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Der Arzt der Hirte, die Patienten seine Schäfchen? In der Kolumne Zum guten Schluss stellt Alex Adabei fest, dass durch Diabetes starre Rollenverteilungen aufgebrochen werden.
Aus dem Wartezimmer ist ein mehrstimmiges Blöken zu hören. Der Hütehund kommt herein. Schlagartig wird es still; ein Schaf wird abgeholt.
Tja, solche Bilder entstehen in meinem Kopf, wenn ich mir uns Patienten als geduldige Schafe vorstelle und den Arzt als allwissenden Hirten. Der Hütehund ist natürlich die Arzthelferin. Der Hirte bestimmt, wo’s langgeht. “Herrlich”, denkt er sich, “was ich sage, wird gemacht.” Die Schafe sind sehr dankbar, dass der Hirte für sie sorgt. Manchmal allerdings muckt ein schwarzes Schaf vorwitzig auf. Es wird entweder schnell wieder eingegliedert oder aus der Herde entfernt.
Klar, so einfach ist das nicht – aber ganz von der Hand zu weisen eben auch nicht. Ist ja auch kein Wunder: In ihrer Ausbildung lernen Ärzte, die Akteure zu sein und durch ihre Maßnahmen die Gesundheit ihrer Patienten wiederherzustellen. Und die Patienten haben verinnerlicht: “Ich gehe zum Arzt, der verschreibt mir was, und wenn ich das brav nehme, werde ich wieder gesund.”
Dieses System aber hat seine Grenzen. Eine dieser Grenzen sind chronische Krankheiten wie der Diabetes. Durch den Diabetes müssten Hirte und Schafe raus aus ihrem jahrzehntelangen Trott – eigentlich. Aber: “Warum darf ich kein Schaf mehr sein?”, fragt sich das Schaf. Und: “Warum darf ich kein Hirte mehr sein?”, fragt sich der Schäfer. Auch die Hütehunde sind verwirrt.
Blöd ist: Es muss sich was ändern, wenn es mit dem Diabetes besser laufen soll. So könnte es gehen: Der Arzt gibt seinen Patienten mehr Raum, traut ihnen mehr zu. Das ist klug, weil er ja nicht nur ein Schaf, sondern eine ganze Herde zu versorgen hat. Und er stellt fest: “So schlecht ist das nicht – ich muss nicht mehr die ganze Verantwortung alleine tragen.”
Die Patienten nutzen diese Freiräume und merken: “Ich weiß und kann viel mehr, als ich dachte.” Die starre Rollenverteilung ist aufgehoben, auch für die fürsorglich hütenden Arzthelferinnen, die nun zum Beispiel die Schulung übernehmen. Mehr Freiräume bedeuten aber auch: weniger (gefühlte) Sicherheit. Kann sein, dass der Abschied von den klaren Rollen schwerfällt.
Wer mag, darf sich deshalb seinen Arzt jetzt gern mit einem Schafsschwänzchen vorstellen und sich selbst den Hirtenhut auf die wolligen Ohren setzen – das hilft garantiert.
von Alex Adabei
Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (4) Seite 90
5 Minuten
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