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Heute weiß man: Jeder Diabetiker sollte gleich nach Diagnose und dann regelmäßig zum Zahnarzt. Umgekehrt kann die Zahnarztpraxis zum Ort der Diabetes-Diagnose werden. So eng hängen Diabetes und Parodontitis tatsächlich zusammen.
Mund- und Allgemeingesundheit sind zwei Seiten einer Medaille: Das belegen wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre eindeutig; häufig erforscht ist vor allem das Verhältnis zwischen Parodontitis und Typ-2-Diabetes. Die chronischen Erkrankungen mit steigender Verbreitung sind wechselseitig miteinander verbunden: Da sie zunächst keine Beschwerden verursachen, werden beide Krankheiten oft erst erkannt, wenn sie weit fortgeschritten sind.
Durch verbesserte parodontale Vorsorge und rechtzeitige Therapie der Parodontalerkrankungen können Entzündungsprozesse und Insulinresistenz aufgehalten und der Behandlungserfolg erhöht werden.
Studien zeigen, dass eine gute Blutzuckereinstellung den Langzeiterfolg der Parodontitis-Therapie sichert – und sich umgekehrt eine optimale Behandlung von Parodontopathien (Erkrankungen des Zahnhalteapparates) günstig auf den Blutzucker von Diabetikern auswirken kann. Die praktische Empfehlung lautet daher: Jeder Diabetiker sollte vom Diabetologen regelmäßig zum Zahnarzt geschickt werden. Der Zahnarzt wiederum sollte bei Parodontitis an Diabetes denken.
Bei der Parodontitis wie auch beim Typ-2-Diabetes handelt es sich um weitverbreitete, chronische Erkrankungen: Parodontitis ist eine der häufigsten Erkrankungen weltweit. 15 bis 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind parodontal schwer erkrankt. Bei Parodontitis bilden sich Zahnfleischtaschen, Zahnfleisch geht zurück, der Alveolarknochen wird abgebaut, und der Zahnhalteapparat geht verloren. Unbehandelt kann Parodontitis zu Zahnlockerung und letztlich zu Zahnverlust führen. Hauptauslöser sind vor allem Bakterien im Zahnbelag (Plaque).
Ob Menschen ein erhöhtes Risiko für Parodontitis haben, liegt neben den Mundpflegegewohnheiten auch an genetischen Vorbedingungen oder sozioökonomisch ungünstigen Lebensumständen. Auch Rauchen oder eben Allgemeinerkrankungen wie Diabetes mellitus können ursächlich für die Krankheitsentstehung sein.
Parodontitis gilt heute als eine ernstzunehmende Diabetes-Folgeerkrankung. So haben Diabetiker im Vergleich zu Nichtdiabetikern ein dreifach erhöhtes Risiko, an Parodontitis zu erkranken. Verbreitung, Schweregrad und Verlauf der Parodontitis und des Zahnverlustes sind mit Diabetes verknüpft; Typ-1- wie Typ-2-Diabetes gelten als Risikofaktor. Das erhöhte Risiko, bei Vorliegen eines Diabetes an Parodontitis zu erkranken, steht in direktem Zusammenhang mit der Blutzuckereinstellung:
Wer eine gute Blutzuckereinstellung hat, hat kein erhöhtes Risiko; wer eine schlechtere Einstellung hat, erhöht sein Risiko für eine Zerstörung des Zahnhalteapparates und letztlich für Zahnverlust. Bei bereits vorliegender Parodontitis wirkt eine gute Blutzuckereinstellung positiv auf den Behandlungserfolg: Gut eingestellte Diabetiker sprechen ähnlich gut auf eine Parodontitisbehandlung an wie Nichtdiabetiker und die Ergebnisse können gleichermaßen erfolgreich aufrechterhalten werden.
Andererseits führt eine unbehandelte schwere Entzündung des Zahnfleischs zu einer Erhöhung der Blutzuckerwerte. Und je tiefer die Zahnfleischtaschen oder das entzündete parodontale Gewebe sind, desto höher steigt der HbA1c-Wert bei Diabetikern. Daher haben Diabetiker mit einer Parodontitis eine schlechtere Blutzuckereinstellung als parodontal gesunde Diabetiker.
Auch Nichtdiabetiker haben ein erhöhtes Risiko für eine Verschlechterung der Blutzuckerwerte bzw. die Entstehung eines Diabetes – als Folge einer parodontalen Erkrankung. Studien bei Pima-Indianern in Nordamerika, unter denen Typ-2-Diabetiker weitverbreitet sind, haben gezeigt, dass Parodontitis verbunden ist mit gesteigertem Risiko für diabetesbedingte Komplikationen und sogar eine erhöhte Sterblichkeit.
Nächste Seite: Wie man seine Mundpflegegewohnheiten verbessert, was Haus- und Zahnärzte tun können und wieso Vorbeugung die halbe Miete ist.
Künftig sollten also regelmäßige zahnärztliche Vorbeuge- und Kontrolluntersuchungen oder die rechtzeitige Parodontitistherapie mehr Gewicht bekommen.
Bei einer systematischen Parodontitisbehandlung findet zunächst eine Mundhygiene-Unterweisung statt zur Verbesserung der persönlichen Mundpflegegewohnheiten. Reizfaktoren werden beseitigt wie Zahnstein oder überstehende Füllungsränder; Zahnbelag wird professionell entfernt. Es folgen eine mechanische Reinigung der Wurzeloberflächen sowie bei Bedarf korrektive chirurgische Maßnahmen – mit dem Ziel, entzündungsfreie Verhältnisse zu schaffen. Die Parodontitistherapie schließt sich an, sie ist regelmäßig durchzuführen und soll das erreichte Behandlungsergebnis langfristig aufrechterhalten.
Eine erfolgreiche Behandlung der parodontalen Infektion verringert die Taschentiefe und verbessert die Blutzuckerkontrolle. In einer Reihe von Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass eine effektive Parodontitistherapie die Blutzuckereinstellung bei parodontal erkrankten Diabetikern verbessern kann: Bei Typ-2-Diabetikern war drei Monate nach der Parodontitistherapie der HbA1c-Wert um 0,4 bis 0,5 Prozent gesunken. Diese Verbesserung entspricht dem Hinzufügen eines weiteren Medikaments zu einer medikamentösen Therapie bei Diabetes!
Diabetes mellitus wie auch Parodontitis sind Erkrankungen, die über Fachgrenzen hinausgehen. Also sollten behandelnder Hausarzt/Internist und Zahnarzt eng zusammenarbeiten – und zu Ihnen als Patienten einen vertrauensvollen Kontakt haben. Jeder Betroffene sollte bei der routinemäßigen Arztuntersuchung nach Parodontalerkrankungen befragt, über Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung aufgeklärt und an die jährliche zahnärztliche Untersuchung erinnert werden.
Auch bei leicht erkennbaren Symptomen wie Mundgeruch und Zahnfleischbluten ist eine zeitnahe Überweisung zum Zahnarzt nötig. Werden gelockerte Zähne, Zahnwanderungen oder Zahnfleischabszesse beobachtet, so sollte schnell ein Zahnarzt aufgesucht werden, damit er den Verdacht auf Parodontalerkrankungen abklärt und diese bei Bedarf behandelt.
Der Zahnarzt sollte Diabetiker aufklären: über das parodontale Erkrankungsrisiko, über damit verbundene Komplikationen, besonders über die Bedeutung der täglichen häuslichen Mundhygiene wie auch über die notwendige lebenslange Betreuung durch den Zahnarzt. Zum Pflichtprogramm der Zahnpflege von Diabetikern gehören die tägliche Entfernung der Plaque (Zahnbelag) mit Hilfe einer Zahnbürste, ebenso die regelmäßige Anwendung von Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürsten.
Bei allen neu diagnostizierten Typ-1- und Typ-2-Diabetikern sollten Untersuchungen durch den Zahnarzt Teil der Diabetesbehandlung sein. Kinder und Jugendliche mit der Diagnose Diabetes sollten ab dem 6. bzw 7. Lebensjahr jährlich von einem Zahnarzt untersucht werden.
Folgende Fragen zur bestehenden Erkrankung sollte der Zahnarzt vor Behandlungsbeginn klären: An welchem Diabetestyp leidet der Patient? Seit wann besteht der Diabetes mellitus? Liegen Begleit- und Folgeerkrankungen vor – und wenn ja, welche sind das? Wie wird der Diabetes augenblicklich behandelt, und wie ist der HbA1c-Wert?
Und wenn jemand keinen Diabetes hat, aber offensichtliche Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes wie Übergewicht, Bluthochdruck, auch Diabetes in der Familie hat – sowie Zeichen einer Parodontitis? Hier gilt:
Der Zahnarzt sollte über ein Diabetesrisiko informieren und den Besuch beim Hausarzt für eine entsprechende Diabetes-Diagnostik empfehlen. Denn auch in diesem Punkt sind Diabetes und Parodontitis eng miteinander verbunden: Vorbeugung ist die halbe Miete für eine erfolgreiche Behandlung (siehe Abb.1)!
Kontakt:
Abteilung für Parodontologie, Zahnerhaltung und Endodontologie, Universitätsklinikum Greifswald, Rotgerberstraße 8, 17487 Greifswald, E-Mail: kocher@uni-greifswald.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (3) Seite 26-29
5 Minuten
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