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Die Corona-Pandemie beherrscht die Schlagzeilen. Und überall kann man nachlesen, dass bei einem schweren Verlauf der Infektion in erster Linie Ältere sowie Menschen mit Vorerkrankungen gefährdet sind. Auf der Liste der relevanten Vorerkrankungen taucht auch Diabetes auf. Das ist erst einmal nicht sonderlich überraschend. Schließlich gilt Diabetes, unabhängig vom Typ, ganz allgemein als ein besonderer Risikofaktor für so ziemlich alles, was einem gesundheitlich Schlimmes widerfahren kann. Allerdings wissen wir auch nur allzu gut, dass Diabetes nicht gleich Diabetes ist. Es gibt Typ-1- und Typ-2-Diabetes sowie diverse Subtypen.
Es gibt Menschen, denen es gut gelingt, ihre Glukosewerte im Zaum zu halten. Andere kämpfen seit vielen Jahren mit erheblichen Blutzuckerschwankungen und hohen Langzeitwerten. Manche sind robust und sportlich, andere leben mit Folge- und Begleiterkrankungen. Manche sind noch jung, andere haben schon viele Jahre auf dem Buckel. Alle diese Faktoren wirken sich auch auf die Anfälligkeit für Virusinfektionen und das Risiko für Komplikationen infolge dieser Infektionen aus. Es wäre deshalb falsch, alle gut sieben Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland über einen Kamm zu scheren. In „normalen Zeiten“ legen die meisten von uns auch großen Wert auf eine differenzierte Betrachtung.
Allerdings erleben Diabetespraxen derzeit, dass viele ihrer Patientinnen und Patienten verunsichert sind oder sogar große Angst haben. Manche fordern Rezepte für ihren kompletten Jahresbedarf aller Diabetesmedikamente. Andere äußern den Wunsch, nur wegen ihres Diabetes vorsorglich krankgeschrieben zu werden. Dabei begründet allein die Angst, sich selbst oder andere mit einer Krankheit anzustecken, keine Krankschreibung – auch nicht bei Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie man beispielsweise in einem Videobeitrag von Rechtsanwalt Oliver Ebert auf dem Portal „Diabetes Online“ erfahren kann. In den sozialen Medien argumentieren einige, bei Virusinfektionen komme es oft zu Glukoseschwankungen und hohen Blutzuckerwerten, die man natürlich gern vermeiden möchte. Doch macht einen die Aussicht auf Blutzucker-Chaos im Falle einer Infektion bereits zur Risikopatientin bzw. zum Risikopatienten?
Ich habe also versucht, Fakten und Experteneinschätzungen zu einzelnen Aspekten zusammenzutragen und außerdem die aktuelle Stimmung in der Community einzufangen. Bei dem Stimmungsbild hat mir Michi Krauser, ebenfalls Autor bei der Blood Sugar Lounge, geholfen. Er hat via Instagram eine Lounge-Umfrage gestartet, um herauszufinden, wie die Fans der Blood Sugar Lounge ihr persönliches Risiko einschätzen. Die Umfrage bestand aus sieben Fragen, die im Schnitt jeweils rund 600-mal angeklickt und ca. 250-mal beantwortet wurden. Die Tendenzen aus dieser Umfrage habe ich in den folgenden Textabsätzen mit eingeflochten, die vollständigen Ergebnisse findet ihr dann in einer Tabelle am Ende dieses Beitrags.
Viele Menschen – ob mit Diabetes oder ohne – haben derzeit Sorge, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Ein gewisses Maß an Sorge oder Furcht ist gar nicht verkehrt, wie Prof. Bernhard Kulzer, leitender Psychologe am Diabetes Zentrum Mergentheim, in einem Video erklärt. Sie sollte nur nicht in große Angst oder gar Panik ausarten. Unsere Instagram-Umfrage zeigt zum Glück, dass die große Mehrheit nur ein bisschen bzw. eher weniger Angst vor dem Coronavirus verspüren.
Virusinfektionen sind für Menschen mit Diabetes meist eine besondere Herausforderung: Die Blutzuckerwerte spielen verrückt, Insulin scheint nicht mehr richtig zu wirken. Grund hierfür ist eine Insulinresistenz, die infolge des Infekts entsteht und die Glukosewerte ansteigen lässt. Ich sag’s mal so: Das ist die Arschkarte, die wir nun einmal gezogen haben, egal welchen Infekt wir uns einfangen. Dann geht der CGM-Alarm vielleicht mehrfach in der Nacht, die Werte sind nur selten im Zielbereich. Das alles stresst und nervt, und es erschwert die Genesung vom eigentlichen Infekt.
Dieses Risiko scheint den meisten Typ-Einsern auch sehr bewusst zu sein: In unserer Umfrage gaben die allermeisten an, dass sie sich vor genau dieser Komplikation fürchten. Doch die positive Nachricht lautet: Wer gut geschult ist und über geeignete Hilfsmittel zur Glukosemessung verfügt, kann die Schwankungen beherrschen. Es gibt dann zwar vielleicht mal eine Phase mit hohen Werten, doch deswegen muss sich niemand verrückt machen – außerdem kann man ja jederzeit bei seinem Diabetesteam Rat suchen. Genau das wissen die meisten Betroffenen auch – so zeigten sich zumindest die Teilnehmenden unserer Umfrage ganz überwiegend zuversichtlich, dass sie ein infektbedingtes Blutzucker-Chaos in den Griff bekommen können.
Meist verläuft Covid-19 mild und mit ähnlichen Symptomen wie ein grippaler Infekt. Etwa 15 bis 20 von 100 Corona-Infizierten erkranken allerdings schwer an Covid-19. Sie entwickeln beispielsweise Atemprobleme oder eine Lungenentzündung. Dieses Risiko besteht erst einmal für alle Betroffenen gleichermaßen – und in unserer Umfrage äußerte auch die Mehrheit Angst vor einem solchen schweren Verlauf. Eine Lungenentzündung ist sicherlich nicht schön, für einen insgesamt vitalen Organismus bei entsprechender Behandlung aber in der Regel zu verkraften.
Die überwältigende Mehrheit der Teilnehmenden unserer Umfrage hält sich zum Glück – abgesehen von ihrem Diabetes – für fit und gesund und ist deshalb auch zuversichtlich, dass ihr Körper einen schweren Verlauf überstehen könnte. Anders sieht es bei Vorerkrankungen oder Organschäden aus. Wer davon betroffen ist, steckt eine Komplikation wie eine Lungenentzündung nicht so einfach weg. Für diese Menschen besteht ein deutlich höheres Risiko, dass sie intensivmedizinisch behandelt und künstlich beatmet werden müssen – und auch, dass sie die Erkrankung nicht überleben.
Wenn von Diabetes als Risikofaktor die Rede ist, beruft man sich meist auf Daten aus dem chinesischen Wuhan. Dort waren unter den an Covid-19 Verstorbenen besonders viele Menschen mit Diabetes. Bei ihnen verlief die Erkrankung in sieben Prozent der Fälle tödlich – im Gegensatz zu 2,3 Prozent bei den Corona-Patienten ohne Diabetes. Allerdings waren diese Diabetes-Patienten im Durchschnitt 70 Jahre alt – und in dieser Altersklasse lag die Sterblichkeitsrate auch bei den anderen Erkrankten bei sieben bis acht Prozent, wie der Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Prof. Baptist Gallwitz, in einem Beitrag der Badischen Neuesten Nachrichten betonte.
Wenn im Zusammenhang mit Covid-19 von „Risikopatienten“ die Rede ist, dann sind also vor allem ältere Menschen mit Erkrankungen am Herz-Kreislauf-System oder der Lunge gemeint. Auch Menschen, die mit einem Spenderorgan leben und deshalb Immunsuppressiva einnehmen, sind stärker gefährdet. Gleiches gilt für Patientinnen und Patienten, die sich gerade in einer Krebsbehandlung befinden. Das staatliche britische Gesundheitssystem National Health Service (NHS) hat die besonders gefährdeten Risikogruppen hier zusammengefasst. Das Stichwort „Diabetes“ findet sich auf dieser Liste nicht.
Warum also wird hierzulande Diabetes pauschal zum Risikofaktor bei Covid-19 erklärt, wenn es doch auf viele individuelle Faktoren ankommt? Viele der Teilnehmenden unserer Umfrage sehen hier offenbar noch Informationsbedarf, denn sie fühlen sich nicht gut über ihr spezifisches Risiko informiert. Immerhin mehren sich inzwischen die Stimmen, die zu mehr Differenzierung aufrufen.
So erklärte zum Beispiel die Diabetesberaterin Ulrike Thurm, die selbst Typ-1-Diabetes hat, in einem Interview mit dem Online-Kanal HealthTV, dass sich das Risiko für einen schweren Verlauf vor allem dann erhöht, wenn weitere Autoimmunerkrankungen und vor allem Begleit- und Folgeerkrankungen hinzukommen. Diese betreffen insbesondere Menschen mit Typ-2-Diabetes, die im Schnitt meist älter sind und die aufgrund des schleichenden Verlaufs ihrer Erkrankung häufig schon zum Zeitpunkt der Diagnose Folgeerkrankungen aufweisen. Diese Personengruppe sollte deshalb besonders gut auf sich achtgeben. Ansonsten gesunde Menschen mit Typ-1-Diabetes, die stabile Glukoseverläufe und einen Langzeitwert von unter 8 Prozent haben, sind dagegen nicht stärker gefährdet als Stoffwechselgesunde.
Diese Einschätzung bestätigt sich übrigens auch in zwei Geschichten von Menschen mit Typ-1-Diabetes, die an Covid-19 erkrankt sind. Auf DiabetesDE kann man ein Interview mit dem 24-jährigen Skilanglauf-Athleten Arne Reichelt lesen, der sich im Skiurlaub in Tirol mit dem Coronavirus infiziert hat. Er hatte im Krankheitsverlauf vor allem nachts mit starken Blutzuckeranstiegen zu kämpfen, beschreibt die Symptome ansonsten aber wie die eines gewöhnlichen grippalen Infekts – plus vorübergehender Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns.
Auch die 25-jährige Erzieherin Anja R. berichtet im Interview mit der Blood Sugar Lounge über einen milden Verlauf ihrer Covid-19-Erkrankung. Sie konnte ebenfalls erst einmal nicht riechen und schmecken, doch ansonsten machte sich die Infektion bei ihr vor allem durch häufige Unterzuckerungen bemerkbar. Arne und Anja kurieren sich beide in häuslicher Quarantäne aus und sind zuversichtlich, dass sie die Erkrankung auch weiterhin gut überstehen.
Natürlich ersetzen einzelne Fallbeispiele keine Statistik. Covid-19 ist eine neue Erkrankung, bei der die Wissenschaft noch nicht über genügend belastbare Daten zu Risiken, Verläufen und Komplikationsraten verfügt. Man sollte die Gefahr daher ernst nehmen und nicht kleinreden. Panikmache ist allerdings auch nicht angebracht. Für mich ergibt sich aus meinen Recherchen folgendes Bild: Es reicht für Leute mit stabiler Stoffwechsellage völlig aus, wenn sie sich an die inzwischen hoffentlich hinreichend bekannten Empfehlungen zum Schutz vor einer Coronainfektion halten: Regelmäßig gründlich Hände waschen, persönliche Kontakte soweit wie möglich einschränken, draußen mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen Personen wahren, Husten- und Niesetikette einhalten. Ich finde, das ist doch eine ziemlich gute Nachricht, oder?
Hier findet ihr nun die vollständigen Umfrageergebnisse. In der ersten Spalte seht ihr die Aussage, auf die man entweder mit „ganz zutreffend“, „bisschen zutreffend“, „eher nicht zutreffend“ oder „gar nicht zutreffend“ antworten konnte. Die Zahlen unter den jeweiligen Antworten zeigen, wie oft die Fans der Blood Sugar Lounge auf Instagram die jeweiligen Antworten angeklickt haben.
Aussage | Ganz zutreffend | Bisschen zutreffend | Eher nicht zutreffend | Gar nicht zutreffend |
Ich habe große Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus | 44 | 128 | 86 | 32 |
Ich halte mich – abgesehen von meinem Diabetes – für fit und gesund | 126 | 104 | 22 | 7 |
Ich habe große Sorge, dass eine Infektion mit Corona bei mir zu Blutzucker-Chaos führen würde | 123 | 89 | 36 | 8 |
Ich habe großes Vertrauen, dass ich bei einer Infektion ein solches Blutzucker-Chaos in den Griff bekommen und heil überstehen kann | 67 | 132 | 41 | 4 |
Ich habe große Angst vor einem schweren Verlauf von Covid-19 (schwere Lungenentzündung) | 78 | 90 | 69 | 19 |
Ich bin zuversichtlich, dass mein Körper auch einen schweren Verlauf überstehen könnte | 77 | 134 | 22 | 7 |
Ich fühle mich gut über mein spezifisches Risiko informiert | 57 | 80 | 73 | 30 |
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