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Viele Menschen, die sehr lange Diabetes haben, bekommen Probleme “im Bauch”: Der Darm wird unbeweglich, die Hormonproduktion wird gestört, es kommt zu Verstopfung oder Durchfall. Jetzt geht es vor allem darum, Beschwerden zu lindern.
Frau M. nahm sich dies doch sehr zu Herzen und suchte über ihren Hausarzt schließlich einen Magen-Darm-Spezialisten auf. Dieser fand “glücklicherweise nichts Schlimmes”, allerdings würde sich der Magen extrem langsam entleeren – nach 25 Jahren Diabetes keine Seltenheit, meinte er. Dies sei die Ursache des Mundgeruchs … und, wie der Hausarzt schon vermutete, auch der Blutzuckerschwankungen! Nach der Behandlung der Magenprobleme wurden schließlich nach Wochen auch die Blutzuckerwerte wieder besser.
Bei einer Neuropathie bzw. Polyneuropathie (viele Nerven sind erkrankt) im Zusammenhang mit Diabetes denken die meisten an das Diabetische Fußsyndrom – mit Missempfindungen vor allem an den unteren Extremitäten und den Füßen … und an Amputationsgefahr. Vielen ist nicht bekannt, dass auch eine autonome Neuropathie, also eine Erkrankung der Eingeweidenerven des Verdauungstraktes bei Diabetikern ebenfalls deutlich häufiger vorkommt: Laut Statistik sind sogar mehr als die Hälfte aller Diabetiker nach 20-jähriger Krankheit von einer autonomen Neuropathie des Magen-Darm-Traktes betroffen.
Unter dem autonomen Nervensystem versteht man das unwillkürliche, das nicht dem eigenen Willen unterworfene Nervensystem – bestehend aus dem Sympathikus- und dem Parasympathikus-Nervensystem, die gegensätzlich reagieren. Ein Schaden kann an nahezu allen Organen auftreten.
Ohne eine optimierte Blutzuckereinstellung schreitet die Erkrankung fort, das Risiko für Komplikationen erhöht sich, und die Lebenserwartung sinkt. Die diabetische autonome Polyneuropathie zeigt sich am ehesten im Magen-Darm- sowie im Harntrakt, im Herz-Kreislauf-System, auch im Hormonsystem der Diabetiker. Nachfolgend geht es vor allem um Schädigungen des Nervensystems des Verdauungstraktes von Magen und Darm.
Die autonome diabetische Polyneuropathie kann alle Abschnitte des Magen-Darm-Traktes betreffen, von der Speiseröhre bis zum After – und sehr unterschiedliche Beschwerden verursachen: Im Magen-Darm-Trakt kann sie die Beweglichkeit des Darmes stören sowie die Hormonproduktion verschiedener Systeme in Magen und Darm. Liegt eine solche Nervenerkrankung vor, dann besteht das Hauptziel eher in der Linderung der Beschwerden (siehe Kasten).
Beschwerden seitens des Magen-Darm-Traktes können die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken, und meist sind umfangreiche Untersuchungen erforderlich, um andere Ursachen auszuschließen. Der Arzt muss hier unbedingt abklären, worum genau es sich bei den Beschwerden handelt:
Wichtig ist auch die Frage nach der Dauer der Beschwerden und ob ein Fortschreiten vorliegt. Des Weiteren sollte auch nach Fieber, Gewichtsverlust, allgemeiner Schwäche etc. gefragt werden.
Wenn massive Beschwerden plötzlich auftretenund länger als etwa 4 Wochen anhalten, sollte auf jeden Fall ein Magen-Darm-Spezialist (Gastroenterologe) zu Rate gezogen werden – um vor allem wichtige andere Erkrankungen auszuschließen wie eine Zöliakie/Sprue (Unverträglichkeit gegen Klebereiweiß), ein Geschwür, eine Bauchspeicheldrüsenentzündung, Nahrungsmittelallergien, einen Krebs etc. Im Rahmen dieser Basisdiagnostik müssen auch Infektionen als Ursache ausgeschlossen werden (z. B. Amöben nach einem Auslandsaufenthalt etc.).
Folgende Gründe könnten eher auf eine diabetische Ursache hinweisen:
Häufig findet man bei den Patienten, obwohl sie 10 bis 20 Stunden nichts gegessen haben, noch Speisereste im Magen, die gelegentliche Ursache für unangenehmen Mundgeruch und häufiges Aufstoßen sein können. Vor geplanten Operationen ist dies besonders zu beachten. Patienten mit einer autonomen Neuropathie im Magen sollten unbedingt vor einer geplanten Operation mit dem Anästhesisten sprechen und ihn auf ihre Beschwerden hinweisen, denn eine Nichtbeachtung könnte bei der Beatmung im Rahmen einer Narkose gefährlich werden – der Mageninhalt könnte in Luftröhre und Lunge gelangen.
Eine diabetische Gastropathie (Magenentleerungsstörung) kann dazu führen, dass das Essen langsamer oder beschleunigt durch den Magen fließt. Also sollten Spezialuntersuchungen z. B. beim Gastroenterologen erfolgen (Magen-Entleerungs-Szintigraphie).
Grundlagen für die Beurteilung der Ergebnisse:
Gibt es Therapiemaßnahmen, die bei Diabetikern die Beschwerden lindern bzw. eventuell sogar komplett nehmen können? Welche Tipps kann man bei einer diabetischen Magenentleerungsstörung geben?
Eine Magenentleerungsstörung ist für viele Betroffene nicht nur eine harmlose Befindlichkeitsstörung, sondern sie kann ihr gesamtes Alltagsleben beeinträchtigen: Schwere und häufige Unterzuckerungen sowie starke Blutzuckerschwankungen machen eine gute Blutzuckereinstellung manchmal unmöglich. Eine schlechte Blutzuckereinstellung liegt eben nicht immer an der mangelnden Mitarbeit eines Patienten – wichtig zu wissen für Arzt und Patient!
Ansonsten eignen sich als Insuline vor den Mahlzeiten wegen der oft langsameren Magenentleerung Humaninsuline mit nicht so rascher Wirkung besser. Wird dies nicht beachtet, ist eine regelmäßige Unterzuckerung nach dem Frühstück ein Hinweis darauf, dass das Insulin zwar gewirkt hat, wegen der fehlenden Magenentleerung aber kein Zucker im Darm resorbiert und ins Blut aufgenommen wurde.
Der Einsatz eines Magenschrittmachers oder ein chirurgisches Vorgehen steht bei Versagen aller Maßnahmen als letzte Option zur Verfügung.
Neben einer gezielten Labor- und Basisdiagnostik (z. B. Antikörper bei Zöliakie/Sprue) soll durch gezielte weitere Maßnahmen die Diagnose bestätigt werden:
Findet sich ein Säure-Rückfluss (Reflux) aus dem Magen in die Speiseröhre, wird üblicherweise mit einem Protonenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol) behandelt. Bei Durchfällen diabetischer Ursache sollte zunächst ein Versuch mit Quellstoffen oder z. B. Loperamid versucht werden, eventuell auch mit Colestyramin. Bei Vorliegen einer eventuell bakteriellen Fehlbesiedlung sollte ein Therapieversuch mit einem Breitbandantibiotikum durch einen Magen-Darm-Spezialisten erfolgen. Eine schwere Bauchspeicheldrüsenschwäche wird üblicherweise mit Enzymen behandelt (z. B. Kreon 20 000).
Bei einer unkomplizierten Verstopfung erfolgt eine Behandlung mit den üblichen Abführmitteln (ggf. Klistieren) und der Umstellung auf eine ballaststoffreiche Ernährung (wenn es vertragen wird). Bis zu 60 Prozent aller Diabetiker mit langjährigem Diabetes leiden an einer Verstopfung. Diese Untersuchungen sollten dann durchgeführt werden:
Die Therapie der Verstopfung besteht in der Regel in einer ballaststoffreichen Ernährung und dem Versuch von “Quellstoffen” wie Flohsamen bzw. Macrogol.
Etwa 20 Prozent aller Diabetiker leiden angeblich an einer Stuhlinkontinenz– viele Menschen mit Diabetes trauen sich nicht, dies ihrem Arzt zu sagen! Durch eine gezielte Untersuchung – zum Beispiel Enddarm-Druckmessung (Rektum-Manometrie) – kann die Fähigkeit der Schließmuskeln bzw. auch das Zusammenspiel mit der Beckenbodenmuskulatur untersucht werden.
Die Beckenbodengymnastik (z. B. Biofeedback-Training) ist neben operativen Verfahren die meist genutzte Methode. Zusätzlich werden oft auch Loperamid, Clonidin und Flohsamenschalen verwendet.
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologie, Diabetologie, Sozialmedizin,
Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen,
Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale, Pfaffstraße 10,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/85-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (5) Seite 36-39
5 Minuten
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