Mit dem Rucksack die Alpen zu überqueren, ist schon ohne Diabetes eine Herausforderung. Im Sommer haben zehn Menschen die Herausforderung angenommen, mit zwei Rucksäcken: dem fürs Gepäck und dem Typ-1-Diabetes.
Wenn die Berge rufen, brechen 12 Menschen auf, die Alpen zu überqueren. Das Besondere dabei: Zehn von ihnen haben einen Typ-1-Diabetes, auch der Gründer des Veranstalters Dialetics und Tour-Guide Ivo Rettig und die begleitende Ärztin Patricia. Die beiden Menschen ohne Diabetes sind Bergführer Ralf und Foto- und Videograf Mike.
„Durch den Diabetes nicht bremsen lassen“
Der 36-jährige Ivo Rettig lebt seit 22 Jahren mit Typ-1-Diabetes. Er träumte bereits als Kind davon, einmal die Alpen zu überqueren. Inspiriert hatte ihn die Historie: „Ich glaube, es war eine Geschichte von Hannibal, der im Zweiten Punischen Krieg mit Elefanten über die Alpen gelaufen ist.“
Die Diabetes-Diagnose verunsicherte ihn HbA1c zunächst, aber er blieb dabei: „Ich habe von Anfang an immer gesagt, ich lasse mir durch den Diabetes nichts nehmen, aber sicher war ich damals noch nicht. Dann habe ich vor zwei Jahren diese Wanderung zum ersten Mal allein gemacht.“
Voller Vorfreude aufs gemeinsame Wandern
Danach berichtete er bei Diabetes-Events davon und bekam viele positive Rückmeldungen. „Dann habe ich gedacht: Warum machen wir das nicht gemeinsam?“ Er fand Sponsoren und los ging die Planung – und die Alpenüberquerung im Sommer 2025. „Das war wirklich irre, so viele Monate daran zu arbeiten und dann plötzlich dazustehen und in 11 strahlende Gesichter zu blicken, die alle voller Vorfreude waren an diesem ersten Tag, die dann loslaufen wollten.“
Die Teilnehmenden waren 19 bis 67 Jahre alt. Die Diabetes-Therapien reichten von der intensivierten Insulintherapie (ICT) mit Insulinpen bis zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID) mit Insulinpumpe in Kombination mit kontinuierlich messendem Glukosesensor.
Start im Regen
Gleich am ersten Tag geriet die Gruppe in heftigen Regen. Obwohl alle gut ausgestattet waren, wurden sie ziemlich nass. Lea, eine der Teilnehmerinnen, berichtet im Interview: „Wir hatten nur am ersten Tag richtig heftig Regen und ein bisschen Gewitter, aber ab dann war es echt okay. Mal ein Schauer, aber darauf muss man sich in den Alpen einfach einstellen.“ Die Hütte, in der sie die erste Nacht verbrachten, hatte einen sehr guten Trockenraum – „am nächsten Tag konnten wir bei Sonnenschein wieder mit trockenen Schuhen starten“. Der Schlafsaal war für viele Menschen ausgelegt.
Anna-Lena, eine weitere Mitwanderin, erzählt: „Mit so vielen Menschen wie dort haben wir auf keiner anderen Hütte geschlafen. Wir sind mit dem kleinsten Raum und den meisten Menschen auf engem Raum gestartet. Danach wurde es immer großzügiger.“ Markus, der auch zur Gruppe gehörte, ergänzt: „Von Hütte zu Hütte waren wir überrascht, es wurde irgendwie immer besser.“ Anna-Lena: „Ich war total positiv überrascht, wie urig und gemütlich die alle waren, obwohl die ja auch irgendwo im Nirgendwo lagen. Wir hatten immer leckeres Essen, das war von der Qualität her wirklich großartig.“
Diabetes-Neugier und lustiger Zufall
Bis auf eine Übernachtung war die Gruppe um Ivo mit anderen Wandergruppen zusammen in den Hütten. Dass es bei diesen Wanderern immer wieder mal piepte und Alarme durch den Sensor oder die Pumpe gab, war aber selten Thema für andere Anwesende. Markus, der ein AID-System verwendet, grinst: „Beim Waschen hatte ich das einmal erlebt, dass mich einer richtig abgescannt hat. Der hat sich aber nicht getraut, mich zu fragen. Dann habe ich gesagt, dass das von meinem Diabetes ist. ‚Ach, und was ist das?‘ Und dann kamen seine Fragen wie ein Wasserfall.“
Ivo erinnert sich an eine andere lustige Begebenheit: „Uns wurde von Diashop ein Carepaket geschickt mit ganz vielen Zuckershots und Traubenzucker, zum Auffüllen. Davon war noch was übrig. Das haben wir am Abend verteilt und sind mit dem Karton rumgelaufen. Da war noch eine Frau, auch mit Diabetes, die saß an einem anderen Tisch, und ein Arzt, der ehemaliger Diabetologe war, ein total lustiger Zufall. Für beide war das natürlich eine tolle Geschichte, dass wir so als große Gruppe mit Diabetes laufen, und die haben sich auch sehr gefreut.“
10 Menschen mit Typ-1-Diabetes, 1 Bergführer, 1 Fotograf
- 9 Tage (26.6. – 4.7.2025)
- Start: Oberstdorf (Österreich), Ziel: Mals (Italien)
- Strecke: 130 Kilometer, Tagesetappen: 7 – 27 Kilometer
- 7000 Höhenmeter; 1240 maximale Höhenmeter an einem Tag beim Aufstieg, 1586 beim Abstieg
- Informationen: www.dialetics.com
Alpentour als Test und Herausforderung
Wie aber kamen Anna-Lena, Lea und Markus, die im Interview über die Alpenüberquerung berichten, dazu, an der Wanderung teilzunehmen? „Bei mir war es so, dass ich mit meinem Partner eine Doku gesehen habe über die Besteigung des Kilimandscharo“, berichtet Anna-Lena. „Und wir planen eine etwas längere Reise. Und dann war die Idee: Ich war noch nie mehrere Tage wandern, ich habe immer Tagestouren gemacht. Zufällig bin ich dann bei Instagram auf Ivos Anzeige gestoßen. Ich dachte: Eigentlich wäre das perfekt, um zu testen, wie man so auf mehrere Tage reagiert. Und ich bewerbe mich mal.“ Und sie wurde aus knapp 90 Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt
„Ich bin ein großer Bergfreund“, erzählt Lea, „von daher war ich, als ich von der Alpenüberquerung erfahren habe, direkt angefixt, weil ich jegliche Art von sportlicher Herausforderung liebe. Ich habe letztes Jahr meinen ersten Halbmarathon gelaufen, auch direkt mit Diabetes, weil ich nicht einsehe, mich irgendwie aufhalten zu lassen.“
Und Markus bekommt im Jahr immer eine Woche Urlaub von der Familie, dann kann er machen, was er mag. „Ich fahre immer mit dem Fahrrad zur Arbeit und höre auf dem Rückweg Podcasts. Da war dieser Podcast von den Zuckerjunkies, in dem Ivo davon berichtet hat, was er vorhat. Je mehr ich in den Podcast reinhörte, desto mehr dachte ich: Boah, ist das super, ist das toll, das ist echt der Hammer!“ Zum Glück passte die Alpenüberquerung gut in seinen Kalender – und Ivo nahm ihn ebenfalls mit.

von Gregor Hess



