Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas: Der Begriff „Schuld“ ist fehl am Platz!

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Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas: Der Begriff „Schuld“ ist fehl am Platz
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Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas: Der Begriff „Schuld“ ist fehl am Platz!

Oftmals bekommen Menschen mit Adipositas ungefragt und ohne differenzierte Diagnose-Stellung viele allgemeine Empfehlungen, auch von denjenigen, die sie Behandeln. Expertinnen und Experten fordern, dass Ärztinnen und Ärzte Betroffenen Respekt und Hoffnung statt Zuweisung von Schuld oder Stigmatisierung vermitteln sollten. Zudem müsse die Adipositas-Behandlung besser vergütet werden.

Es ist kein rein kosmetisches Problem und es geht nicht um „Willensschwäche“. Letzteres stecke leider immer noch im Hinterkopf vieler, bedauerte Professor Dr. Matthias Blüher in einem Symposium im Rahmen der Diabetes-Herbsttagung in Leipzig in der vergangenen Woche. Adipositas, der Fachbegriff für starkes Übergewicht, sei eine fortschreitende chronische Erkrankung und nicht heilbar, betonte der Leipziger Diabetologe und Mediensprecher der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG). Die Übergänge zwischen Gesundheit und Krankheit sind bei Adipositas fließend. Während sich eine verminderte Leistungsfähigkeit nicht bei allen Erkrankten direkt zeige, gebe es quasi immer verborgene Funktionsstörungen, die nicht leicht zu diagnostizieren sind. Im Sozialversicherungsrecht habe es inzwischen Verbesserungen gegeben, trotzdem würden erforderliche ärztliche Leistungen „nur bruchstückhaft bezahlt“.

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Die zugrundeliegenden Mechanismen für Adipositas seien immer noch nicht gut verstanden. Es sei unklar, warum nur manche Menschen bei überkalorischer Ernährung gemäß dem evolutionären Überlebensvorteil vermehrt „Fett für Notzeiten“ speicherten. „Adipositas ist in Ausdruck dafür, wie wir Menschen unsere planetaren Grenzen ausreizen“, aber dieses Verhalten sei zutiefst menschlich und der Begriff „Schuld“ fehl am Platz.

Stigmatisierung und Zuweisung von Schuld bei Adipositas – „Haben Sie je von einem Prosecco-Bauch gehört?”

Die Hamburger Diplom-Psychologin Susan Klever wies auf das Fehlen der Krankheit Adipositas bei psychischen Erkrankungen im ICD 10, der medizinischen Klassifikationsliste der Weltgesundheits­organisation WHO,  hin. Daher würden häufig „Umwege“ über abrechenbare Ess-Störungen genutzt. „Adipositas ist ein Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen“, betonte sie. Behandlungsbedürftige psychische Begleiterkrankungen würden häufig übersehen. Der Zusammenhang sei bei Frauen deutlicher. Dennoch sei ein „Bier-Bauch“ eher gesellschaftsfähig – niemand rede von einem „Prosecco-Bauch“. Stigmatisierung sei ohnehin ein großes Problem. Erkrankten mangelnde Krankheitseinsicht zu suggerieren, sollte unbedingt unterbleiben. Anstatt anzunehmen, dass ein Mensch mit Adipositas die Gewichtszunahme nicht bemerkt habe („Sie sind zu dick.“), sind Fragen wie: „Ist es für Sie in Ordnung, wenn wir über ihr Gewicht sprechen?“ angesagt.

Aufklärung und genaues Eingehen auf den Tagesablauf und die Beschwerden sind hilfreich. Allgemeine Empfehlungen kennen viele Betroffene zuhauf. Sie wünschen sich konkrete Empfehlungen und Motivation zur Initiative, damit sie Selbstwirksamkeit in der Selbstbehandlung erfahren können. Gefühle von Angst, Scham, Hilflosigkeit und jede weitere Stigmatisierung sind zu vermeiden, da Betroffene in eine Selbststigmatisierung geraten können und dadurch jeder Art von ärztlicher Hilfe, auch in anderen Bereichen, aus dem Weg gehen.



von Dr. Karin Kreuel

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  • tako111 postete ein Update vor 3 Stunden, 11 Minuten

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

  • Hallo guten Abend ☺️

    Ich heiße Nina, bin 33j jung und Mama von drei zauberhaften Mädels.
    Und vor kurzem bekam ich die Diagnose Diabetes Typ 3c. Nach 5 Jahren – 11 Bauchspeicheldrüsen Entzündungen und schwangerschaftsdiabetes 2024, hat meine Drüse nun fast aufgegeben.. Ich bin irgendwie froh diese Schmerzen nicht mehr zu haben, aber merke wie schwer der Alltag wird. denn hinzukommt noch dass ich alleinerziehend bin.
    Aktuell komme ich überhaupt nicht klar mit der ganzen Situation, täglich habe ich hunderte Fragen die niemand beantworten kann. Dass ist mehr als verrückt.
    Wie habt ihr euch gefühlt in dem Moment als es diagnostiziert wurde?

    Ich freue mich sehr auf einen netten Austausch und eure Erfahrung.

    Liebe Grüße, schönen Abend
    Nina 🙂

  • swalt postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Dia-Newbies vor 1 Tag, 10 Stunden

    Hallo zusammen. Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin “noch” 59 Jahre, und habe wahrscheinlich seit 2019 Diabetes. Ich würde mir wünschen, endlich angekommen zu sein. Wahrscheinlich seit 2019, weil ich in einem Arztbrief an meinen damaligen Hausarzt zufällig auf den Satz: “Diabetes bereits diagnostiziert” gestoßen bin. Ich habe meinen Hausarzt dann darauf angesprochen und wurde mit “ist nicht schlimm” beschwichtigt.
    Lange Rede. Ich habe einen neuen Hausarzt und einen sehr netten Diabetologen, bei dem ich jetzt seit 4 Jahren in Behandlung bin. Ich vertrage die orale Therapie nicht und spritze ICT. Dennoch bin ich in diesem Thema immer noch absoluter Neuling. Natürlich habe ich viermal im Jahr ein Gespräch mit meinem Diabetologen. Das hilft aber im täglichen Umgang nicht wirklich. Auch die anfangs verordnete Schulung war doch sehr oberflächlich und das war es. Ich kenne nicht die Möglichkeiten, die mir zustehen. Ich habe mir alles, was ich zu wissen glaube aus Büchern angelesen. Irgendwie fühle ich mich allein gelassen, irgendwie durchgerutscht. Ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der Diabetes hat und die nächste Selbsthilfegruppe ist über 50 km entfernt.
    Und so bin ich jetzt hier gelandet. Ich möchte wissen, wie ihr das handhabt, damit ich verstehe, was ich richtig mache und was falsch. Damit ich weiß, dass ich nicht allein damit lebe.

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