- Behandlung
Schwangerschaft mit ICT oder Insulinpumpe? Worauf Frauen mit Diabetes achten sollten
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Wenn Frauen mit Diabetes ein Kind erwarten oder in der Schwangerschaft Diabetes auftritt, ist eine gute Stoffwechseleinstellung besonders wichtig. Vielen stellt sich dabei die Frage, ob sie in dieser Phase eine intensivierte Insulintherapie mit Pen oder besser eine Insulinpumpe nutzen. Dr. Helmut Josef Kleinwechter gibt einen Überblick und hat mit Aline Grassmann gesprochen, die Typ-1-Diabetes hat und ihr zweites Kind erwartet.
Aline Grassmann (s. Bild weiter unten) hat seit dem Vorschulalter einen Typ-1-Diabetes und nach 18 Jahren Diabeteslaufzeit bekam sie ihre erste Insulinpumpe wegen eines Dawn-Phänomens. Das Dawn-Phänomen oder Phänomen der Morgendämmerung beschreibt einen besonders starken Blutzuckeranstieg in der zweiten Nachthälfte. Bis etwa 3 Uhr nachts kann der Blutzucker gut kontrolliert werden, dann schießt er hoch.
Will man diesen Anstieg durch Steigerung der Dosis des Basalinsulins zur Nacht bei einer intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) abfangen, kommt es zu Unterzuckerungen in der ersten Nachthälfte. Die Insulinpumpe kann so programmiert werden, dass gezielt die Insulindosis für die Basalversorgung nur für wenige Stunden in der Nacht angehoben wird. Diese erhöhte Dosis wird automatisch während des Schlafes abgegeben.
Rechtzeitig entscheiden : ICT oder Insulinpumpe?
Beim Thema Insulinpumpe und Schwangerschaft sind einige Besonderheiten zu beachten. Grundsätzlich können sowohl mit der ICT als auch mit der Insulinpumpe gleich gute Ergebnisse für den Verlauf der Schwangerschaft und die Geburt erzielt werden. Hat eine Patientin mit der ICT eine zielgerechte Diabeteseinstellung und bereitet sie sich gut auf die Schwangerschaft vor, kann von einer Insulinpumpentherapie keine weitere Verbesserung erwartet werden.
Mit anderen Worten: Nur wegen einer Schwangerschaft muss nicht zwingend auf eine Insulinpumpe umgestellt werden. Wir schätzen es sogar als ungünstig ein, wenn in der Frühschwangerschaft trotz guter Einstellung, die durch eine ICT erreicht wird, auf eine Insulinpumpentherapie umgestellt wird.
Wer profitiert?
Welche Frauen profitieren von einer Insulinpumpentherapie? Hier stehen die klassischen Indikationen wie das Dawn-Phänomen, schwer beeinflussbare, stark schwankende Blutzuckerwerte, gehäufte Unterzuckerungen mit der Notwendigkeit von Fremdhilfe und fehlende Hypoglykämiewahrnehmung im Mittelpunkt.
Auch ein langfristig mit ICT nicht ausreichend absenkbarer HbA1c-Wert zählt dazu. Und als Besonderheit soll sich gerade eine Frau mit Kinderwunsch frei entscheiden können, ob sie für die Schwangerschaft eine ICT oder eine Insulinpumpentherapie bevorzugt – ihr Wunsch soll berücksichtigt werden.
Ausreichend Zeit lassen
Mit Blick auf eine geplante Schwangerschaft sollte auch die Insulinpumpentherapie unter geordneten Bedingungen eingeleitet werden. Das Beherrschen der ICT, gute Diabeteskenntnisse, eingehende Vorgespräche zum Prinzip der Insulinpumpentherapie und Akzeptanz des Partners gehören selbstverständlich dazu.
Wir empfehlen, am Insulinpumpentraining so rechtzeitig teilzunehmen, dass nach Beginn der Insulinpumpentherapie noch mindestens drei Monate Zeit bis zur Empfängnis bleiben. Ein bisschen Zeit braucht man, um sich auch an diesen neuen Partner zu gewöhnen.
Risiken beachten
Auf einige Risiken der Insulinpumpentherapie soll hingewiesen werden. Das sind zum einen allergische Reaktionen auf das Kathetermaterial, auch Abszessbildungen, wenn die subkutane Pumpenkanüle zu lange liegengelassen wird oder hygienische Grundregeln nicht beachtet werden.
Das wichtigste Risiko aber ist die Ketoazidose. Die Pumpenkanüle kann herausrutschen oder es kann ein Leck an den Katheterverbindungsstellen auftreten. Da nur kleine Mengen kurzwirksamen Insulins unter der Haut sind, aber kein langwirkendes Insulin verwendet wird, kann eine Pumpenträgerin schon nach wenigen Stunden eine Blutübersäuerung entwickeln. Sie muss also in der Handhabung des Pumpenzubehörs sicher sein und funktionstüchtige Ketonteststreifen ständig verfügbar haben.
Aline Grassmann nutzt die mögliche Kommunikation zwischen Insulinpumpe und Messgerät und graphische Aufbereitungen der Messwerte. Das hilft, die Blutzuckerziele der Schwangerschaft zu erreichen; sie hat es in der ersten Schwangerschaft eindrucksvoll bewiesen. Für die zweite Schwangerschaft wünschen wir ihr und der Familie alles Gute und viel Freude, die Kinder aufwachsen zu sehen.
Aline Grassmann im Interview: „Meine erste Schwangerschaft ist super verlaufen“

Aline Grassmann und ihr Mann erwarten ihr zweites Kind – zusammen mit ihrem dritten Partner: der Insulinpumpe. Im Interview beichtet sie von ihren Erfahrungen.
Dr. Helmut Josef Kleinwechter: Wann haben Sie erfahren, dass Sie Typ-1-Diabetes haben?
Aline Grassmann: Ich war fünf Jahre, als bei mir Diabetes Typ 1 festgestellt wurde. So richtig kann ich mich nicht mehr erinnern, ich bin mit dem Diabetes aufgewachsen.
Dr. Kleinwechter: Wann haben Sie mit der Insulinpumpentherapie begonnen?
Grassmann: Meine erste Insulinpumpe erhielt ich mit 23 Jahren. Das entscheidende Kriterium war für mich eine gute und stabile Blutzuckereinstellung. Mit der Accu-Chek Spirit Combo bekomme ich die Insulinmenge, die mein Körper auch benötigt. Außerdem wusste ich, dass ich eines Tages eine Familie gründen und Kinder haben möchte und dass ich dafür eine nahezu perfekte Blutzuckereinstellung benötigen würde. Mit einer Insulinpumpe ist diese viel einfacher zu erreichen.
Dr. Kleinwechter: Welche Vorteile bietet Ihnen die Insulinpumpe genau?
Grassmann: Ich muss mich nicht mehr zu jeder Mahlzeit stechen und habe nur noch ein schnellwirkendes Insulin. Vor der Insulinpumpe waren meine morgendlichen Blutzuckerwerte auch immer sehr hoch gewesen. Ich hatte eine Tendenz zum Dawn-Phänomen. Mit der Insulinpumpe konnte man meine Basalrate optimal darauf einstellen.
Dr. Kleinwechter: In der Schwangerschaft ändert sich alles im Körper. Welche Auswirkungen hat dies auf die Blutzuckerwerte? Was verändert sich im Vergleich zum Diabetes-Alltag?
Grassmann: In der Schwangerschaft sind meine Zielbereiche viel schärfer eingestellt als zuvor. So soll mein nüchterner Blutzucker unter 100 mg/dl (5,6 mmol/l) und nach dem Essen nicht höher als 140 mg/dl (7,8 mmol/l) sein. Dies entspricht Blutzuckerwerten von gesunden Menschen. In der Schwangerschaft messe ich daher auch häufiger meinen Blutzucker. An manchen Tagen komme ich auf zehn Messungen. So kann ich aber gegebenenfalls schlechte Blutzuckerwerte schnell korrigieren und fühle mich einfach sicherer.
Dr. Kleinwechter: Müssen Sie auf bestimmte Dinge besonders achten?
Grassmann: Ich mache mir schon viele Gedanken, wahrscheinlich wie jede werdende Mutter. Darf ich das essen? Ist es für das Kind gut? Tut es mir gut? Dinge, die ich gut kontrollieren kann, kontrolliere ich daher auch. Bei meiner Insulinpumpe überprüfe ich, ob sich Luftblasen im Schlauch befinden oder der Katheter richtig sitzt. So versuche ich, Entgleisungen zu vermeiden.
Dr. Kleinwechter: Nutzen Sie die Insulinpumpe in der Schwangerschaft anders?
Grassmann: Ich kann in meiner Insulinpumpe mehrere Basalraten einstellen. Ich habe eine Basalrate vor der Schwangerschaft und eine jetzt, an der die ganzen Veränderungen vorgenommen werden. In der Schwangerschaft ändert sich der Insulinbedarf ständig. So brauche ich bei meiner Basalrate viel weniger Insulin als zuvor. Dafür müssen meine BE-Faktoren öfters angepasst werden.
Ich schätze jetzt auch besonders die Auswertungsmöglichkeiten der Accu-Chek Combo. Ich sehe jederzeit, wie meine Mittelwerte sind und erkenne ebenso auch Insulinspitzen auf einen Blick. Sämtliche Daten beider Geräte, der Insulinpumpe und des Blutzuckermesssystems, werden nämlich in einem elektronischen Tagebuch gespeichert und anschaulich graphisch dargestellt. Das ist sehr einfach und komfortabel.
Dr. Kleinwechter: Sind alle Geburtskliniken auch für Frauen mit Diabetes eingerichtet oder müssen Sie dies bei der Wahl der Klinik beachten?
Grassmann: Mir wurde gesagt, dass mich keine Klinik ohne Kinderklinik aufnehmen würde. So habe ich auch bei meiner ersten Schwangerschaft eine Klinik gewählt, die im selben Haus eine Kinderklinik hat. In der Klinik arbeiten Ärzte, die sich mit Diabetes auskennen und schnell reagieren können, wenn der Blutzucker bei der Geburt entgleisen sollte.
Dr. Kleinwechter: Was war bisher Ihr schönstes Erlebnis?
Grassmann: Dass mein erstes Kind gesund auf die Welt kam. Mit der Insulinpumpe habe ich es außerdem geschafft, meinen HbA1c-Wert auf 5,2 Prozent zu senken. Das finde ich toll.
Schwerpunkt „Diabetes und Schwangerschaft“
- Erfolgreiche Schwangerschaft mit Diabetes: Gute Werte schon vorher
- Experten-Interview: „Schwangerschaft als etwas Besonderes genießen!“ – auch mit Diabetes!
- Schwangerschaft mit ICT oder Insulinpumpe? Worauf Frauen mit Diabetes achten sollten
Text und Interview: Dr. Helmut Josef Kleinwechter
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (11) Seite 32-35
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