- Behandlung
Unterzuckerungen: Auf die Einstellung kommt es an
7 Minuten
Hypoglykämien stellen für die meisten Menschen mit Diabetes und deren Angehörige eine deutliche Belastung im Leben mit Diabetes dar. Wie sie damit umgehen, ist sehr unterschiedlich, wie diese Beispiele von Betroffenen zeigen.
Unterzuckerungen (Hypoglykämien, „Hypos“) sind besonders für Menschen mit Diabetes, die Insulin spritzen, eine nicht gänzlich zu vermeidende Nebenwirkung der Insulintherapie. Dies zeigen die Ergebnisse von Studien mit der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM), wonach bei einer guten Einstellung alle paar Tage – bei manchen Menschen auch fast täglich– mehr oder weniger lange Phasen mit niedrigen Glukosewerten auftreten. Hypoglykämien sind nicht schön, unterbrechen die Alltagsroutine und können gefährlich werden. Und sie können Angst machen, manchmal sogar große Angst. Auf der anderen Seite sind Unterzuckerungen auch der unvermeidliche Preis für gute Glukosewerte. Wie also damit umgehen?
Die verschiedenen Facetten von Hypoglykämien
In meiner Arbeit als psychologischer Psychotherapeut mit Diabetespatienten in einer Diabetesfachklinik habe ich erlebt, dass Menschen sehr unterschiedliche Strategien haben, mit Hypoglykämien zurechtzukommen. Es gibt Menschen, die völlig locker damit umgehen, während sich andere kaum trauen, aus dem Haus zu gehen.
Während einige viel zu wenig Angst vor Unterzuckerungen haben und die damit verbunden Risiken ausblenden, haben andere so viel Angst, dass diese sich wie ein Schatten über ihr ganzes Leben legt. Manchmal kommt die Angst davon, dass tatsächliche schwere Unterzuckerungen aufgetreten sind oder es bereits bedrohliche Situationen aufgrund von Hypoglykämien gab. Bei anderen ist es die Angst vor der Angst – schon die Vorstellung, dass Hypoglykämien auftreten könnten, reicht aus, um Angst zu empfinden.
Für wieder andere ist das Gefühl einer Unterzuckerung, wenn plötzlich alles so leicht wird und das Leben wie hinter einer Milchglasscheibe verschwindet, gar nicht so unangenehm. Und nicht wenige verleiben sich schon bei den ersten Anzeichen einer Unterzuckerung panisch sehr viele – viel zu viele – KEs/BEs ein, um sicherzugehen, dass die Glukosewerte nur ja ganz schnell wieder ansteigen. Oft zu dem Preis deutlich erhöhter Glukosewerte nach einer Hypo. Auch sehr unterschiedlich: Während einige Paare im Umgang mit Unterzuckerungen ein gutes Team sind, gibt es bei anderen bei diesem Thema immer wieder Konflikte, Auseinandersetzungen und gegenseitige Vorwürfe.
Hans hat Angst
Hans (43 Jahre hat seit 26 Jahren Typ-1-Diabetes, Insulinpumpentherapie) sagt von sich, er sei eigentlich kein Angsthase. Früher sei er sogar einmal drei Monate durch Afrika gereist, ohne dass ihm etwas passiert wäre und er Angst gehabt hätte. Aber die Hypoglykämien sind für ihn eine andere Sache: Da hat er Angst – oft und manchmal sogar so stark, dass er oft abends lieber zu Hause bleibt, wenn seine Freunde etwas unternehmen. Oder er auch nicht mehr gerne vereist. Früher war das anders, da konnte er sich auf seine ersten Anzeichen einer Unterzuckerung verlassen. Heute merkt er sie fast nicht mehr oder so spät, dass er kaum mehr reagieren kann.
Bettina, nicht ganz so locker!
Bettina ist 24 Jahre alt und hat seit kurz nach der Geburt Typ-1-Diabetes. Seit ihrem Abitur reist sie viel, lebt von Jobs in einer Galerie und will später etwas mit Kunst machen. Sie experimentiert viel und lebt sehr spontan. Das hat in Sachen Diabetes seinen Preis. Ihre Diabetologin seufzt immer, wenn sie die Glukosewerte von Bettina sieht: Bei der hohen Variabilität der Glukosewerte könne sie kein Muster erkennen, es ist ein einziges Durcheinander mit vielen Hypo- und Hyperglykämien. Nach einer schweren Unterzuckerung kommt sie zu uns in die Klinik, noch sichtlich mitgenommen von dem Ereignis.
Moderne Technik hilft Rainer
Rainer ist ein rüstiger Rentner (78 Jahre) und lebt seit dem Tod seiner Frau vor fünf Jahren allein in einem kleinen Dorf. Er fühlt sich dort wohl und ist über die regelmäßige Grabpflege auch seiner verstorbenen Frau nahe. Seit 20 Jahren hat er Typ-2-Diabetes, seit 12 Jahren spritzt er Insulin. Bislang hatte er keine großen Hypoglykämie-Probleme, aber nach einem Ausflug mit dem Gesangsverein passierte es: Er bekam nachts eine schwere Unterzuckerung und konnte erst nach Stunden seine Tochter anrufen, die den Notarzt alarmierte. Jetzt drängen seine Kinder ihn, in ein Seniorenheim in ihrer Nähe umzuziehen. Das möchte Rainer aber nicht.
Herbert will etwas ändern
Herbert ist 41 Jahre alt und hat schon seit 35 Jahren Typ-1-Diabetes. Er hatte schon viele schwere Unterzuckerungen, besonders in seiner Sturm- und Drangzeit, häufig in Verbindung mit Alkohol. Herbert hat sich darüber bisher nicht so viele Sorgen gemacht. Es ist ja alles immer gut ausgegangen, immer ist er nach einem Notarzteinsatz oder im Krankenhaus wieder aufgewacht. Schön fand er das nicht, aber Angst vor Unterzuckerungen hat er keine – ganz anders seine Partnerin, die darunter sehr leidet und bereits damit gedroht hat, die Beziehung zu beenden, weil sie nicht mit ansehen könne, wie leichtsinnig Herbert mit seinem Diabetes umgeht. Sie hat vor Hypoglykämien viel mehr Angst als er selbst.
Max, der „Hypo“-Surfer
Max ist 35 Jahre alt, verheiratet und seit zwei Jahren Vater von Zwillingen. Seit seinem 16. Lebensjahr hat Max Typ-1-Diabetes. Vor kurzem hatte er in einer Hypoglykämie einen Verkehrsunfall, bei dem er nach einer 10 Kilometer langen Fahrt, an die er sich gar nicht mehr erinnern kann, am Mittelstreifen einer Umgehungsstraße durch die Leitplanken gestoppt wurde. Sein Führerschein wurde erst einmal einbehalten.
Karin beruhigt sich
Karin (62 Jahre) hat seit 10 Jahren Typ-2-Diabetes und noch nie eine schwere Unterzuckerung gehabt, nur einige leichte, die sie aber alle rechtzeitig bemerkte und sofort behandelte. Aber seit sie seit zwei Jahren Insulin spritzt, hat sie vor möglichen Hypoglykämien eine Höllenangst. Allein durch die Vorstellung davon bekommt sie Panik. Daher achtet sie peinlich darauf, dass die Glukosewerte immer ein wenig höher sind als notwendig, was sich in ihrem HbA1c-Wert von 8,6 Prozent widerspiegelt. Auch schränkt sie ihre Freizeitaktivitäten (z. B. Radfahren) ein, von denen sie denkt, dass damit ein zu hohes Risiko für Unterzuckerungen verbunden ist.
Wir verabreden, dass sie erst im geschützten Rahmen der Klinik und dann in der Stadt im Café einmal ihren Blutzucker testet. Außerdem soll sie ihre Mitpatienten fragen, wie sie es handhaben. Karin berichtet, dass es ihr geholfen hat, über den Diabetes und die Hypoglykämien zu sprechen. Sie erzählt auch, dass sie sich lange gegen das Spritzen gewehrt hat, weil erst dadurch der Diabetes offensichtlich und für sie zu einer „richtigen“ Erkrankung wurde. Jetzt habe sich eine „Bremse im Kopf“ gelockert – und das wirke sich auch auf ihre Einstellung gegenüber Hypoglykämien aus. „Außerdem merke ich ja meine Unterzuckerungen und fühle mich mit guten Werten viel fitter.“ Ihr letzter Satz lässt mich optimistisch zurück: „Ich gehe die ganze Sache jetzt einmal gechillter an, wie meine Enkel sagen würden.“
- Auf die Einstellung kommt es an
- 10 Fragen und Antworten zur Unterzuckerung
- CGM verhindert Unterzuckerungen
von Prof. Dr. phil. Bernhard Kulzer
Diabetes Zentrum Mergentheim,
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM),
97980 Bad Mergentheim
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (11) Seite 16-19
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cesta postete ein Update vor 2 Tagen, 10 Stunden
Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche, 5 Tagen
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 2 Tagen, 21 Stunden
@mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 2 Tagen, 18 Stunden
@sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike -
sveastine antwortete vor 2 Tagen, 8 Stunden
@mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻♀️
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mayhe antwortete vor 1 Tag, 18 Stunden
@sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike
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mayhe antwortete vor 1 Tag, 18 Stunden
@mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.
LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c
Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)