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Schon seit meiner Diabetes-Diagnose vor knapp viereinhalb Jahren war es ein großer Wunsch von mir, hier einmal vor Ort dabei sein zu können, wenn die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Technologien im Diabetes-Bereich vorgestellt werden. Schon immer habe ich mich besonders für Wissenschaft und Technologien begeistert und kaum irgendwo anders tummeln sich so viele Neuvorstellungen wie hier auf dem ATTD-Kongress. Nach den letzten zwei Jahren, in denen der Kongress Pandemie-bedingt nur online stattgefunden hatte, war es dieses Jahr erstmals eine Hybrid-Veranstaltung mit Teilnehmenden vor Ort und online.
Besonders das Thema Loopen, oder auch AID (Automated Insulin Delivery, in Deutsch etwa "automatisierte Insulin-Abgabe"), wurde hier viel besprochen. Das Loopen beschreibt die Verknüpfung von einem Gewebezucker-Sensor und einer Insulinpumpe, um automatisch mittels eines Algorithmus mehr oder weniger Insulin je nach aktuellem Zuckerwert zuführen zu können. Besonders in der Community der Menschen mit Typ-1-Diabetes gibt es hier bereits seit einiger Zeit inoffizielle selbstgebaute Systeme (Do-it-yourself- oder DIY-Systeme), diese kommen aber in den letzten Jahren langsam, aber sicher auch in der offiziellen Versorgung an. Hier gibt es neben dem Loop-System MiniMed 780G zum Beispiel auch einige Systeme, die mit dem Sensor Dexcom G6 arbeiten. Hier auf dem ATTD wurde nun erstmals die neue Generation Dexcom G7 vorgestellt – eine wichtige Frage dabei war natürlich: Werden die bestehenden Loop-Systeme auch mit dem Dexcom G7 arbeiten können? Mit der Antwort müssen wir uns aber wohl noch etwas gedulden, denn natürlich dauert es eine Weile, bis nach Markt-Einführung die Gespräche mit Pumpen-Herstellern abgeschlossen sind und das System getestet werden konnte.
Über das Loopen sprach auch die DIY-Koryphäe Dana Lewis aus der Community beim #dedoc°-Symposium. Ich bin selbst als #dedoc° voice hier und freue mich darüber besonders – es ist das erste Mal, dass ein Symposium aus der Diabetes-Community im Programm eines so wichtigen Kongresses zu finden ist. Neben dem DIY-Loopen ging es hier auch um den Zugang zu Insulin und die Stigmatisierung der verschiedenen Diabetes-Typen. Über dieses Thema habe ich kurz nach meiner eigenen Diagnose selbst meine Bachelor-Arbeit geschrieben und leider findet es noch immer in der medizinischen Forschung und Versorgung wenig Beachtung. Deshalb ist es so wichtig, dass es hier von der Organisation diaTribe und #dedoc° auf die große Bühne geholt werden konnte. Einer der wichtigsten Aspekte, die ich auch selbst erlebt habe: Auch – oder gerade – innerhalb der Diabetes-Community gibt es große Probleme mit Stigmatisierung. Oftmals fühlen sich Menschen mit Typ-1-Diabetes verleitet, ihre Autoimmun-Erkrankung ausdrücklich von Typ-2-Diabetes abzugrenzen. Dies ist aber für Menschen mit Typ-2-Diabetes tückisch und führt hier umso mehr zu Stigmatisierung. Wichtig ist deshalb: Die verschiedenen Diabetes-Typen sind mit unterschiedlichen Stigmata besetzt, aber wir alle aus der Community sollten hier an einem Strang ziehen, um Falschinformationen und Vorurteile abbauen zu können!
Ein wichtiges Thema der letzten zwei Jahre war natürlich der Zusammenhang von COVID-19 und Diabetes. Hier wurden aktuelle Studien-Daten vorgestellt, bei denen ich einmal mehr dankbar bin, mittlerweile die Impfung erhalten haben zu können. Denn Diabetes – jeder Typ, nach aktuellen Daten jedoch vermutlich sogar Typ 1 etwas mehr – ist ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf bei COVID-19. Die Sterblichkeit ist mit einem Diabetes tatsächlich ganze 2- bis 3-Mal höher als ohne Diabetes. Das Risiko erhöht sich hier mit steigendem Alter, männlichem biologischen Geschlecht, höheren Blutzucker-Werten, Begleit-Erkrankungen und hängt auch von der Ethnizität ab. Der Grund für dieses hohe Risiko ist meist die Gefahr, eine diabetische Ketoazidose aufgrund hoher Blutzucker-Werte zu entwickeln. Denn bei einem Infekt steigt bei uns der Insulin-Bedarf. Bei COVID-19 kommt hinzu, dass die wirksamste Behandlung gegen den schweren Verlauf eine Behandlung mit Kortison ist, die umso mehr zu steigenden Blutzucker-Werten führt und deshalb einen eigenen kleinen Teufelskreis verursacht. Insgesamt machen Menschen mit Diabetes deshalb leider tatsächlich 40 Prozent aller COVID-19-Toten aus, wie Antonio Ceriello (Italien) berichtete.
Besonders spannend war es, durch die Technologie-Ausstellung zu spazieren. Hier waren kleine Start-ups bis hin zu großen Unternehmen wie Dexcom und Abbott vertreten und es gab einige Innovationen zu sehen. Einer der gefragtesten Stände war Dexcom mit der Vorstellung des neuen Gewebezucker-Sensors Dexcom G7. Er hat im Vergleich zum Vorgänger ein verändertes Erscheinungsbild und benötigt auch nicht mehr einen separaten Transmitter zum Senden der Werte an den Empfänger. Besonders attraktiv finde ich persönlich, dass die Aufwärmzeit auf eine halbe Stunde verkürzt wurde und es eine 12-stündige Möglichkeit zum Verlängern gibt, sodass man den Sensor-Wechsel flexibel in den Alltag integrieren kann. International wurde hier außerdem der Dexcom One für England vorgestellt, der dort für alle Menschen mit der nationalen Krankenversicherung verfügbar sein wird und im Vergleich zum Dexcom G6 dafür weniger flexibel ist beim Verknüpfen mit anderen Geräten wie Insulinpumpen. Aber auch neue Pumpen wie die wiederverwendbare Patch-Pumpe von Sigi oder das Loop-System von Medtrum waren hier ausgestellt. Dieses Jahr waren besonders Smart-Pens sehr beliebt – sie digitalisieren die ansonsten sehr analogen Insulin-Pens. Diabeloop arbeitet hier sogar an einem Smart-Pen mit Loop-Algorithmus. So sollen die Vorteile des Loopens auch Menschen zugänglich gemacht werden können, die keine Insulinpumpe tragen möchten.
Neben der Möglichkeit, die neuesten Innovationen hier vor Ort sehen zu können, nutzten wir #dedoc° voices die Chance, um einige Fragen aus Sicht unserer eigenen Erfahrungen sowohl an die Hersteller als auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu stellen. Denn wie die Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Katharine Barnard-Kelly in einem ihrer Vorträge betonte, sollte es das Ziel der Forschung und Versorgung sein, "Lösungen für echte Probleme zu finden". Das Einbeziehen von uns, die tagtäglich mit Diabetes leben, sollte deshalb auf Konferenzen und in der Wissenschaft keine Seltenheit sein – leider sieht das in der Realität oft anders aus. Unser Erfahrungswissen aus dem eigenen Leben mit Diabetes wird oft zu wenig anerkannt. Deshalb bin ich sehr dankbar, vor Ort beim ATTD-Kongress dabei gewesen sein zu können, und setze mich auch beim Projekt Blickwinkel Diabetes für eine Stärkung dieser Sicht ein. Denn im Endeffekt gilt #NothingAboutUsWithoutUs – nicht ohne uns, wenn über uns gesprochen wird!
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