Du bist „Typ 2“? Halt besser die Klappe!

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Community-Beitrag
Du bist „Typ 2“? Halt besser die Klappe!

Ich will das mal mit einer ganz einfachen Gleichung darlegen, die sicher nicht für jeden Menschen gilt und sehr provokant ist, aber leider doch eine verbreitete Denkweise darstellt:

Diabetes Typ 2 = fett = undiszipliniert + faul + dumm.

Also, will ich mir unbekannten Menschen erzählen, dass ich undiszipliniert, faul und dumm bin? Nein, lieber nicht. Genau das tue ich aber unterschwellig, wenn ich erzähle, dass ich Diabetes Typ 2 habe. Aus diesem Grund verschweigen nicht wenige Diabetiker ihre Krankheit schamvoll. Ich verstehe das nur zu gut, gerade wenn auch noch Gewichtsprobleme vorhanden sind, will man nicht noch selbst Öl ins Feuer gießen, mit einem Selbstouting als Typ-2-Diabetiker. Einmal fürs Übergewicht diskriminiert zu werden, reicht doch völlig aus. Ein paar Kilos zu viel und gesund ist grenzwertig übel und ein paar Kilos zu viel und Diabetes ist bitterböse und selbst schuld.

Sind Typ-2-Diabetiker automatisch doof?

Man könnte bestimmt jetzt denken, dass ich spinne oder ein Problem konstruiere, wo keins ist. Ich will kurz berichten. Natürlich habe ich mir das nicht aus den Fingern gesogen, sondern habe Erfahrungen aus erster Hand.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich eine Anfrage eines Unternehmens, das ein Typ-2-Diabetes-Testimonial zu Werbezwecken gesucht hat. Gerne ein Blogger oder eine Bloggerin, wobei Typ-2-Diabetes-Blogger mit werbewirksamer Reichweite richtig rar sind und man fast schon zwangsläufig bei mir landete. In dem Telefonat wurde mir dann erklärt, dass man erst mal schauen müsse, ob das passt. Ich dachte ganz unbefangen, klar, ob die menschliche Chemie passt und inwieweit ich mich mit den Produkten identifizieren kann, muss natürlich vorweg gecheckt werden. Aber weit gefehlt. Man hat mir nämlich telefonisch erklärt, dass Typ-2-Diabetiker meist mit einem niedrigen Bildungsniveau daherkommen würden und sich nicht gut artikulieren könnten. Die meisten Kandidaten kämen nicht in Frage, deshalb zwingend das Telefonat mit mir, um zu testen, ob ich auch eloquent genug bin, um für deren Produkte zu werben.

Man bemühte sich sicher, das passend zu formulieren, aber ich habe schon verstanden, wo der Hase langläuft. Ist die Dame schlau genug oder auch wieder nur eine dicke und dumme Diabetikerin? Das schwang eindeutig in dem Gespräch mit. Bämmm. Hat was von einer Ohrfeige, wenn man so unter die Lupe genommen wird.

Bin ich denn auf einer Viehauktion?

Ich kam mir irgendwie vor wie eine Kuh, der mal kurz ins Euter gekniffen wird, oder wie ein Gaul, dem man ins Maul schaut. Juhuuu, das Viech kann 3 Sätze aneinanderreihen und ist anscheinend nicht ganz so doof wie die anderen Typ-2er.

Es ist, denke ich, klar, dass ich keine Lust auf so eine Zusammenarbeit hatte und dankend abgelehnt habe. Nur spricht das echt Bände über die Denke vieler Menschen in Sachen Diabetes. Weil dem so ist und ich mich mit solchen Denkweisen nicht auseinandersetzen will, winke ich, wenn ich persönlich in unbekanntem Terrain galoppiere – eben bricht wieder das Pferdeviech in mir durch – nicht offensiv mit der Diabetes-Fahne. Da bediene ich mich lieber diskret der einen oder anderen Ausrede und gehe allem aus dem Weg.

Durchfall versus Diabetes. Durchfall gewinnt!

Gerade wenn ich im Restaurant etwas umbestelle, ist es mir oft zu blöd zu sagen, dass ich Diabetikerin bin oder auch, dass ich Low Carb esse. Hey, mit einer trendigen Unverträglichkeit erntet man viel mehr Mitgefühl. Für laktosebedingte Horror-Durchfallgeschichten bei der Bestellung des angepassten Menüs bekommt man gute Tipps und mitfühlendes Verständnis. Beim Hinweis auf Diabetes wird eher die Stirn runzelnd hochgezogen oder es ist ein Anflug von angewidert sein auf dem Gesicht des Gegenübers zu entdecken.

Wer maßt sich an, Richter über alle Typ-2-Diabetiker zu sein?

Auch mit Vorurteilen gegenüber Gruppen werden Urteile über einzelne Menschen gesprochen. Diese Menschen leiden sowieso nicht unerheblich unter dem, was da auf den Schultern lastet, und zusätzlich diskriminiert und geächtet zu werden, macht die Situation nicht einfacher und wird dem einzelnen Menschen nicht gerecht.

Wenn dem so ist und Menschen mit geringer Bildung von Typ-2-Diabetes häufiger betroffen sind, ist doch viel mehr die Frage, wie aktiv geholfen werden kann, damit bei allen betroffenen Patienten die notwendigen medizinischen Informationen so ankommen, dass eine optimale Blutzuckereinstellung gewährleistet werden kann. Vollkommen egal, woher wir kommen und was wir mit unserem Hirnstübchen anstellen können. Wie schaffen wir es, dass im Rahmen der Prävention Themen wie gesündere Ernährung und Bewegung und auch die so wichtige Früherkennung in allen Bevölkerungsschichten ankommen? Wie helfen wir als Gesellschaft, den an Diabetes erkrankten Menschen, die Hilfe brauchen, weil sie es alleine nicht so gut schaffen?

Die Fachärzte und Diabetesberater sind ja nur die Speerspitze und können die Patienten nicht an die Hand nehmen. Vorwürfe und Schuldzuweisungen arbeiten da komplett in die falsche Richtung und führen häufig zum Rückzug der Patienten und nicht zur Auseinandersetzung mit der Erkrankung.

Bitte auch einfach mal darüber nachdenken, dass nicht jedes Kind den gleichen guten Start hat wie man selbst und auch das, was uns der liebe Gott als gegeben reinkippt, nicht immer gleich viel ist. Manches muss sich entwickeln und nicht jeder kann am Ende Raketentechniker werden.

Eine gesunde Lebensweise und nicht mit dem Gewicht kämpfen zu müssen, fällt nicht jedem Menschen gleich leicht. Ich bin ja auch eine von denen, die sich immer wieder aktiv bemühen muss. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Von der genetischen Grundausstattung, der Erziehung und den gemachten Erfahrungen, wie auch den finanziellen Möglichkeiten.

Der Wert eines Menschen lässt sich nicht in Einkommen oder Intelligenzquotient messen und natürlich nicht in Körpergewicht oder Blutzuckerwerten. Also hört bitte auf damit!

Diabetes begünstigendes Übergewicht hat nicht selten auch krankhafte Ursachen. Wer von den verurteilenden Hobbyrichtern berücksichtigt in seinem Urteil schon Essstörungen, die schwer zu erhaltende therapeutische Behandlung brauchen, oder organische Probleme. Es steckt eben manchmal mehr dahinter, als die dumme Logik meiner Gleichung von oben aufzeigt.

Ausgrenzung killt jede Kommunikation.

Ich habe Diabetes Typ 2 und bin nicht total blöd. Aber die Ausgrenzung, die ich ganz klar als sehr dicker Mensch erlebt habe, verschlimmert die Situation jedes einzelnen Betroffenen und verfestigt das negative Bild der „Dickenkrankheit“ Typ-2-Diabetes innerhalb der Gesellschaft. „Selbst schuld“ ist nun mal schneller gedacht und gesagt, als einen Blick hinter die Kulissen des Individuums zu werfen oder den Versuch zu machen, konstruktiv motivierend zu wirken

Diabetes braucht mehr Öffentlichkeit, aber das klappt nicht, wenn ein Teil der Betroffenen lieber nicht sagt, dass er betroffen ist. Diabetes Typ 2 muss endlich vorurteilsfrei in den Köpfen der Leute ankommen. Dann schaffen wir nämlich wieder einen Schritt weiter im Kampf gegen den Diabetes. Austausch wird so auf einer höheren Ebene möglich, frei von Angst vor Ablehnung und Stigmatisierung, was der Sache nur guttun würde.


Dass sogar Typ-1 Diabetiker nicht von Vorurteilen gegenüber dem Typ-2-Diabetes gefeit sind, lest ihr hier.

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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