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Vom 28. September bis zum 1. Oktober 2021 fand die 57. Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Diabetesforschung (EASD) statt. Durch die Corona-Pandemie war schon 2020 der damals in Wien geplante Kongress virtuell, und auch 2021 fand die Tagung nicht in Stockholm, sondern im Internet statt. Über 14.000 Teilnehmer aus 134 Ländern waren sehr aktiv dabei.
Vom 28. September bis zum 1. Oktober 2021 fand die 57. Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Diabetesforschung (EASD) statt. Durch die Corona-Pandemie war schon 2020 der damals in Wien geplante Kongress virtuell, und auch 2021 fand die Tagung nicht in Stockholm, sondern im Internet statt. 14 373 Teilnehmer aus 134 Ländern waren sehr aktiv dabei.
Das Programmkomitee unter Leitung von Mikael Rydén vom Karolinska-Institut in Stockholm (Schweden) hatte aus 990 eingereichten Vortragsanmeldungen 701 ausgewählt. Die meisten Arbeiten, nämlich 97, stammten aus dem Vereinigten Königreich, gefolgt von Deutschland mit 72, Dänemark mit 63 und den USA mit 60. Wie bei anderen internationalen Kongressen wurden 2021 zur EASD-Tagung weniger Abstracts eingereicht als bisher. Die Corona-Pandemie hat die Forschung außerordentlich behindert. Ärzte in Kliniken waren durch die Pandemie sehr beansprucht, viele mussten auf einer neu geschaffenen COVID-Station arbeiten.
Der Claude-Bernard-Preis zeichnet schon seit 1969 herausragende Diabetesforschung aus – die beiden ersten Preisträger erhielten später den Nobelpreis. Jetzt wurde der Preis zum dritten Mal einer Frau verliehen. Die in Milwaukee (USA) geborene Juleen Zierath arbeitet seit 1998 am Stockholmer Karolinska-Institut. Sie wurde auch ins Nobelpreiskomitee berufen, in dem sie mehrere Jahre den Vorsitz hatte. Heute leitet sie sowohl ihr Institut in Stockholm als auch ein Institut an der Universität Kopenhagen (Dänemark). Ihre bedeutendste Entdeckung schaffte es sogar ins Time Magazine, das 2012 schrieb: „Wie Sport ihre Gene verändern kann“.
Zierath hatte gezeigt, dass sportliches Training einen Einfluss auf die Erbsubstanz DNS hat. Nach Bewegung fand sie in den Genen von Muskelzellen eine Aktivierung bestimmter Gene, die den Energiestoffwechsel regeln. Auch praktische Ergebnisse lieferte ihre Forschung. Sie untersuchte an Menschen mit Typ-2-Diabetes die Stoffwechselwirkung von körperlicher Bewegung und fand, dass sich Bewegung am Nachmittag mehr auf den Blutglukosespiegel auswirkt als zu anderen Tageszeiten.
Die EASD wählt den von der Novo-Nordisk-Stiftung finanzierten „Diabetes Prize for Excellence“ aus. Mit 6 Millionen dänischen Kronen (über 800 000 Euro) ist er sozusagen der „Nobelpreis der Diabetesforschung“. In diesem Jahr ging die Auszeichnung an John Todd aus Oxford (Großbritannien). Er beschäftigt sich mit der Genetik des Typ-1-Diabetes und Prozessen bei seinem Entstehen. Das Institut von John Todd untersucht neue Medikamente, deren Ziel das Verhindern der Entwicklung des Typ-1-Diabetes ist. Todd ist auch Mitglied des EU-Netzwerks INNODIA.
Das EU-Projekt INNODIA koordiniert Forschung zum Typ-1-Diabetes von 31 europäischen akademischen Instituten und den Unternehmen Sanofi, Lilly, Novo Nordisk, Glaxo SmithKline, Novartis, Imcyse und Univercell Biosolutions. In Deutschland sind die Universitäten Dresden, Hannover, München und Ulm beteiligt. Mehrere Studien wurden 2020 gestartet, die bei Kindern mit hohem Risiko die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes durch ein Beeinflussen des Immunsystems aufhalten sollen.
Die Europäische Union, die pharmazeutische Industrie und die US-amerikanische Stiftung JDRF (Juvenile Diabetes Research Foundation) unterstützen INNODIA. Hoffentlich gelingt es, die Entwicklung des Typ-1-Diabetes mit einer dieser Strategien aufzuhalten, ohne dass erhebliche Nebenwirkungen auftreten.
Die Genforscherin Miriam Udler aus Boston (USA) hielt wie schon 2020 einen Übersichtsvortrag über ihre Arbeiten mit dem Ziel einer Unterscheidung verschiedener Formen des Typ-2-Diabetes. Sie begann wieder mit der Bemerkung, Typ-2-Diabetes sei heute immer noch eine völlig unbefriedigende Diagnose, sozusagen ein „Mülleimer“, in den alles hineinkäme, was man nicht richtig zuordnen könne. Wendepunkt war 2017 die von Emma Ahlqvist auf dem EASD präsentierte Studie.
Auf der Basis von klinischen Befunden hatte sie bei Diagnose des Typ-2-Diabetes fünf Gruppen in Form von mathematischen Clustern berechnen können. Ahlqvist bemerkte zwischen diesen Gruppen Unterschiede im weiteren Krankheitsverlauf. Während die schwedischen Cluster auf der Grundlage klinischer Befunde gebildet wurden, betrachtet Miriam Udler statistische Auswertungen von Untersuchungen des Erbguts. Jetzt zeigte Udler einen noch nicht veröffentlichten Befund: Die Patienten in ihrem Cluster „Lipodystrophie“ haben einen höheren Blutdruck.
Seit 2004 vergibt die EASD „Rising Star“-Preise. In diesem Jahr war einer der „Rising Stars“ Oana Patricia Zaharia, die am Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf arbeitet. Sie zeigte Ergebnisse der Deutschen Diabetes-Studie, die mehrere Forschergruppen in Deutschland gemeinsam durchführen. Bis zu 20 Jahre verfolgt diese Studie Menschen mit Diabetes, die mit den modernsten Methoden untersucht werden. Nach Einteilung in die schwedischen Cluster beobachtete man dabei bereits Unterschiede in der Entwicklung der Folgeerkrankungen.
Jetzt zeigte Zaharia, dass Patienten im Cluster SIRD („schwer insulinresistenter Diabetes“) mehr Fettgewebe im Bauchraum haben, von dem bekannt ist, dass es mit Gefäßerkrankungen zusammenhängt. Immer mehr erhärtet sich der Verdacht, dass Typ-2-Diabetes nicht eine Erkrankung ist, sondern es sich um unterschiedliche Krankheiten handelt.
Aus Glasgow (Schottland) präsentierte Andreas Höhn den Zusammenhang zwischen Sozialstatus, der Entwicklung von Folgeerkrankungen und der Lebenserwartung von Menschen mit Typ-1-Diabetes. In Schottland können Forscher auf umfassende Daten aller Menschen zugreifen. Man teilte entsprechend dem sozialen Status fünf Gruppen ein. Zwischen der höchsten und der niedrigsten Gruppe unterschied sich die Lebenserwartung ausgehend vom 50. Lebensjahr bei Männern um 8,15 Jahre und bei Frauen um 5,54 Jahre.
Arme und weniger gebildete Menschen mit Typ-1-Diabetes sterben also deutlich früher. Grund ist das seltenere Auftreten von Folgeerkrankungen des Diabetes: In der sozial am meisten privilegierten Gruppe haben im Alter von 50 Jahren doppelt so viele keinerlei Folgeschäden, wenn man sie mit den am wenigsten Privilegierten vergleicht.
Die GRADE-Studie verglich bei 5000 Menschen mit Typ-2-Diabetes, die bereits mit Metformin behandelt wurden, den Sulfonylharnstoff Glimepirid, den DPP-4-Hemmer Sitagliptin, den GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid und Insulin glargin. Finanziert wurde die Studie aus öffentlichen Mitteln in den USA. Die Menschen, bei denen seit weniger als 10 Jahren Diabetes bekannt war, wurden den vier Behandlungen zugelost.
Man wollte die Wirkung der Therapie über die Zeit möglichst genau beschreiben. Den Autoren ging es um die Frage, wie wirksam und wie dauerhaft die vier Therapien waren und welche Nebenwirkungen auftraten. Am häufigsten und für die längste Zeit gelang es mit einer kleinen Dosis Insulin glargin (meist zur Nacht in geringer Dosierung gegeben), den HbA1c-Wert unter 7,5 % zu halten, gefolgt von Liraglutid. Die höchste „Versagerquote“ hatte Sitagliptin, besonders bei anfangs hohen HbA1c-Werten.
Wenn also Metformin allein nicht mehr ausreicht, ist eine geringe Dosis Verzögerungsinsulin zur Nacht eine dauerhafte Alternative zu anderen blutzuckersenkenden Medikamenten. Es kommt bei sachgerechter Schulung und Dosierung nicht häufiger zu Unterzuckerungen als z. B. unter Sulfonylharnstoffen. Bisher versuchte man immer, zunächst zum Metformin eine oder sogar zwei weitere Tabletten zu geben.
Nun steht fest: Auch die Gabe von ein wenig Insulin glargin zur Nacht ist eine sehr wirksame Behandlung. Man wird noch genau untersuchen, ob sich Patienten identifizieren lassen, bei denen bestimmte Therapien besonders gut wirkten. Es ist anzunehmen, dass Liraglutid besonders bei starkem Übergewicht (Adipositas) wirksam war, da es erwartungsgemäß darunter zur größten Gewichtsabnahme kam. Diabetologen in aller Welt wird diese Studie noch viel Diskussionsstoff liefern.
Schon jetzt gibt es Hinweise darauf, dass bei Typ-2-Diabetes eine Gruppe am meisten von einer Therapie mit Insulin profitiert. Marie Pigeyre von der McMaster-Universität in Hamilton (Kanada) wertete die Daten der über 7000 Teilnehmenden der ORIGIN-Studie aus und fand, dass die Menschen im SIDD-Cluster (schwerer Insulinmangel) am meisten von der Insulintherapie profitierten. Man kann hoffen, dass es bald möglich wird, Menschen mit Typ-2-Diabetes ganz persönliche Behandlungsempfehlungen zu geben, die für ihre Form der Erkrankung besonders geeignet sind.
Ein Online-Kongress kann den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, und so freuen sich weltweit die Diabetesforschenden schon auf die EASD-Tagung vom 20. bis 23. September 2022 in Stockholm. 2023 wird die EASD-Tagung vom 3. bis 6. Oktober in Deutschland stattfinden: erstmals in Hamburg.
Autor:innen:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (12) Seite 10-13
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