitig in das Flugzeug geschafft? Ich versuchte, diese böse Ahnung aus meinen Gedanken zu verbannen, und beschloss, ein bisschen zu schlafen. Ich hatte schließlich noch über 8 Stunden Flugzeit vor mir.

Das typische Anschnall-Symbol ploppte piepsend über mir auf und das monotone Klicken der Sicherheitsgurte bahnte sich kurz darauf seinen Weg durch die Sitzreihen. Verschlafen blinzelnd erwachte ich aus meinem Halbschlaf. Laut Durchsage befanden wir uns im Landeanflug auf Toronto. Noch 20 Minuten durchhalten. Ich streckte meine Beine. Meine müden Glieder sehnten sich nach Bewegung. Die sollten sie bald bekommen. Aber nicht nur sie sollten dann strapaziert werden.

Das böse Erwachen

Dann kam ich auch schon an der Passkontrolle an. Der Kontrolleur sah mich freundlich und erwartungsvoll an. Hastig kramte ich meinen Reisepass heraus und zeigte ihn vor. Ohne weitere Umstände passierte ich die Kontrolle und begab mich routiniert auf die Suche nach meinem Koffer. Business as usual, sollte man meinen.

Leider sollte ich mich täuschen. Das Gepäckband drehte nämlich stoisch seine Runden, ohne dass mein Koffer sich blicken ließ. Nach einer Viertelstunde geriet ich ins Schwitzen, denn das Band hatte angehalten und von meinem Gepäck gab es weiterhin keine Spur. Abgesehen von meinen Klamotten, die man ja auch vor Ort ersetzen könnte, wäre auch meine medizinische Diabetes-Versorgung größtenteils erstmal nicht verfügbar. Daher fragte ich das Personal umso dringlicher, ob das Gepäck irgendwo anders sein und an wen ich mich diesbezüglich wenden könnte. Ich wurde an einen Schalter der Airline geschickt, wo ich einen Wisch ausfüllte und dabei meine Koffer-ID angab, damit dieser zurückverfolgt werden konnte. Der Koffer würde dann die Tage an meine Adresse in Toronto geschickt werden.

Geknickt und nicht wirklich beruhigt verließ ich mit meinem Kumpel Leon, bei dem ich die zwei Wochen unterkommen durfte und der mich nicht nur diesen Abend mit seiner optimistischen Art immer wieder aufbaute, den Flughafen. Durch ihn habe ich auch die Zeit ohne Koffer in vollen Zügen genießen können!

Quelle: Luca Winklmüller

Pleitegeier

In meiner Situation ohne Koffer habe ich realisiert, wie wichtig es ist, gewisse Dinge wie Unterwäsche und vor allem Medikamente als Notration im Handgepäck dabeizuhaben! So konnte ich überhaupt erstmal über die Runden kommen und einen halbwegs kühlen Kopf bei der Rückholaktion meines vermissten Koffers bewahren, ohne direkt einen Arzt oder eine Apotheke aufsuchen zu müssen. Hinderlich war also zunächst nicht mein akuter Mangel an Medikamenten, sondern eher meine geschätzte Billig-Airline WOW air aus Island. Nach einem Tag in Kanada erreichte mich nämlich die Nachricht, dass sie Insolvenz anmelden musste und daher alle noch ausstehenden Flüge annulliert und die Angestellten größtenteils entlassen wurden. Also war jetzt auch noch mein Rückflug passé.

Das wirkte sich leider noch auf den Status meines Gepäcks aus. Die Mitarbeiter, die noch übrig und bei der Hotline der Airline für Gepäckverluste zuständig waren, haben mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass sie kein großes Interesse daran hatten, mir meinen Koffer zu beschaffen, geschweige denn, an meine Adresse in Toronto auszuliefern. Sie konnten mir noch nicht mal eindeutig sagen, wo mein Koffer momentan war. Er könnte in Reykjavik oder sogar in Frankfurt am Flughafen sein. Naja, ohne Bezahlung arbeitet wohl kaum jemand gern. Trotzdem stand ich zu dem Zeitpunkt ohne Koffer und ohne Rückflug da. Na toll!

Das ersehnte Wiedersehen

Nach gefühlt tausend verzweifelten Telefonaten und drei Tagen ohne wirkliche Fortschritte wurde mir endlich ein Termin angeboten, den Koffer um 20 Uhr vor Ort am Flughafen abzuholen. Ich sagte natürlich ohne große Umschweife zu und machte mich mit Leon als Begleitung auf den Weg. Als wir am Schalter ankamen und uns meldeten, hatte das Warten aber noch immer kein Ende. Denn der angekündigte Mitarbeiter, der mich zu meinem Koffer bringen sollte, hatte noch anderes zu erledigen und würde erst danach zu uns stoßen. Lange Rede, kurzer Sinn, er tauchte schließlich nach eineinhalb Stunden auf, in denen ich kaum ruhig sitzen konnte und mir alle möglichen Szenarien ausmalte, und bat mich inklusive meines Reisepasses mitzukommen. Leon durfte nicht mit.

Der Mann führte mich durch die Innereien des Flughafens. Wir passierten eine Polizeikontrolle, die meine Dokumente kurz checkte, und gingen durch eine letzte Tür. Dort stand er dann endlich: mein neongrün leuchtender Koffer! Ich freute mich wie bei einem Wiedersehen mit einem alten Freund. Jetzt gab es nur noch eine letzte Hürde zu bewältigen: den Zoll. Dort wurde mir sehr schnell klar, warum mein Koffer höchstwahrscheinlich nicht mit mir geflogen war. Die Zollbeamtin durchlöcherte mich nämlich mit Fragen nach meinen Diabetes-Medikamenten, allen voran meinen Notfallspritzen. Ich bemerkte beim Öffnen des Koffers auch, dass die Dinge darin schon zuvor durchsucht worden waren. Trotz Flugbescheinigung hat es mein Koffer vielleicht wegen meiner Diabetesausrüstung zunächst nicht geschafft.

Quelle: Luca Winklmüller

Happy End

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese zwei Wochen die bisher intensivsten in meinem ganzen Leben waren. Abgesehen von dem Stress mit dem Koffer durfte ich jeden Tag mit Leon als persönlichem Guide an meiner Seite Neues erleben, es wurde nie langweilig. Ob es nun die Arbeit mit den Kindern, der Besuch der Niagara-Fälle oder die Erkundung der Stadt war, ich hatte so viele Eindrücke zu verarbeiten, die mich jetzt noch immer flashen.

Quelle: Luca Winklmüller

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