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Manchmal weiß ich gar nicht, was schwieriger ist, auszusprechen: dass ich Typ-1-Diabetes oder dass ich Depressionen habe. Beides zieht in den meisten Fällen Gespräche nach sich, die mühsam sind.
All die Sprüche zum Thema Diabetes kennen die meisten hier. Doch auch Depressionen und die Reaktionen darauf werden vielen nicht unbekannt sein, denn laut der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist die Wahrscheinlichkeit, an Depressionen zu erkranken, für Menschen mit Diabetes doppelt so hoch wie für die Allgemeinbevölkerung.
In meiner Erziehung und meinem Erwachsenwerden wurden Depressionen nie zu einem Tabu-Thema gemacht. Mir war früh bewusst, dass das eine Krankheit ist und dass diese nichts über die Persönlichkeit des Menschen aussagt – auch als ich selbst noch nicht betroffen war.
Als ich 16 war – also noch vor meiner Typ-1-Diabetes-Diagnose – sprach meine damalige Hausärztin das erste Mal davon, dass ich eine „depressive Verstimmung“ hätte. Da ich mich zu der Zeit eh in kinder- und jugendpsychotherapeutischer Behandlung befand, wurde von ärztlicher Seite aus nichts weiter unternommen.
Es störte mich nicht, das Thema bei meinen Freunden zu erwähnen, allerdings fand ich zu dem Zeitpunkt kein Verständnis für mein Problem. In den Jahren war „depri” zu sein eine Beschreibung, mit der fast jede pubertäre Stimmungsschwankung betitelt wurde. „Depressiv” zu sein bedeutete für die meisten einfach nichts anderes, egal, wie sehr ich es zu erklären versuchte. Andere Betroffene, mit denen ich mich anfreundete, lernte ich – ähnlich wie die Diabetes-Community – erst viel später online kennen.
2010 – zwei Jahre nach der Typ-1-Diabetes-Diagnose – ging ich aus vielen verschiedenen Gründen in eine psychotherapeutische Tagesklinik. Zu der Zeit war ich zu nichts mehr fähig außer dazu, zu weinen. All meine Gefühle waren Angst und Traurigkeit und dann auch irgendwie gar nicht wirklich fühlbar. Ich bekam Antidepressiva verordnet, die ich auch bis heute nehme. Meine Depressionen sind weder von den Medikamenten noch von regelmäßiger Psychotherapie verschwunden, dennoch kann ich damit anders und irgendwie besser leben als früher.
Sich vor Außenstehenden als Mensch mit Depressionen zu outen, zieht verschiedene Reaktionen nach sich. Für die einen sind Depressionen nur ein Zeichen von Schwäche, eine Anstellerei oder irgendein normales Tief, das nach einem Abend mit der Lieblingsserie und einer Tafel Schokolade wieder weg ist. Für andere ist man plötzlich ein „Freak“. Die wenigsten aber sehen, dass es eine Krankheit ist, die ebenso wie andere (chronische) Krankheiten behandelt werden muss und die man sich genauso wenig wie andere (chronische) Krankheiten aussucht.
Es gibt unterschiedlich gute Tage – wie bei jedem Menschen, egal ob gesund oder in irgendeiner Form krank. Manchmal fühle ich mich „ganz normal“, manchmal gibt es Trigger, die mich in eine Krise stürzen, und manchmal befinde ich mich mehr oder weniger von jetzt auf gleich in einem tiefen schwarzen Loch.
Wenn ich eine schlimme depressive Phase habe, kann ich mich nicht gut um mich kümmern. Wenn schon das Aufstehen und Zähneputzen zur Hürde wird, wie soll dann ein gutes Diabetes-Management laufen?
Depressionen sind im Gegensatz zu dem weitverbreiteten Glauben mehr als nur Traurigkeit. Manchmal nehmen die Depressionen so einen großen Raum ein, dass nichts mehr bleibt. Keine klar definierbaren Gefühle, Bedürfnisse oder Gedanken. Alles wird irgendwie egal, und vieles ist einfach nur überfordernd. Während ich Termine absage und alltägliche Aufgaben einfach nicht erledige, bleibt der Typ-1-Diabetes jedoch genauso anspruchsvoll wie immer.
Da psychischer Stress sich immer auch auf die Blutzuckerwerte auswirkt und zumindest bei mir während einer depressiven Episode die körperliche Aktivität auf nahezu null runtergefahren wird, gehen meine Blutzuckerwerte dabei meistens hoch. Neben dem Teil in mir, dem das dann irgendwie egal ist, belastet es einen anderen Teil viel mehr als sonst.
In meinem Gedanken hat der Diabetes dann plötzlich an ungefähr allem Schuld, und ich hasse ihn und ich hasse meinen Körper und ich hasse mich. Und in meinem Kopf ist alles laut und still und viel zu grell und tiefschwarz und ich bin traurig und irgendwo höre ich mich in meiner Erinnerung lachen und dann denke ich, dass ich vielleicht einfach nie wieder lachen will, weil es dafür weder einen Grund noch vorhandene Energie gibt. Und der Diabetes ist immer noch da.
Obwohl Depressionen als Kontraindikation für die Insulinpumpentherapie gelten, hat sich bei mir das Diabetes-Management während depressiver Phasen mit der Pumpe deutlich verbessert. Da ich die Pumpe automatisch bei mir trage und ich nicht im Zweifel erst aufstehen und meine Insulinpens suchen muss, um Basalinsulin oder den Bolus zu spritzen. Außerdem habe ich die Möglichkeit, meine Basalrate dem höheren Bedarf anzupassen. Wobei die Möglichkeit zu haben nicht unbedingt bedeutet, dass ich es dann wirklich tue, weil ich es einfach nicht auf die Reihe bekomme.
In depressiven Episoden ernähre ich mich nicht gut. Ich bin zu uninspiriert und auch zu kraftlos, mir irgendwas Gesundes zu kochen. Aber bei dem ganzen „Nichts mehr fühlen“ ist das Gefühl beim Schlucken etwas, das mir meistens erhalten bleibt. Deswegen esse ich ständig kleine Mahlzeiten oder Snacks, um irgendetwas zu fühlen. Die Lebensmittel dabei zu schätzen, geht oft schief. Wenn ich keine konkrete BE-Angabe zur Hand habe, gebe ich irgendeinen Fantasie-Bolus ab, der meistens zu viel oder zu wenig der Kohlenhydrate abdeckt. Es ist ein bisschen, als würde ich mich mit den Werten außerhalb des Zielbereiches noch zusätzlich selbst bestrafen. Wofür auch immer.
Depressionen kann (und sollte) niemand alleine durchstehen. Auch wenn es unfassbar schwer ist, sich um irgendetwas zu kümmern: Wenn ihr bereits in einer Depression steckt, nehmt Kontakt mit Ärztinnen oder Ärzten auf oder bittet Freunde und Angehörige, das für euch zu übernehmen.
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