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Hypoglykämien – eine unterschätzte Gefahr
4 Minuten

Gleich nach der Diagnose habe ich (wie wohl viele andere auch) als Erstes zu hören bekommen: Halte deine Werte unten, achte auf ein tiefes HbA1c. Sonst werden deine Nieren versagen, du wirst offene Beine bekommen und erblinden. Wir alle wissen das. Wir wissen, wie schlecht wir uns fühlen, wenn wir eine Ketoazidose haben. Wie schlecht uns ist, wenn der Wert stundenlang bei 400 mg/dl (22,2 mmol/l) hängt. Und wie wir bei hohen Werten unterschwellig Panik bekommen, weil wir das Bild der drohenden Folgeschäden irgendwie immer im Hinterkopf haben.
Aber wenn ich über das Wort „Panik“ spreche, drängt sich mir eine andere Situation noch viel mehr ins Gedächtnis: die Hypoangst. Nicht die Angst VOR einer Hypoglykämie, nein. Sondern vielmehr der Stress und die puren Paniksignale, die mein Körper aussendet, wenn die Glukose im Blut gefährlich gering ist. Wenn mein Körper um jedes Milligramm, um jede Zelle kämpft, die er versorgen muss. Wir alle kennen diese Gefühle. Das Schwitzen, das Zittern, das Herzrasen und: der Fressflash.
Wir wissen, dass wir eigentlich eine kurzwirkende und zwei langanhaltende BEs essen sollten, damit unser Blutzucker nach der überstanden Hypo nicht katapultartig nach oben schießt. Und deshalb wissen wir, noch während wir uns die zehnte BE zwischen die Zähne schieben, dass wir grade einen „Fehler“ begehen. Denn diese Situation hat uns niemand beigebracht. Niemand hat uns vorgewarnt, dass wir die Kontrolle über unseren Körper, über unsere Handlungen verlieren werden – weil unser Körper uns schlichtweg dazu zwingt.
Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, wie oft es knapp war. Wie oft wir aus dem Auto gestiegen sind, gemessen haben und dachten: „Mist. Das hätte auch anders ausgehen können.“ Oder wie oft wir zitternd, schwitzend, kaum fähig zu denken, in ein Restaurant oder einen Kiosk getorkelt sind, um eine Cola hinunterzukippen.
Was ist eigentlich die Hypo?
Laut der Definition, die ich z.B. von Anfang an höre: ein niedriger Blutzuckerwert unter 60 mg/dl (3,3 mmol/l). Ein Messwert, eine Zahl soll also entscheiden, ob es unserem Körper noch gut geht oder nicht. Über dem Grenzwert soll alles okay sein, darunter sollen wir nach dem uns antrainierten Schema handeln.
Wenn wir uns aber nach unserem eigenen, ganz individuellen Körperempfinden richten, stellen wir fest, dass diese Zahl nicht einfach den sich ständig ändernden Glukoseverbrauch und -bedarf wirklich jemals real abbildet. Selbst bei deutlich höheren Werten überraschen uns Hyposymptome von Zeit zu Zeit. Und wieder fangen wir an zu stopfen – BE um BE wandert in unseren Organismus.
Ein Auto ohne Sprit bleibt stehen
Wenn uns doch aber unser Verstand und die Ärzte sagen, dass wir hohe Werte nicht riskieren dürfen, weil sie schädlich für uns sind – wieso tun wir es dann trotzdem? Warum handelt unser Körper mit solcher Kraft, als ob es ihm ums nackte Überleben gehen würde? Eigentlich ist es simpel. Ein Auto ohne Sprit bleibt stehen. So auch unser Körper. Ein Auto startet nach dem Tanken wieder einwandfrei… Ein Lebewesen ohne Energie (also Glukose) ist schlichtweg eines: tot.
Und weil es genau das ist, was unser unglaublich intelligenter Körper versucht zu verhindern, kämpft bei jeder Hypo der Verstand gegen den Überlebensinstinkt – und das Insulin gegen das Glukagon. Glukagon – das ist unser heimlicher Lebensretter. Von jeder Mahlzeit packt der Körper das, was er für die momentane Versorgung nicht braucht, sorgfältig in Leber und Muskeln, um für schlechte Zeiten vorzusorgen.
Doch was, wenn die Reserven leer sind? Oder unser Körper sie nicht erreichen kann, weil Insulin oder Alkohol das verhindern? Dann verlieren wir den Kampf. Viele von uns haben auch das bereits erlebt. Wenn das empfindliche Gleichgewicht unserer Energieversorgung nicht stimmt, gerät unser nahezu perfektes, extrem sensibles System durcheinander – und dem größten Energiefresser unseres Körpers wird schlichtweg der Strom abgestellt: Wir werden bewusstlos – denn unser Hirn ist für die Lebenserhaltung eigentlich vollkommen unwichtig.
Eine Hypo kann uns das Leben kosten
Die Hypo endet am Baum, am Fuße der Treppe oder mit dem Kopf gegen die Tischkante. Die Bewusstlosigkeit ist gefährlich – ja. Doch bedenken wir alles, was wir über uns und die extremen Reaktionen unseres Körpers auf eine Hypo wissen, dann muss uns auch klar sein: Auch eine Hypo an sich kann uns das Leben kosten – vor allem dann, wenn unsere Reserven nicht nutzbar sind.
Unser subjektives Empfinden der Panikreaktion unseres Körpers bestätigt also das, was auch Studien beweisen: 6% aller Tode von Typ-1-Diabetikern unter 40 Jahren gehen auf das Konto von nächtlichen Hypoglykämien.
Das gewohnte Herzrasen, die bleierne Müdigkeit und das schleppende Denken kennt wohl jeder, der jemals eine Hypo hatte – und sorgt vor allem nachts dafür, dass wir aus einer Hypo nicht aufwachen und unser Körper damit kein Signal erhält, das ihn zur Hormonausschüttung anregt…wodurch wir dem Tod entgegengehen. Gefährdet sind wir also durch hohe Insulindosen, durch Alkohol, durch Bewegung – schlichtweg: durch das pure Leben. Wir können bloß versuchen, für unser Überleben gefährliche Werte zu vermeiden – durch Beobachten, Ausprobieren und Messen.
Können wir unser Befinden an einer Zahl festmachen?
Doch genau dort liegt auch das Problem: Wie können wir uns sicher sein, uns in dem „nicht kritischen“ Bereich zu befinden, wenn unsere Blutzuckermessgeräte allein schon eine Standardabweichung von 15% haben (dürfen)? Können wir unser Befinden, die Reaktionen unseres Körpers wirklich an einer Zahl festmachen?
Auch die Internationale Gesellschaft für kindlichen und jugendlichen Diabetes (ISPAD) hat dies 2014 thematisch aufgegriffen – sie definiert eine Hypoglykämie mittlerweile als Blutzuckerabfall mit möglicher Gefährdung, ohne diesen Zustand mit Zahlen zu beschreiben. Und wie können wir auch davon ausgehen, dass diese Zahlen immer richtig wären? Mal rast der Blutzucker nach 4 BE in die Höhe, ein anderes Mal reichen 4 BE unter gleichen Bedingungen nicht aus, um den Abfall zu stoppen.
Wir sehen also: Unser Körper ist oft schwierig zu verstehen. Einerseits sollen wir uns nach Zahlen und Schemata richten – andererseits sagt uns unser Organismus häufig etwas völlig anderes. Ich für meinen Teil höre meistens auf mein Gefühl und versuche dann, geduldig mit mir zu bleiben – um nicht mit zu schnellen Insulingaben in die gleiche Situation zurückzurutschen.
Denn letztlich sollte uns immer bewusst sein: Hohe Blutzuckerwerte schädigen uns zwar langfristig – aber eine Hypo kann uns jederzeit den Kopf kosten.
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig