Wechselwirkung: Gestörte Mundgesundheit ruft hohe Blutzuckerwerte hervor

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© Kirchheim-Verlag / Andreas Schickert
Wechselwirkung: Gestörte Mundgesundheit ruft hohe Blutzuckerwerte hervor

Heute weiß man: Jeder Mensch mit Diabetes sollte gleich nach Diagnose und dann regelmäßig zum Zahnarzt. Umgekehrt kann die Zahnarztpraxis zum Ort der Diabetes-Diagnose werden. Denn so eng hängt die Wechselwirkung zwischen Diabetes und der Mundgesundheit – insbesondere bezüglich Parodontitis – tatsächlich zusammen.

Mund- und Allgemeingesundheit sind zwei Seiten einer Medaille: Das belegen wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre eindeutig; häufig erforscht ist vor allem das Verhältnis zwischen Parodontitis und Typ-2-Diabetes. Die chronischen Erkrankungen mit steigender Verbreitung sind wechselseitig miteinander verbunden: Da sie zunächst keine Beschwerden verursachen, werden beide Krankheiten oft erst erkannt, wenn sie weit fortgeschritten sind.

Durch verbesserte parodontale Vorsorge und rechtzeitige Therapie der Parodontalerkrankungen können Entzündungsprozesse und Insulinresistenz aufgehalten und der Behandlungserfolg erhöht werden.

Erfolge in zwei Richtungen

Studien zeigen, dass eine gute Blutzuckereinstellung den Langzeiterfolg der Parodontitis-Therapie sichert – und sich umgekehrt eine optimale Behandlung von Parodontopathien (Erkrankungen des Zahnhalteapparates) günstig auf den Blutzucker von Diabetikern auswirken kann. Die praktische Empfehlung lautet daher: Jeder Diabetiker sollte vom Diabetologen regelmäßig zum Zahnarzt geschickt werden. Der Zahnarzt wiederum sollte bei Parodontitis an Diabetes denken.

Bei der Parodontitis wie auch beim Typ-2-Diabetes handelt es sich um weitverbreitete, chronische Erkrankungen: Parodontitis ist eine der häufigsten Erkrankungen weltweit. 15 bis 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind parodontal schwer erkrankt. Bei Parodontitis bilden sich Zahnfleischtaschen, Zahnfleisch geht zurück, der Alveolarknochen wird abgebaut, und der Zahnhalteapparat geht verloren. Unbehandelt kann Parodontitis zu Zahnlockerung und letztlich zu Zahnverlust führen. Hauptauslöser sind vor allem Bakterien im Zahnbelag (Plaque).

Auch genetisch bedingt

Ob Menschen ein erhöhtes Risiko für Parodontitis haben, liegt neben den Mundpflegegewohnheiten auch an genetischen Vorbedingungen oder sozioökonomisch ungünstigen Lebensumständen. Auch Rauchen oder eben Allgemeinerkrankungen wie Diabetes mellitus können ursächlich für die Krankheitsentstehung sein.

Parodontitis ist eine Diabetes-Folgeerkrankung

Parodontitis gilt heute als eine ernstzunehmende Diabetes-Folgeerkrankung. So haben Diabetiker im Vergleich zu Nichtdiabetikern ein dreifach erhöhtes Risiko, an Parodontitis zu erkranken. Verbreitung, Schweregrad und Verlauf der Parodontitis und des Zahnverlustes sind mit Diabetes verknüpft; Typ-1- wie Typ-2-Diabetes gelten als Risikofaktor. Das erhöhte Risiko, bei Vorliegen eines Diabetes an Parodontitis zu erkranken, steht in direktem Zusammenhang mit der Blutzuckereinstellung:

Blutzucker bedingt Risiko

Wer eine gute Blutzuckereinstellung hat, hat kein erhöhtes Risiko; wer eine schlechtere Einstellung hat, erhöht sein Risiko für eine Zerstörung des Zahnhalteapparates und letztlich für Zahnverlust. Bei bereits vorliegender Parodontitis wirkt eine gute Blutzuckereinstellung positiv auf den Behandlungserfolg: Gut eingestellte Diabetiker sprechen ähnlich gut auf eine Parodontitisbehandlung an wie Nichtdiabetiker und die Ergebnisse können gleichermaßen erfolgreich aufrechterhalten werden.

Zahnfleischentzündung erhöht Blutzucker!

Andererseits führt eine unbehandelte schwere Entzündung des Zahnfleischs zu einer Erhöhung der Blutzuckerwerte. Und je tiefer die Zahnfleischtaschen oder das entzündete parodontale Gewebe sind, desto höher steigt der HbA1c-Wert bei Diabetikern. Daher haben Diabetiker mit einer Parodontitis eine schlechtere Blutzuckereinstellung als parodontal gesunde Diabetiker.

Auch Nichtdiabetiker haben ein erhöhtes Risiko für eine Verschlechterung der Blutzuckerwerte bzw. die Entstehung eines Diabetes – als Folge einer parodontalen Erkrankung. Studien bei Pima-Indianern in Nordamerika, unter denen Typ-2-Diabetiker weitverbreitet sind, haben gezeigt, dass Parodontitis verbunden ist mit gesteigertem Risiko für diabetesbedingte Komplikationen und sogar eine erhöhte Sterblichkeit.

Mundpflegegewohnheiten verbessern

Künftig sollten also regelmäßige zahnärztliche Vorbeuge- und Kontrolluntersuchungen oder die rechtzeitige Parodontitistherapie mehr Gewicht bekommen.

Bei einer systematischen Parodontitisbehandlung findet zunächst eine Mundhygiene-Unterweisung statt zur Verbesserung der persönlichen Mundpflegegewohnheiten. Reizfaktoren werden beseitigt wie Zahnstein oder überstehende Füllungsränder; Zahnbelag wird professionell entfernt. Es folgen eine mechanische Reinigung der Wurzeloberflächen sowie bei Bedarf korrektive chirurgische Maßnahmen – mit dem Ziel, entzündungsfreie Verhältnisse zu schaffen. Die Parodontitistherapie schließt sich an, sie ist regelmäßig durchzuführen und soll das erreichte Behandlungsergebnis langfristig aufrechterhalten.

Eine erfolgreiche Behandlung der parodontalen Infektion verringert die Taschentiefe und verbessert die Blutzuckerkontrolle. In einer Reihe von Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass eine effektive Parodontitistherapie die Blutzuckereinstellung bei parodontal erkrankten Diabetikern verbessern kann: Bei Typ-2-Diabetikern war drei Monate nach der Parodontitistherapie der HbA1c-Wert um 0,4 bis 0,5 Prozent gesunken. Diese Verbesserung entspricht dem Hinzufügen eines weiteren Medikaments zu einer medikamentösen Therapie bei Diabetes!

Einfache Maßnahmen zur Vorbeugung:

Als Mensch mit Diabetes haben Sie ein bis zu 3-fach erhöhtes Risiko, an einer Entzündung des Zahnhalteapparates zu erkranken. Ist Ihre Blutzuckereinstellung gut, ist Ihr Risiko nicht höher als bei Nichtdiabetikern. Umgekehrt: Eine unbehandelte Parodontitis erschwert eine gute Blutzuckereinstellung – und erhöht somit das Risiko für Folgeerkrankungen. Schon mit einfachen Maßnahmen können Sie Parodontitis und anderen Folgeerkrankungen vorbeugen:

  1. Kontrollieren Sie regelmäßig Ihren Blutzuckerwert, und sorgen Sie dafür, dass Ihre Einstellung stimmt.
  2. Pflegen Sie gründlich und regelmäßig Ihre Zähne: Dazu gehört neben dem Zähneputzen morgens und abends auch das Reinigen der Zahnzwischenräume mit Hilfe von Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürsten.
  3. Gehen Sie zweimal jährlich zu zahnärztlichen Kontrolluntersuchungen, auch wenn Sie keine Beschwerden haben.
  4. Informieren Sie Ihren Zahnarzt über Ihre Diabe­tes­-Erkrankung; wichtig sind der Diabetes-Typ, die Dauer der Erkrankung, Ihre Blutzuckereinstellung, das Vorhandensein von Begleit- oder Folgeerkrankungen und Ihre augenblickliche Therapie.
  5. Lassen Sie regelmäßig in der Zahnarztpraxis eine professionelle Zahnreinigung durchführen („PZR“), um sämtliche Beläge auch von den schwer erreichbaren Stellen zu entfernen.
  6. Folgende Warnzeichen könnten auf eine Erkrankung des Zahnhalteapparates hindeuten – und sollten von einem Zahnarzt abgeklärt werden:
    • stark gerötetes und geschwollenes Zahnfleisch,
    • regelmäßiges Zahnfleischbluten,
    • dauerhafter Mundgeruch, schlechter Mundgeschmack,
    • das Zahnfleisch zieht sich zurück (die Zähne erscheinen „länger“),
    • Sie haben das Gefühl, dass einzelne Zähne locker werden.
  7. Achten Sie auf ausgewogene und maßvolle Ernährung und regelmäßige Bewegung, denn: Gewichtsabnahme und eine Verbesserung der Blutzuckereinstellung können das Risiko für Parodontitis und andere Folgeerkrankungen verringern.
  8. Verzichten Sie aufs Rauchen und vermeiden Sie (so gut es geht) psychischen Stress, um Ihr Parodontitis-Risiko weiter zu senken.
  9. Hat Ihr Zahnarzt bei Ihnen bereits eine Par­odontitis diagnostiziert, dann nehmen Sie gewissenhaft und regelmäßig Ihre Behandlungs- und anschließend Ihre Nachsorgetermine wahr – nur durch eine erfolgreiche Parodontitis-Therapie, bei der die Taschentiefen vermindert werden, können erhöhte Blutzuckerwerte gesenkt werden.
  10. Informieren Sie Ihren Diabetologen über Entzündungen des Zahnhalteapparates, um Ihre Blutzuckereinstellung zu erleichtern.

Mundgesundheit: Was können Hausarzt/Internist tun?

Diabetes mellitus wie auch Parodontitis sind Erkrankungen, die über Fachgrenzen hinausgehen. Also sollten behandelnder Hausarzt/Internist und Zahnarzt eng zusammenarbeiten – und zu Ihnen als Patienten einen vertrauensvollen Kontakt haben. Jeder Betroffene sollte bei der routinemäßigen Arztuntersuchung nach Parodontalerkrankungen befragt, über Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung aufgeklärt und an die jährliche zahnärztliche Untersuchung erinnert werden.

Auch bei leicht erkennbaren Symptomen wie Mundgeruch und Zahnfleischbluten ist eine zeitnahe Überweisung zum Zahnarzt nötig. Werden gelockerte Zähne, Zahnwanderungen oder Zahnfleischabszesse beobachtet, so sollte schnell ein Zahnarzt aufgesucht werden, damit er den Verdacht auf Parodontalerkrankungen abklärt und diese bei Bedarf behandelt.

Allgemeingesundheit: Was kann der Zahnarzt tun?

Der Zahnarzt sollte Diabetiker aufklären: über das parodontale Erkrankungsrisiko, über damit verbundene Komplikationen, besonders über die Bedeutung der täglichen häuslichen Mundhygiene wie auch über die notwendige lebenslange Betreuung durch den Zahnarzt. Zum Pflichtprogramm der Zahnpflege von Diabetikern gehören die tägliche Entfernung der Plaque (Zahnbelag) mit Hilfe einer Zahnbürste, ebenso die regelmäßige Anwendung von Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürsten.

Bei allen neu diagnostizierten Typ-1- und Typ-2-Diabetikern sollten Untersuchungen durch den Zahnarzt Teil der Diabetesbehandlung sein. Kinder und Jugendliche mit der Diagnose Diabetes sollten ab dem 6. bzw 7. Lebensjahr jährlich von einem Zahnarzt untersucht werden.

Vorher Fragen klären

Folgende Fragen zur bestehenden Erkrankung sollte der Zahnarzt vor Behandlungsbeginn klären: An welchem Diabetestyp leidet der Patient? Seit wann besteht der Diabetes mellitus? Liegen Begleit- und Folgeerkrankungen vor – und wenn ja, welche sind das? Wie wird der Diabetes augenblicklich behandelt, und wie ist der HbA1c-Wert?

Und wenn jemand keinen Diabetes hat, aber offensichtliche Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes wie Übergewicht, Bluthochdruck, auch Diabetes in der Familie hat – sowie Zeichen einer Parodontitis? Hier gilt:

Vorbeugung: die halbe Miete

Der Zahnarzt sollte über ein Diabetesrisiko informieren und den Besuch beim Hausarzt für eine entsprechende Diabetes-Diagnostik empfehlen. Denn auch in diesem Punkt sind Diabetes und Parodontitis eng miteinander verbunden: Vorbeugung ist die halbe Miete für eine erfolgreiche Behandlung!

Schwerpunkt „Mundgesundheit: Dem Diabetes auf den Zahn gefühlt“


von Prof. Dr. Thomas Kocher

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (3) Seite 26-29

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  • loredana postete ein Update vor 1 Tag, 13 Stunden

    Die Registrierung mit dem Geburtsjahr war echt sportlich. Wollte es schon fast wieder abbrechen.

  • ambrosia postete ein Update vor 2 Tagen, 11 Stunden

    Ich wünsche allen einen schönen Mittwoch.

  • Hallo, ich bin Stefanie, die Diagnose Typ 1, habe ich vor drei Monaten bekommen.
    Ich merke wie es mir aktuell mit der Diagnose eher schlechter, als besser geht und meine Depression wieder da ist und ich auch eine neue Therapie starten werde. Ich habe aber das Gefühl, dass mich niemand Freundeskreis verstehen kann, weil niemand weiß, wie sehr diese Diagnose das Leben durcheinander bringt und ich auf so vieles aufpassen muss. Vor zwei Wochen hatte ich meine Schulung, tatsächlich fällt mir der Umgang mit dem Diabetes eher sogar schwerer. Eine Leichtigkeit (ist auch zu viel verlangt) ist nicht eingetreten. Sicherheit nur etwas.
    Es gibt bei mir leider keine Selbsthilfegruppen vor Ort, darum habe ich mich nun entschieden, den Diabetes Anker beizutreten und hoffe auf Verständnis von “Gleichgesinnten”
    Viele Grüße

    • Hallo Stefanie, schön ,dass du da bist. Wir treffen uns zum virtuellen Austausch nächste Woche Donnerstag. Vielleicht hast du ja Zeit und kannst dich einwählen 🙂 Ich freue mich, wenn wir uns dort sehen. Liebe Grüße Lena

      Virtuelles Diabetes-Anker Community-MeetUp im Dezember

    • Hallo Stefanie! Ich weiß noch wie es nach meiner Diagnose war – es dauert bis da von Leichtigkeit die Rede sein kann. Und das Umfeld tut sich oft sehr schwer das alles zu verstehen. Es wird besser aber es braucht Zeit. Alles Gute

    • @lena-schmidt: Hallo Lena, ich habe angemeldet und steht auch fest im Kalender.

    • @moira: Danke dir, ja es ist nicht ganz leicht damit klarzukommen und du hast recht, das Umfeld stellt mir Unmengen an Fragen, aber die kann ich aktuell selbst nicht beantworten, weil ich selbst genügend habe und andere Prios. Am schlimmsten empfinde ich die gutgemeinten “Ratschläge”.

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