Open-Source-AID-Systeme im diabetologischen Alltag

4 Minuten

© Jonas Bartels
Open-Source-AID-Systeme im diabetologischen Alltag

#WeAreNotWaiting – so lautet das Motto der stetig wachsenden Gemeinschaft der Menschen mit Diabetes, die ein Do-it-Yourself Artificial Pancreas System nutzen. Bei der Abschlusskonferenz des Projekts „OPEN“ wurde vorgestellt, was quelloffene AID-Systeme können, wie sicher sie sind und wo der Weg in Zukunft hinführen könnte. Es ging aber auch um die Hürden beim Zugang zu technologischen Neuerungen und darum, was noch geschehen muss, um sichere und wirksame Basistechnologie für alle Menschen, die mit Diabetes leben, zur Verfügung zu stellen.

Was geschieht, wenn Menschen mit Diabetes sagen #wearenotwaiting und die Weiterentwicklung der technologischen Unterstützung selbst in die Hand nehmen? Dann entstehen Projekte wie Nightscout, xdrip und allen voran DIY-Artificial Pancreas Systeme wie OpenAPS, AndroidAPS und Loop. Dazu werden die beiden Hardware-Komponenten, also eine Insulinpumpe und ein Glukosesensor, über eine Software verknüpft und ein Algorithmus reguliert die Insulindosierung. Ist das denn auch sicher? Was bedeutet so ein Open-APS-System für die Menschen im Alltag? Was sind Gründe, warum Menschen sich gegen ein Open-APS-System entscheiden? Wie können die Algorithmen noch besser werden, und was können wir aus den schon verfügbaren Daten lernen?

OPEN: kurzer Überblick

Diesen Fragen widmete sich in den vergangenen vier Jahren das EU-geförderte „Open“ Projekt. Ein internationales, interdisziplinäres Team bearbeitete Forschungsfragen in fünf Themenblöcken:

1. Klinische Evaluation und Richtlinien für Open Source-Lösungen in der Diabetologie
2. Patient-Reported Outcomes
3. Technische Weiterentwicklung
4. „Barriers to Scale-up“, also Gründe, aus denen Menschen keine Open Source-AID-Systeme nutzen
5. Kommunikation und Wissensvermittlung

In ihrer Abschlusskonferenz vor dem Start des ATTD in Berlin am 22.02.2023 stellte die Gruppe zentrale Ergebnisse aus der Arbeit der letzten vier Jahre vor und gab einen ersten Ausblick auf die nächsten Schritte – denn insbesondere die quantitative Datenanalyse im Hinblick auch die technische Weiterentwicklung der Algorithmen hat noch viele offene Fragen und Anknüpfungspunkte.

Was können Open-Source AID-Systeme und wie sicher sind sie?

Mit dieser Frage beschäftigte sich die erste Arbeitsgruppe innerhalb des OPEN-Projekts und konnte in mehreren Studien klar belegen: die System sind sicher und führen zu einer signifikanten Senkung des Hba1c-Wertes. Dr. med. Katarina Braune und Kolleg*innen haben 2021 eine große Studie im Journal of Medical Internet Research veröffentlicht, in der sie zeigen konnten, dass der Hba1c-Wert bei Menschen, die mit dem Loopen gestartet haben, im Schnitt von 7,14% auf 6,24% gesunken ist – und das unabhängig von Alter und Geschlecht der Looper. Parallel haben auch andere Gruppen an dem Thema Sicherheit von Open-Source Aid-Systemen gearbeitet und in einer Publikation im renommierten New England Journal of Medicine haben Mercedes Burnside und Kolleg*innen klar zeigen können, dass Open-Source Systeme mindestens genauso sicher wie kommerzielle AID-Systeme sind. Fazit: Open-Source AID-Systeme helfen, den HbA1c-Wert (und die Zeit im Zielbereich!) zu verbessern und sind sicher.

Was bringen Open-Source AID-Systeme für den Alltag?

Der Einfluss von Technologie auf die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes war schon bei der diatec im Januar ein großes Thema. Auch diese Frage haben sich die Forschenden vorgenommen und konnten anhand einer großen Umfrage zeigen, dass Menschen mit Open-Source AID-Systemen in fast allen untersuchten „Patient-Reported Outcome Measures“ besser abschneiden als die Vergleichsgruppe. Dazu gehört das generelle emotionale Wohlbefinden, die Lebensqualität mit Blick auf Diabetes (zwei verschiedene Fragebögen), die Zufriedenheit mit der Diabetesbehandlung, eine Reduktion des sogenannten Diabetes-Disstress sowie weniger Angst vor Unterzuckerungen. Ein weiterer Punkt, der als sehr positiv wahrgenommen wird: in den Open-Source AID-Systemen gilt (im Gegensatz zu den kommerziellen Systemen) echte Interoperabilität: Sensoren und Pumpen können relativ frei miteinander kombiniert werden. Neben dieser Umfrage-Studie haben sie auch qualitative, sogenannte auto-ethnographische Arbeit von Jonathan Garfinkel vorgestellt, der als Autor und Mensch mit Diabetes ein Diabetestagebuch schreibt und auswertet.

Technische Weiterentwicklung

Ein wesentlicher Teil der Open-Source AID-Community ist die kontinuierliche Weiterentwicklung der Systeme: Anpassungen an den hormonellen Zyklus rund um die Menstruation (siehe zum Beispiel Darius Mewes und Kolleg*innen 2022), einen Algorithmus, der frühzeitig Mahlzeiten erkennt und das Insulin entsprechend anpasst, oder der automatisch in ein Schichtsystem umstellt – Fragen und Aufgaben gibt es hier viele. Auch daran wird kontinuierlich weitergearbeitet und hier könnten Schwerpunkte für ein Folgeprojekt liegen.

Warum nutzen denn nicht alle ein Open-Source AID-System?

Nachdem die ersten Arbeitsgruppen auf unterschiedliche Arten die vielen Vorteile von Open-Source AID-Systemen dargestellt haben, bleibt natürlich die Frage: warum machen das nicht alle mit Diabetes? Und mit genau diesen Barrieren hat sich die vierte Gruppe beschäftigt (siehe Antonia Huhndt und Kolleg*innen 2022). Hierzu gehört das Problem, dass Open-Source AID-Systeme in der Regel außerhalb der üblichen Garantieren und Versicherungen laufen und ihre Anwendung auf eigene Verantwortung erfolgt. Aber auch die Tatsache, dass die Menschen, die sie nutzen, eine gewisse Offenheit und Affinität gegenüber technischen Themen brauchen und sich viel mit ihrer Therapie auseinandersetzen müssen. Denn ein AID-System, ob kommerziell oder nicht, ist trotzdem keine Heilung von Diabetes – Diabetes bleibt eine Erkrankung, die viel Arbeit und Aufmerksamkeit fordert. Davon abgesehen stehen auch technische Barrieren teils im Weg, denn ein AID-System kann nur funktionieren, wenn die Hardware auch verfügbar ist – vom Insulin über den Sensor und die Insulinpumpe bis hin zum Verbrauchsmaterial für die Pumpe, Internetabdeckung und Strom. Und: nicht jeder will oder kann diese Geräte am Körper tragen, sei es aufgrund gesellschaftlicher Stigmatisierung oder Pflaster-Allergien.

Kommunikation und Aufklärungsarbeit

Womit wir beim Thema Aufklärung wären: über Diabetes, über AID-Systeme, über die Schwierigkeiten, die es noch immer in vielen Ländern der Welt gibt, Insulin zu bekommen, über die Herausforderungen, wenn es Insulin gibt, dann auch die entsprechende technische Ausstattung zu bekommen, und so weiter. Und auch dazu war die Abschlusskonferenz des OPEN-Projekts eine gute Gelegenheit, genauso wie der ATTD im Anschluss.

Große Potenziale und Offenheit für Austausch

Das Projektteam hat klar gezeigt: die Open-Source Community kann viel erreichen, hat schon viel erreicht, und ist schon wieder einige Schritte vor den kommerziellen Systemen unterwegs, was beispielsweise Mahlzeiten ohne Bolusgabe angeht. Sufyan Hussain betont deswegen in der Diskussion: „Wir freuen uns, dass auch Vertreter der Industrie hier sitzen, denn wir wollen, dass die Lösungen, die wir entwickeln, auch unter die Leute kommen – also lasst euch gerne inspirieren und lasst uns miteinander reden!“ Diese Offenheit und der Austausch untereinander sind Aspekte, die auch die Menschen in der Looper-Community sehr schätzen: es ist immer jemand da, der hilft.


Dr. Mirjam Eiswirth
Redaktion diabetes-online
Verlag Kirchheim & Co GmbH
Wilhelm-Theodor-Römheld-Str. 14, 55130 Mainz

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