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In der alten, analogen Welt geht technischer Fortschritt so: In den Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen sitzen Spezialisten, basteln und machen sich schlaue Gedanken. Sie bauen Prototypen, die sie mit den diversen Fachabteilungen ihres Unternehmens diskutieren. Irgendwann gibt es ein Produkt, das auf Herz und Nieren geprüft und in Studien getestet wird und dann irgendwann eine Zulassung erhält. Jedes Blutzuckermessgerät, das wir zur Bestimmung unserer Glukosewerte in die Hand nehmen, hat einen solchen klar definierten und ziemlich langwierigen Prozess durchlaufen. Selbst Apps, mit denen große Unternehmen wie Ascensia oder Krankenkassen wie die Techniker Diabetikern den Alltag erleichtern wollen, wurden noch nach diesem Muster innerhalb des Unternehmens entwickelt.
In der neuen, digitalen Welt kann dieser Prozess auch ganz anders laufen. Diesen Eindruck habe ich zumindest beim IBM Healthcare Hackathon gewonnen, der kürzlich in Hamburg stattgefunden hat. Ein Hackathon ist ein Event, bei dem ein Haufen Hard- und Softwareentwickler (gemeinhin „Nerds“ genannt) gemeinsam nützliche, kreative oder unterhaltsame Softwareprodukte erarbeiten. Gern über ein schlafloses Wochenende mit größeren Mengen koffeinhaltiger Getränke und Süßigkeiten, mit Isomatten- und Schlafsacklager. Also ungefähr so ein Szenario, wie ich es von meinem Sohn kenne, der als 14- bis 16-Jähriger gern auf Netzwerkpartys mit seinen Kumpels die Wochenenden durchgezockt hat.
Beim IBM Healthcare Hackathon ging es darum, auf Basis des strukturierten Assistenznetzwerks Watson von IBM (was das genau ist, ist hier in diesem Youtube-Video recht gut erklärt) neue Anwendungen zu entwickeln. Den Nerds standen auch zwei humanoide Roboter namens NAO (Firma Softbank Robotics) zur Verfügung. Die Arbeitsgruppen tüftelten das ganze Wochenende an ihren Programmiercodes herum und präsentierten am Sonntag ihre Ergebnisse. Dabei kam zum Beispiel eine Online-Gruppentherapie für psychische Erkrankungen per Chatbot heraus. Oder ein NAO-Assistenzroboter für Demenzkranke, den man mit persönlichen und Krankheitsdaten füttern kann und der den Patienten dann im Tagesverlauf an seine Mahlzeiten und Medikamenteneinnahmen erinnern oder die eingehende Nachricht der Tochter vorlesen kann, die ihrem Vater kurz mitteilen möchte, dass sie sich ein wenig verspätet. Und etliche weitere Anwendungen, die im Alltag dabei helfen sollen, vorhandene Daten für den Einzelnen besser nutzbar zu machen.
Zugegeben war nichts Diabetesspezifisches unter den Hackathon-Ergebnissen. Aber mit ein bisschen Fantasie kann man ja durchaus auf Ideen kommen, wie sich ein sprechender Assistenzroboter oder ein Chatbot, die mit Watson verknüpft sind, für die Diabetestherapie nutzen lassen. Vielleicht wäre der putzige NAO-Roboter ja ein passabler Babysitter für Kinder mit Diabetes, der sie ans Blutzuckermessen erinnert und ihnen gleich sagt, ob und wie viel Insulin sie bei einem solchen Messwert spritzen müssen oder ob sie lieber eine Banane oder einen Keks essen sollten. Auch einen Watson-basierten Chat für Diabetiker kann ich mir gut vorstellen: Es gibt zwar schon diverse Facebook- oder Twitterchat-Gruppen, in denen man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann. Doch mit einem solchen Chatbot könnte man vorab auswählen, über welche spezifischen Probleme man in seiner Gruppensitzung sprechen möchte: Fühle ich mich in der Schule oder am Arbeitsplatz wegen meines Diabetes diskriminiert? Der Chatbot hielte eine Gruppe bereit, in der man genau über diese Themen sprechen kann. Ich habe Probleme, meinen Diabetes zu akzeptieren und mich zum Blutzuckermessen zu motivieren? Auch hierfür gäbe es eine eigene Gruppe, möglicherweise sogar durch psychologisch geschultes Fachpersonal moderiert.
Auf alle Fälle war es äußerst spannend zu sehen, was medizinische Laien mit Lust auf Netzwerken und Programmieren über ein Wochenende alles an Ideen entwickeln können. Und faszinierend zu erleben, dass Innovationen längst nicht mehr nur in den Entwicklungsabteilungen großer Konzerne ausgeheckt werden, sondern dass der Anstoß für neue digitale Anwendungen immer häufiger aus ganz anderen Ecken kommt – seien es nun Betroffene oder Nerds –, die einen ganz anderen Blick auf mögliche Anwendungen haben, als es sich Produktentwickler in ihrem Unternehmensdenken oft vorstellen können.
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