Personalisierte Medizin: den Therapieverlauf in Echtzeit voraussagen

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© the faces – AdobeStock
Personalisierte Medizin: den Therapieverlauf in Echtzeit voraussagen

Komplett virtuelle Doppelgänger sollen dereinst die Medizin revolutionieren. Forschende aus der Schweiz entwickeln bereits jetzt einen digitalen Zwilling, der maßgeschneiderte Therapien ermöglichen soll. Ziel ist es, diesen Avatar anzeigen zu lassen, wie ein Schmerzpatient oder ein Diabetiker individuell behandelt werden muss. Dabei erlaubt der digitale Zwilling auch eine personalisierte Prognose des Therapieverlaufs.

Der Mensch ist erstaunlich individuell. Bei den Essgewohnheiten oder dem Filmgeschmack scheiden sich die Geister. Beim Kranksein aber, könnte man meinen, sind wir alle gleich. Es gibt die eine Tablette gegen Kopfschmerz für jeden oder die Spritze mit Insulin für alle Diabetiker. Dass die Rechnung so nicht aufgeht, weiß die moderne Medizin seit längerem und hat den Begriff der personalisierten Medizin geprägt. Je nach Alter, Lebensstil oder genetischem Interieur reagiert der Mensch ganz unterschiedlich auf bestimmte Therapien. Und da es sich beim Menschen um ein lebendes System handelt, das seine Gewohnheiten ändert, in die Ferien fährt oder plötzlich einen Schnupfen kriegt, müssen medizinische Behandlungen enorm flexibel sein.

Das Ziel: die optimale Behandlung von Diabetikern und Schmerzpatienten über die Haut

Hier kommt die Idee eines virtuellen Doppelgängers ins Spiel, der in Echtzeit mit den physiologischen Daten des realen Menschen gefüttert wird. Dieser medizinische Avatar soll dereinst die Medizin revolutionieren. Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) entwickeln aber bereits jetzt einen digitalen Zwilling der Haut, der eine optimale Behandlung von Schmerzpatienten und Diabetikern ermöglichen soll. «Mit einem In-silico-Doppelgänger können wir präziser auf den individuellen Patienten eingehen», sagt Thijs Defraeye von der Empa-Abteilung «Biomimetic Membranes and Textiles» in St. Gallen.

Gefördert wird das kürzlich gestartete Vorhaben von der Novartis-Forschungsstiftung und dem Competence Centre for Materials Science and Technology CCMX in Lausanne. Ziel ist es, Medikamente wie Schmerzmittel und Insulin über intelligente Fasern und Membranen über die Haut in den Körper zu bringen, während Sensoren gleichzeitig die Vitalparameter des Patienten messen. Anhand der Daten trifft der digitale Zwilling Vorhersagen zur individuellen Dosierung und kontrolliert den Therapieerfolg. Nach dem gleichen Prinzip könnte der Doppelgänger in einem nächsten Schritt für die Kontrolle des Heilungsverlaufs von anspruchsvollen Wunden eingesetzt werden. Forscher der (Empa) haben hierzu bereits einen smarten Verband mit integriertem Sensor entwickelt.

Medikamentengabe über Pflaster

Defraeye und sein Team streben an, für die Entwicklung der digitalen Zwillinge gleich zwei innovative Forschungsfelder verschmelzen zu lassen: die nicht-invasive Medikamentengabe über die Haut mit transdermalen Medikamentenpflastern und die Steuerung und Vorhersage des Therapieverlaufs mittels Echtzeit-Modellierung. Dies ist insofern besonders elegant, da die Haut als unser größtes Organ eine geeignete und große Fläche bietet, um Substanzen bis zu einer gewissen Molekülgröße schmerzfrei in den Körper zu schleusen.

Die Dosierung ist bei herkömmlichen therapeutischen Pflastern jedoch kaum steuerbar, da beispielsweise Anteile des Wirkstoffs selbst dann noch aus den Hautschichten in den Körper gelangen, wenn das Pflaster längst entfernt ist. Aktuelle Systeme, die eine Rückmeldung, etwa durch Messungen des Medikaments im Blut, einsetzen, können lediglich im Nachhinein beurteilen, ob möglicherweise zu hoch oder zu tief dosiert wurde. Vorhersagen über den Medikamentenbedarf kann das konventionelle Pflaster jedoch keine liefern.

Den Zwilling mit Daten füttern

Ein digitaler Zwilling, der mit Daten von nicht-invasiven, auf der Haut angebrachten Sensorsystemen gefüttert wird, erlaubt hingegen die exakte und personalisierte Dosierung der Wirkstoffe. Die mathematischen Modellierungen des digitalen Doppelgängers berücksichtigen auch die Hauteigenschaften des Patienten. Denn je nachdem, an welcher Körperstelle das Pflaster angebracht wird, oder ob das Medikament bei einem sonnengegerbten Sportler, einer älteren Dame mit papierner Alabasterhaut oder einem zarten Frühchen appliziert wird, verläuft die Wirkstoffaufnahme unterschiedlich.

So lässt sich die exakte Dosis des Medikaments mit einer maßgeschneiderten und zeitabhängigen Ausstoßrate aus dem Pflaster steuern, denn das intelligente System blickt nicht rückwärts, sondern in die Zukunft. «Als zusätzlichen positiven Effekt versprechen wir uns, die Dosierung – etwa von Schmerzmitteln – so weit senken zu können, dass die Patienten gerade optimal versorgt sind», so der Forscher.

Doppelgänger für die Raumfahrt

In anderen Forschungsbereichen sind virtuelle Repräsentanten spätestens seit der Appollo-13-Mission der NASA ein Thema. Damals nutzte man «Doppelgänger» in Simulationen, um die Besatzung des beschädigten Raumschiffs sicher zur Erde zu bringen. Heute existieren digitale Zwillinge etwa für Flugzeugdesign, Fahrzeugbau oder im Gebäudeunterhalt.

«In der Medizin träumt man von kompletten In-silico-Doppelgängern, die vorhersagen, wie ein Mensch altert oder wie sich ein künstliches Gelenk im Körper abnutzt», sagt Defraeye. Doch die Realität ist noch nicht so weit. Daher sei das System aus intelligenten Pflastern und Echtzeit-Simulationen ein Schritt in einen noch wenig erforschten Bereich mit enormem Potenzial, so der Empa-Forscher. Gleichzeitig komme man mit dem personalisierten «Digital Twin» für die transdermale Medikamentenabgabe dem menschlichen Avatar ein Stück näher.

Digitale Zwillingsfrüchte machten den Anfang

Für die Entwicklung des «Digital Twin» im Gesundheitsbereich kann Defraeye auf erfolgreiche Forschungsergebnisse aufbauen: Im Bereich der Lebensmitteltechnologie entwickelte er bereits digitale Zwillinge verschiedener Früchte innerhalb eines noch laufenden, vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Projekts. Um die Kühlkette vom Produzenten bis zum Händler in Echtzeit kontrollieren und künftig auch steuern zu können, stellte der Forscher biophysikalische Zwillinge von Äpfeln, Mangos und anderen Früchten her, die sich in ihren thermischen Eigenschaften exakt wie das natürliche Vorbild verhalten und als Sensor wirken. Der passende «Fruchtspion» begleitet das echte Obst auf seiner Reise bis zum Supermarkt und meldet Sensordaten an den digitalen Zwilling, der die Kühlung, etwa im Lastwagen, anpasst. Das virtuelle Obst basiert in diesem Fall auf einem dreidimensionalen CAD-Modell eines Apfels oder einer Mango in Verbindung mit entsprechenden multiphysikalischen Simulationen.

Für den Avatar der transdermalen Therapie werden die Empa-Forscher ein komplexes multiphysikalisches Hautmodell programmieren, das mit den Daten der Hautsensoren gefüttert wird. Als Helfer für die Entwicklung der Sensoren kommen biophysikalische Zwillinge des Menschen, sogenannte Manikins, zum Einsatz. Basierend auf den Informationen der sensorbestückten Puppen können physiologische Kennwerte und Reaktionen eines realen Menschen abgeschätzt werden, etwa die Veränderung der Hauttemperatur oder der Schwitzrate.

Die Manikins und ein verknüpftes Computermodell sind an der Empa bereits heute ein etabliertes System zur Simulation menschlicher physiologischer Reaktionen. Das System wird nun zum Aufbau der deutlich komplexeren digitalen menschlichen Doppelgänger genutzt, die durch eine Vielzahl von Variablen bestimmt werden. «Denn der virtuelle Zwilling muss nicht nur auf Veränderungen reagieren, sondern auch die Dosierung von Medikamenten zuverlässig, sicher und individuell vorhersagen können», sagt Defraeye.


Quelle: Pressemitteilung der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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