Missverständliche Beipackzettel: So behalten Sie den Durchblick

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Missverständliche Beipackzettel: So behalten Sie den Durchblick

Beipackzettel sind oft schwer zu verstehen und Sorgen obendrein bei vielen Menschen zusätzlich für Verunsicherung. Apothekerin Dr. Viktoria Mühlbauer von der Universität Hamburg gibt Hinweise, wie Sie am besten mit den Informationen im Beipackzettel umgehen.

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“: Das ist ein Satz, der uns häufig begegnet. Eine Umfrage der Stiftung Warentest mit 15.000 Teilnehmern ergab: Patienten nutzen vor allem die Packungsbeilage (meist Beipackzettel genannt) und das Internet, um sich über Arzneimittel zu informieren

Doch gerade der Beipackzettel ist oft schwer zu verstehen. Sogar die Europäische Kommission bestätigt, dass die Verständlichkeit verbessert werden müsste: Design und Layout sollen benutzerfreundlicher werden und die Sprache weniger komplex.

Juristische Absicherung statt Patienteninformation

Denken Sie daran: Die Beipackzettel sind juristische Dokumente. Sie dienen in erster Linie dazu, die Hersteller abzusichern – und nicht zur Information der Patienten. Die Hersteller müssen nämlich nur dann für einen Schaden haften, wenn sie vor bekannten Nebenwirkungen nicht im Beipackzettel warnen. Wie aber findet man heraus, welche Nebenwirkungen ein Arzneimittel verursacht?

Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln werden in klinischen Studien erforscht. Die Studienteilnehmer werden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe bekommt das Arzneimittel, die andere ein identisch aussehendes Scheinpräparat ohne Wirkstoff (Placebo). Keiner der Teilnehmer weiß, ob er ein Arzneimittel oder ein Placebo bekommt.

Wenn Beschwerden (z. B. Muskelschmerzen, Übelkeit) deutlich häufiger in der Arzneimittel- als in der Placebogruppe auftreten, werden sie vermehrt durch das Arzneimittel verursacht. Beschwerden, die gleich häufig in beiden Gruppen auftreten, sind wahrscheinlich nur ganz alltägliche Beschwerden. Diese würden auch ohne Einnahme eines Arzneimittels auftreten. Ich erkläre das im Folgenden am Beispiel der Statine. Das sind Arzneimittel, die den Cholesterinspiegel senken und Herzinfarkte verhindern sollen.

Was sagen die Zahlen überhaupt aus?

Eine Auswertung aller klinischen Studien zu den Statinen mit insgesamt 37 938 Teilnehmern hatte folgendes Ergebnis:

Beschwerden: Muskelschmerzen
Studienteilnehmer mit Beschwerden, die ein Statin bekamen 9,5 Prozent
Studienteilnehmer mit Beschwerden, die ein Placebo bekamen 9,2 Prozent

9,5 Prozent der Teilnehmer, die ein Statin bekamen, hatten also Muskelschmerzen – aber auch 9,2 Prozent der Teilnehmer, die ein Placebo bekamen. Muskelschmerzen traten somit in beiden Gruppen gleich häufig auf. Das bedeutet: Muskelschmerzen können auch auftreten, wenn kein Statin eingenommen wird. Die Teilnehmer, die während der Statintherapie Muskelschmerzen bekamen, hätten wohl auch Muskelschmerzen bekommen, wenn sie kein Statin eingenommen hätten.

Der daraus entwickelte Beipackzettel hingegen enthält nur einen Teil dieser Information:

Beschwerden: Muskelschmerzen
Studienteilnehmer mit Beschwerden, die ein Statin bekamen 9,5 Prozent

Die genaue Formulierung im Beipackzettel ist: Häufig (kann bis zu 1 von 10 Behandelten betreffen): Muskelschmerzen.

In den Beipackzetteln der Statine findet sich also lediglich die Angabe, wie häufig Beschwerden in der Statingruppe aufgetreten sind. Um beurteilen zu können, ob ein Arzneimittel eine Nebenwirkung verursacht oder ob es sich um alltägliche Beschwerden handelt, muss man aber wissen, wie häufig die Beschwerden auch ohne Arzneimitteleinnahme auftreten. Diese Informationen fehlen im Beipackzettel. Dadurch kann der Abschnitt „Nebenwirkungen“ im Beipackzettel in seiner aktuellen Fassung gar nicht verstanden werden!

Wissen zumindest Fachleute Bescheid?

Wir aus den Gesundheitswissenschaften der Universität Hamburg wollten wissen, ob wenigstens die Fachleute mit dem Abschnitt Nebenwirkungen im Beipackzettel umgehen können. Dazu haben wir Angehörige der Gesundheitsberufe befragt, insgesamt knapp 400 Ärzte, Apotheker, Krankenschwestern, medizinische Fachangestellte und Studierende der Medizin, Pharmazie und Gesundheitswissenschaften.

Das Ergebnis war eindeutig: Von den Befragten war sich niemand dessen bewusst. Ca. 80 Prozent glaubten, das Arzneimittel verursache die Nebenwirkung mit der im Beipackzettel gelisteten Häufigkeit. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker? Manchmal vielleicht lieber nicht …

Studienergebnisse können täuschen

Statine haben den Ruf, Muskelschmerzen zu verursachen. In den großen klinischen Studien konnte dies, wie gesagt, nicht bestätigt werden: Sowohl in der Statingruppe als auch in der Placebogruppe traten Muskelschmerzen gleich häufig auf. Allerdings nehmen an solchen Studien meist „fitte“ Patienten ohne Begleiterkrankungen teil. Werden Patienten mit einem höheren Risiko für Muskelschmerzen von der Teilnahme an der Studie ausgeschlossen, kann das Ergebnis verfälscht sein.

Eine andere Studie zu den Statinen hat hingegen gezeigt: Solange die Teilnehmer nicht wussten, ob sie ein Statin oder ein Placebo bekamen, hatten beide Gruppen gleich häufig Muskelschmerzen. Am Ende der Studie wurden die Teilnehmer aufgeklärt, ob sie ein Statin oder ein Placebo bekommen hatten. Bei der nächsten Befragung hatten plötzlich viel mehr Teilnehmer aus der Statingruppe Muskelschmerzen.

So wird der Beipackzettel verständlicher

Wir von der Universität Hamburg haben uns auch gefragt, wie der Beipackzettel verständlicher werden könnte. Gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung haben wir alternative Darstellungen der Nebenwirkungen entwickelt. Diese untersuchten wir in einer Befragung mit knapp 400 Laien im Vergleich zum Standardbeipackzettel als Kontrolle.

Auch hier war das Ergebnis eindeutig: Alle alternativen Darstellungen der Nebenwirkungen waren deutlich besser verständlich als im Standardbeipackzettel. Während mit diesem nur 2 bis 3 Prozent der Teilnehmer die Fragen korrekt beantworten konnten, waren es mit den alternativen Formaten bis zu 82 Prozent. Eine dieser alternativen Darstellungen sehen Sie in folgender Tabelle:

Beispiel: Nebenwirkungen von „Suffia“

Alternative Darstellung der Nebenwirkungen im Beipackzettel eines fiktiven Arzneimittels „Suffia“ (Format: Faktenbox nach Schwartz und Woloshin)

Wie alle Arzneimittel kann auch Suffia Nebenwirkungen haben. Dabei sind aber nicht alle unerwünschten Symptome auch zwangsläufig auf das Einnehmen von Suffia zurückzuführen. Unerwünschte Symptome können auch auftreten, wenn das Arzneimittel Suffia gar nicht eingenommen wird.

Häufigkeit von unerwünschten Symptomen über 5 Jahre:
Unerwünschte Symptome
Von je 100 Personen, die Suffia einnehmen:
Von je 100 Personen, die Suffia NICHT einnehmen:
Unerwünschte Symptome, die auf die Einnahme von Suffia zurückzuführen sind:
Erhöhter Blutzucker 16 von 100 13 von 100 Das Einnehmen von Suffia führt bei 3 zusätzlichen Personen von 100 zu einem erhöhten Blutzucker.
Langsamer Herzschlag 5 von 100 2 von 100 Suffia führt bei 3 zusätzlichen Personen von 100 zu einem langsamen Herzschlag.
Blutarmut 4 von 100 4 von 100 Das Einnehmen von Suffia hat keinen Einfluss auf Blutarmut.
Depression 9 von 100 12 von 100 Suffia verhindert bei 3 von 100 Personen eine Depression.

Was bedeutet das für die Praxis?

Die Beipackzettel, wie wir sie heute kennen, haben gravierende Schwächen. Sie sind für Patienten und für Angehörige der Gesundheitsberufe nicht verständlich. Die Beipackzettel sind juristische Dokumente zur Absicherung der Hersteller, keine Patienteninformationen.

Ob ein Arzneimittel eine Nebenwirkung verursacht, erfährt man nur durch den Vergleich, wie häufig die Beschwerden auch ohne Arzneimitteleinnahme aufgetreten wären. Diese Information sollte im Beipackzettel ergänzt werden. Bis dahin müssen Ärzte und Apotheker selbst die Studienergebnisse heraussuchen, um ihre Patienten gut zu beraten.

Um realistische Daten zu Nutzen und Schaden von Arzneimitteln zu bekommen, braucht es gute klinische Studien. An diesen sollten auch gebrechliche Patienten mit Begleiterkrankungen teilnehmen. In der Praxis ist das ja auch die Patientengruppe, die die meisten Arzneimittel einnimmt.

Schwerpunkt „Zu Risiken und Nebenwirkungen…“

von Dr. Viktoria Mühlbauer

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (8) Seite 26-28

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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