Psychische Belastung bei Diabetes-Diagnose häufig unterschätzt

3 Minuten

© sebra - stock.adobe.com
Psychische Belastung bei Diabetes-Diagnose häufig unterschätzt

Täglich erkranken etwa 1600 Menschen in Deutschland neu an Diabetes mellitus. Viele von ihnen sind mit der Diagnose und den täglichen Anforderungen, die diese Stoffwechselerkrankung an sie stellt, überfordert. Fast jedem zweiten Menschen mit Typ-1-Diabetes droht ein Diabetes-Disstress, so eine Pressemeldung des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD). Entscheidend ist, Betroffene frühzeitig zu identifizieren und gegenzulenken, um damit einhergehende diabetische Komplikationen zu verhindern. Der VDBD empfiehlt allen Diabetespatientinnen und -patienten, sich bei Disstress-Symptomen unbedingt ihrem Diabetesteam anzuvertrauen und gegebenenfalls diabetespsychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen.

Die Diagnose Diabetes mellitus verändert den Alltag schlagartig: Betroffene müssen auf die Ernährung achten, regelmäßig den Blutzucker messen und sich mit Diabetes-Medikamenten oder Insulin versorgen. Wie bei anderen chronischen Erkrankungen müssen diese Patientinnen und Patienten ihre Therapie selbst managen und tragen eine große Verantwortung, ob sie gelingt. „Chronisch krank zu sein und eine aufwendige Therapie in den Alltag zu integrieren, stellt hohe psychische Anpassungsanforderungen an Menschen mit Diabetes“, erklärt VDBD-Expertin Dr. phil. Andrea Benecke, Psychologische Psychotherapeutin und Psychodiabetologin aus Mainz. „Insbesondere Patienten mit einem Typ-1-Diabetes erfahren die Diagnose als Einschränkung in ihrer Lebensqualität: Etwa 44 Prozent der Betroffenen geben an, sich im Alltag sehr belastet zu fühlen“, fügt sie hinzu. Dies entspricht etwa auch der Anzahl an Personen, die unter einem sogenannten Diabetes-Disstress leiden.

Diabetes-Distress: eine Folge von emotionaler Überforderung

Diabetes-Disstress ist eine negative emotionale Erfahrung, die mit Gefühlen wie Schuld, Scham, Versagen, Selbstzweifel, Angst und Hoffnungslosigkeit verbunden ist. „Disstress ist keine psychische Diagnose, sondern ein emotionaler Zustand als Reaktion auf alltägliche Herausforderungen, der in eine therapeutische Vermeidungshaltung münden kann“, führt Benecke aus. „Nicht erkannt und unbehandelt kann sich dieser Zustand allerdings chronifizieren und in eine manifeste Depression münden. Gleichzeitig droht die Gefahr, dass durch eine damit einhergehende Therapieverweigerung diabetische Folgeerkrankungen auftreten.“ Entscheidend sei daher, dass das Diabetesteam diese Entwicklung rechtzeitig erkennt und gegensteuert. Aber auch Patientinnen und Patienten sollten auf erste Anzeichen bei sich achten.

Anzeichen und Risiken für psychische Überlastung

Ein erstes Anzeichen für einen Diabetes-Disstress kann ein unmotivierter Umgang mit der Diabetestherapie sein. „Der Patient wirkt ausgebrannt oder sogar wütend und tut weniger für seine Selbstfürsorge“, führt VDBD-Vorstandsmitglied und Diabetesberaterin Yvonne Häusler aus. „Er reagiert unkooperativ und interessiert sich wenig für seinen Diabetes und dessen Management.“ Besonders gefährdet sind Menschen mit einem neu diagnostizierten Diabetes, die mit ihrer neuen Lebenssituation überfordert sind. Darüber hinaus besteht ein erhöhtes Risiko bei jüngerem Lebensalter, weiblichem Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit und einem erhöhten BMI. „Liegt darüber hinaus eine Diabeteskomplikation vor oder nimmt der Patient sein soziales Umfeld als wenig unterstützend wahr, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Diabetes-Disstress noch einmal höher“, erläutert Häusler. Die Diabetesberaterin weist darauf hin, dass solche Patientinnen und Patienten in Diabetes-Schwerpunktpraxen und Kliniken, die auf Diabetes spezialisiert sind, gut aufgefangen werden können. Dort steht den Betroffenen ein erfahrenes Team aus Diabetesberaterinnen und -beratern zur Seite, die helfen, diesen Teufelskreis aus Angst, Hilflosigkeit und Vermeidung zu durchbrechen.

Von der Diagnose an im Gespräch bleiben

„Patientinnen und Patienten frühzeitig und regelhaft auf emotionale Belastungen anzusprechen, kann die Entwicklung und Chronifizierung von diabetesbezogenem Disstress verhindern“, weiß Diabetesberaterin Häusler. „Das Diabetesteam sollte nicht erst warten, bis der Hba1c-Wert erhöht ist, sondern bereits ab der Neudiagnose sensibel auf die Gefühle und Ängste der Betroffenen reagieren.“ Wichtig sei es, immer im Gespräch zu bleiben und über die Laborwerte hinaus, das persönliche Befinden der Patientinnen und Patienten im Blick zu behalten. Die Gesprächsführung sollte nicht schuldzuweisend, sondern lösungs- und perspektiv-orientiert sein, Verständnis zeigen und Vertrauen aufbauen. „Sorgen und Ängste sollten in Hoffnung und Zuversicht umgewandelt werden“, ergänzt Benecke.

Beide Expertinnen raten Diabetespatientinnen und -patienten psychische Belastungen aufgrund der hohen Therapieanforderungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und Gefühle wie Überforderung und Hilflosigkeit offen gegenüber ihrem Diabetesteam kommunizieren. Gegebenenfalls sei eine Psychotherapie, am besten eine psychodiabetologische Betreuung, notwendig.

Quelle:
Susan Norah Clever , Susanne Baulig , Andrea Benecke, Psychologische Herausforderungen bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes, Diabetologie und Stoffwechsel 2021; 16(05): 409-418m, DOI: 10.1055/a-1338-4332

Quelle: Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. | Redaktion

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Diabetes-Anker-Podcast: Von der Insulin-Entdeckung zu modernen Diabetes-Therapien – mit Prof. Thomas Forst

Von tierischen Extrakten zu Insulin‑Analoga: In dieser Podcast-Folge beschreibt Prof. Dr. Thomas Forst den Weg von der lebensrettenden Insulin-Entdeckung vor einem Jahrhundert hin zu den modernen Insulin-Therapien sowie zu neuen medikamentösen Optionen bei Typ‑2‑Diabetes.
Diabetes-Anker-Podcast: Von der Insulin-Entdeckung zu modernen Diabetes-Therapien – mit Prof. Thomas Forst | Foto: zVg

2 Minuten

Jeder Dritte erkrankt an Gürtelrose: Vorsorge für Ältere und chronisch Kranke besonders wichtig

Gürtelrose wird vom Windpocken-Virus ausgelöst. Sie kann von einem Ausschlag, aber auch langwierigen Nervenschmerzen begleitet sein und die Lebensqualität stark mindern. Die STIKO empfiehlt daher besonders Älteren und chronisch Kranken zur Vorsorge eine Impfung.
Jeder Dritte erkrankt an Gürtelrose: Vorsorge für Ältere und chronisch Kranke besonders wichtig | Foto: Publicis China / Publicis UK – ASSET-242627

3 Minuten

Anzeige

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

Verbände