- Behandlung
Sehkraft bei Diabetes schützen: Schäden an den Augen verhindern
5 Minuten

Ein Diabetes kann auf viele Organe Auswirkungen haben, auch auf die Augen und damit die Sehkraft. Das kann die Netzhaut, aber auch die Linse, den Glaskörper und die Hornhaut betreffen. Vorsorgen ist deshalb wichtig, um das Augenlicht zu schützen.
Die diabetische Retinopathie, also die Schädigung der Netzhaut (Retina) des Auges, gilt als die häufigste Komplikation im Hinblick auf eine Schädigung der kleinen Blutgefäße (Mikroangiopathie) bei Diabetes. Das Ausmaß der Mikroangiopathie wird u. a. beeinflusst von der Situation des Glukose-Stoffwechsels und tritt zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Verlauf des Typ-1- und Typ-2-Diabetes auf.
Das Fallbeispiel
Marianne K., 63 Jahre und seit 10 Jahren Typ-2-Diabetes, bemerkt plötzlich am rechten Auge eine Art “Rieseln von dunklen Partikeln, wie Ruß”. Marianne war lange nicht mehr beim Augenarzt, obwohl ein derartiger Vorfall schon einmal vor einigen Wochen aufgetreten war.Ihren Diabetes nimmt sie bisher nicht so ernst.
Obwohl ihr der Hausarzt und Diabetologe zu einer Insulintherapie geraten hatte – der HbA1c-Wert lag bei 9,6 %, die Blutzuckerwerte nüchtern lagen meist bei 140 bis 180 mg/dl (7,8 bis 10,0 mmol/l), wollte sie weiter nur ihre Tabletten einnehmen.
Doch jetzt bekommt sie Angst und lässt sich von ihrem Mann unmittelbar zum Augenarzt fahren. Die letzte Untersuchung vor vier Jahren war unauffällig gewesen – jetzt wird die Diagnose einer schweren Beschädigung der Netzhaut gestellt – hoffentlich noch rechtzeitig?!
Viele Ursachen der diabetischen Mikroangiopathie
Bei einer Mikroangiopathie wird ein Teil der Wand der Blutgefäße, die kapilläre Basalmembran, dicker. Bekannte Ursachen sind erhöhte Blutzuckerwerte über längere Zeit und dadurch eine “Verzuckerung” von Eiweißen der Basalmembran. Diese “Verzuckerung” wird als nicht enzymatische Glykosilierung bezeichnet. Sie führt zu Zucker-Eiweiß-Verbindungen, fachsprachlich “advanced glycation end products” oder AGEs genannt.
Die Gene und das Geschlecht spielen ebenfalls eine Rolle, denn z. B. sind mehr Männer mit Typ-1-Diabetes als Frauen betroffen. Auch die Dauer des Diabetes spielt, unabhängig von der Situation des Stoffwechsels, eine Rolle.
Weitere Ursachen und Risikofaktoren werden angenommen bzw. sind gesichert:
- hoher Blutdruck (arterielle Hypertonie),
- oxidativer Stress, der z. B. durch Rauchen gefördert wird,
- alternative Stoffwechsel-Wege zum Verwerten der Glukose (wie der Polyol-Stoffwechsel), die durch erhöhte Glukosewerte gefördert werden,
- Aktivierung des Enzyms Proteinkinase C, durch deren Hemmung man versucht, eine Verbesserung der Durchblutung in den feinsten Ästen der Kapillaren von Netzhaut, Nieren und Nerven zu erreichen,
- hormonelle Situation, z. B. in Pubertät und Schwangerschaft,
- diabetische Nephropathie (Nierenschaden), Hyperlipidämie (Störungen des Fettstoffwechsels),
- zu schnelles Senken chronisch erhöhter Blutzuckerwerte.
Wichtig: Screening auf Retinopathie
Da die beginnenden Veränderungen an der Netzhaut von den Betroffenen oft nicht bemerkt werden, sind regelmäßige Kontrollen in einer augenärztlichen Praxis sinnvoll. Laut Schätzungen augenärztlicher Fachgesellschaften nehmen bis zu 50 Prozent der Menschen mit Diabetes ein Screening nicht wahr, obwohl es in Leitlinien empfohlen wird. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Würden diese Untersuchungen, die bei Menschen mit Diabetes, aber ohne Symptome für eine Schädigung der Netzhaut bei mehr Personen durchgeführt werden, könnte die Versorgung deutlich verbessert werden, denn:
- Durch regelmäßige Augenuntersuchungen lassen sich Frühformen einer Schädigung rechtzeitig erkennen.
- Veränderungen an den Blutgefäßen, z. B. Gefäß-Erweiterungen oder Gefäß-Neubildungen, treten häufig schon vor entsprechenden Verschlechterungen des Sehens auf. Und ein frühzeitiges Erkennen erlaubt eine rechtzeitige Therapie.
- Die Sehleistung kann durch eine rechtzeitige Therapie eventuell noch verbessert werden – im Extremfall kann ein Erblinden verhindert werden.
Weltweit ist die diabetische Retinopathie hinter dem Glaukom (grüner Star), der Katarakt (grauer Star) und der altersabhängigen Makula-Degeneration (zunehmende Schädigung der Stelle des schärfsten Sehens) die vierthäufigste Augen-Erkrankung. In Deutschland gibt es unterschiedliche Daten: Wurden die Daten im Bereich der Praxen Niedergelassener oder in augenärztlichen Zentren erhoben, fand sich eine Häufigkeit der Retinopathie von etwa 22 Prozent (Gutenberg-Gesundheitsstudie).
Im DPV-Register – DPV steht für Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation – mit Daten von 64 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und einer Diabetesdauer von neun Jahren lag die Häufigkeit bei Menschen mit Typ-2-Diabetes bei 20 Prozent, also jeder Fünfte. 9 Prozent hatten eine fortgeschrittene Retinopathie, 0,8 Prozent eine Makulopathie. Daten von Krankenkassen zeigen aber, dass bei Neu-Diagnose eines Typ-2-Diabetes nur etwa jeder Dritte augenärztlich untersucht wurde, zwei Jahre nach Diagnose waren es immer noch nur 50 Prozent.
Da ca. 40 Prozent der Menschen mit Typ-2-Diabetes bereits zu Beginn ihrer Erkrankung eine milde Retinopathie haben und sich bei Menschen mit Diabetes und Retinopathie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verdoppelt, ist ein rechtzeitiges Erkennen erforderlich.
Die Retinopathie erkennen
Um diabetestypische Veränderungen an den Augen sehen zu können, stehen Augenärztinnen und Augenärzte folgende Untersuchungsmethoden zur Verfügung:
- Untersuchung mit der Spaltlampe: Sie dient zum Untersuchen der vorderen Augenabschnitte, u. a. der Hornhaut und der Linse.
- Untersuchung mittels Augenspiegelung/Funduskopie zum Beurteilen des Augenhintergrunds: Bei der Untersuchung der Netzhaut wird überprüft, ob bereits Zeichen für eine Retinopathie vorliegen – Frühstadien wie eine nicht proliferative Retinopathie oder bereits eine proliferative Retinopathie mit Gefäß-Neubildungen.
- Evtl. Messung des Augeninnendrucks, weil er bei Diabetes erhöht sein kann und auch Gefäß-Neubildungen ihn erhöhen können.
Der Sehnerv wird mithilfe der Spaltlampe und einer Lupe untersucht. Bei Verdacht auf eine Schädigung der Makula kann ein hochauflösender Ultraschall mit optischer Kohärenz-Tomographie (OCT) mit Darstellung des Auges im Querschnitt zum Einsatz kommen. Wasseransammlungen (Ödeme) lassen sich so sehr gut darstellen, auch der Verlauf nach einer entsprechenden Therapie. Bei der Fluoreszenz-Angiografie werden die Blutgefäße und auch Gefäß-Erweiterungen (Aneurysmen) sehr gut durch zusätzliches Spritzen eines Farbstoffs dargestellt.
Warnzeichen einer höhergradigen Retinopathie können sein:
- plötzliche Verschlechterung des Sehens (Visus-Verlust)
- Schwierigkeiten beim Lesen bis zum Verlust der Lese-Fähigkeit
- Störungen des Farbsinns
- verschwommenes Sehen
- “Rußregen” vor dem Auge (bei Einblutungen in den Glaskörper oder Ablösung der Netzhaut)
- verzerrtes Sehen
Die Retinopathie behandeln
Um eine Retinopathie zu behandeln, muss man unterscheiden zwischen allgemeinen Maßnahmen und spezifischen Therapien. Zu den allgemeinen Maßnahmen gehören u. a.:
- Stabilisieren des Glukose-Stoffwechsels mit nicht zu schnellem Senken der chronisch erhöhten Glukosewerte, denn dies könnte sogar zu einer Verschlechterung der Retinopathie führen,
- Normalisieren der Blutdruckwerte, ggf. medikamentös,
- nicht rauchen,
- Behandeln einer Störung des Fettstoffwechsels, vor allem eines erhöhten LDL-Cholesterins
Spezifische Therapie der Retinopathie
Bei der proliferativen diabetischen Retinopathie, also mit Neubildung von Blutgefäßen, und der diabetischen Makulopathie ist die Laser-Fotokoagulation der Gold-Standard. Aber auch die Injektion von Wachstumsfaktor-Hemmern (Hemmer des Vascular endothelial growth factor, VEGF-Hemmer) hat sich bewährt. Die Injektionen werden von spezialisierten Augenärztinnen und -ärzten in oft mehreren Sitzungen direkt in das Auge durchgeführt.
Bei drohender Ablösung der Netzhaut, weil neue Gefäße auf den Glaskörper gewachsen sind, ist auch das Entfernen des Glaskörpers (Vitrektomie) möglich. So kann ggf. die Netzhaut wieder an die sie ernährende Aderhaut angelegt werden.
Weitere Veränderungen am Auge
Weitere Veränderungen an den Augen durch Diabetes können sein:
- a) Veränderungen der Hornhaut (Cornea)
Die Hornhaut trägt entscheidend zur Brechkraft des Lichts am Auge bei. Durch eine Nervenschädigung (Neuropathie) durch den Diabetes kann es zu Störungen des Empfindens auf der Hornhaut kommen, wodurch z. B. kleine Defekte der Hornhaut nicht gemerkt werden. Auch eine verzögerte Heilung von Defekten der Hornhaut kann entstehen. - b) Veränderungen der Linse
Die Linse trägt über die Änderung der Brechkraft zur “Akkommodation” (natürliche Fähigkeit der Linse, die Brechkraft anzupassen, um nahe und fernere Gegenstände scharf zu sehen) bei. Hohe Blutzuckerwerte können zu Veränderungen des Wassergehalts der Linse mit Beeinträchtigung des Sehens führen. Diese Beeinträchtigung kann sich aber bei Normalisierung der Blutzuckerwerte zurückbilden.
Zusammenfassung
Durch einen Diabetes bedingte Schäden am Auge hängen maßgeblich von der Situation des Glukose-Stoffwechsels ab. Das rechtzeitige Erkennen solcher Schäden ist entscheidend für eine eventuell noch rechtzeitige Therapie. Deshalb sollten die Empfehlungen der Augenärztinnen und -ärzte ernst genommen werden. Denn Veränderungen am Auge machen sich oft sehr spät, manchmal zu spät bemerkbar. Die empfohlenen Vorsorge-Untersuchungen sollten deshalb von Menschen mit Diabetes wahrgenommen werden.
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2023; 72 (11) Seite 34-38
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