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„Menschen mit Diabetes können heutzutage fast genauso leben wie gesunde Menschen.“ Diesen Satz hörte ich nur wenige Minuten, nachdem ich erfahren hatte, dass ich Typ-1-Diabetes habe, zum allerersten Mal. Dass Ärzte – insbesondere die, die keine Weiterbildung im Gebiet der Diabetologie haben – Aussagen wie diese lieben, durfte ich danach noch oft feststellen. Aber auch andere Personen – egal, ob aus meinem direkten Umfeld oder nicht – scheinen immer wieder das Gefühl zu haben, mit Worten wie „fast“, „nahezu“ oder „annähernd“ Trost spenden zu können, wenn es um den Vergleich mit einem „normalen“ Leben geht. Doch was in meinem Gehirn ankommt, ist: „Knapp daneben ist auch vorbei.“
Eine Aussage, der ich eher bereit wäre, zuzustimmen, wäre die, dass es heutzutage immer komfortabler wird, mit (Typ-1-)Diabetes zu leben. Besonders in den letzten Jahren gab es ständig Neuerungen auf dem Diabetes-Gadget-Markt: Vom FGM über Insulinpens mit Memory-Funktion und/oder Bluetooth-Fähigkeit zur Datenübertragung bis hin zu einer Pumpe, die tatsächlich mit einem CGM gekoppelt werden kann. Das ist großartig und bei jedem Bericht über solch einen Meilenstein in der Diabetes-Therapie feiern meine faule Bauchspeicheldrüse und ich eine kleine Party. Aber der einzige Grund, weswegen wir (also meine Bauchspeicheldrüse und ich) uns überhaupt über so etwas freuen, ist nun einmal der, dass wir auf diese Hilfsmittel angewiesen sind.
Es gibt keine Sekunde, in der ich mir nicht über den Diabetes-Luxus bewusst bin, mit dem ich lebe, weil ich nicht mehr blutig meinen Blutzucker testen muss, sondern meinen FreeStyle-Libre-Sensor einfach scannen kann. Während ich im letzten Jahr auf der Warteliste von Abbott stand, sagte meine Hausärztin zu mir, dass es noch gar nicht so lange her sei, dass man an Typ-1-Diabetes gestorben ist und dass ich froh sein solle, mit der Krankheit überhaupt so selbstständig und gut leben zu können. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich dafür schämen, mir Komfort und Leichtigkeit in meinem Diabetes-Alltag zu wünschen. Inzwischen bin ich mir aber sehr sicher, dass dies nichts ist, weshalb ich mich schlecht fühlen sollte.
Egal, welche Einstellung man zu seinem Diabetes hat, egal, wie gut es einem geht, irgendwo ist dieser eine Punkt in einem, der schmerzt. Dort pikst es – immer und immer wieder. Damit meine ich nicht die Kanüle im Unterhautfettgewebe, sondern den Schmerz, den der Diabetes in der Seele auslöst. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man erschöpft ist vom Broteinheiten-, Fett-Protein-Einheiten- und Korrektur-Bolus-Berechnen, davon, Basalratentests durchzuführen und auszuwerten, vom Bekämpfen der Hyper- und Hypoglykämien, vom Insulin-, Katheterset-, Kanülen-, Lanzetten- oder FGM/CGM-Sensor-Wechseln, vom Überlegen, ob der Durst vom salzigen Essen oder vom Blutzucker kommt, und besonders von dem Moment, in dem man sich nicht sicher ist, ob man all das richtig gemacht hat oder ob gleich eine Blutzuckerentgleisung folgt. Moderne Diabetes-Gadgets helfen uns bei fast all diesen Aufgaben, aber sie heilen den Diabetes nicht.
Was ich meine, ist, dass all die stetig weiterentwickelten Hilfsmittel für Menschen mit Diabetes nichts anderes sind als schusssichere Westen für Polizisten im Feuergefecht oder, um es weniger dramatisch auszudrücken, Winterjacken für Personen, die die Sommermonate bevorzugen. Es sind großartige Erfindungen, die tatsächlich dazu beitragen, dass wir überhaupt weiterleben können. Aber wenn der Frühling wieder kommt und die dicken Jacken ausgezogen werden, wenn die Schicht der Polizisten vorbei ist und die Sicherheitswesten in den Schrank gehängt werden, dann ist unser Diabetes immer noch da.
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