- Behandlung
Trotz Sport und Diät: Blutzuckerwerte sind erhöht
5 Minuten
Die Ernährung umgestellt, mehr Bewegung in den Alltag eingebaut – und trotzdem sind die Blutzuckerwerte zu hoch? Dann kann es sehr sinnvoll sein, mit Insulin zu beginnen. Was ist dabei zu beachten und welche Therapie-Arten gibt es?
Der Fall
Petra M., 76 Jahre und seit 20 Jahren Typ-2-Diabetes, war bisher mit „Diabetes-Tabletten“ gut eingestellt – besonders, nachdem sie 20 kg durch vernünftiges Essen und regelmäßige Spaziergänge abgenommen hatte.
Doch als im Rahmen einer akuten Bronchitis, die sie glücklicherweise zu Hause behandeln lassen konnte, der Blutzucker verrücktspielte (Blutzuckerwerte bis 240 mg/dl bzw. 13,3 mmol/l), brauchte sie Insulin. Auch nach Abklingen der akuten Bronchitis waren die Blutzuckerwerte immer noch bei etwa 200 mg/dl (bzw. 11,1 mmol/l) morgens.
Als sie nun lediglich eine kleine Dosis Basalinsulin abends spritzte (10 bis 14 Einheiten), lagen ihre Werte bei 120 bis 140 mg/dl bzw. 6,7 bis 7,8 mmol/l. Ihre Diabetes-Tabletten hatte sie weiterhin genommen.
Sie haben Typ-2-Diabetes und erhöhte Blutzuckerwerte nüchtern oder auch tagsüber? Und Ihr Arzt hat Sie deshalb darauf hingewiesen, wie notwendig Diät und mehr Bewegung sind, obwohl sie dem Arzt oder der Diabetesberaterin versichern, dass sie kaum naschen und auch, soweit möglich, körperlich aktiv sind? Wir wissen heute, dass trotz „Diät“ und regelmäßiger körperlicher Aktivität, unterstützt durch „Diabetes-Medikamente“ (meist Tabletten), irgendwann der Moment kommt, wo all diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen.
Vor Insulin: GLP-1-Rezeptoragonisten
Da bereits zum Zeitpunkt der Diagnose eines Typ-2-Diabetes ein Teil der insulinproduzierenden Zellen abgestorben ist und ständig weitere Beta-Zellen absterben, kommt irgendwann der Tag, an dem man zusätzlich zu den bereits eingesetzten Medikamenten Insulin benötigt. Bei sehr übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes ist vor dem Einsatz von Insulin ein Versuch mit GLP-1-Rezeptoragonisten sinnvoll.
Diese Medikamente imitieren die Wirkung des Darmhormons Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1), das bei Nahrungsaufnahme bei fortschreitender Diabeteserkrankung in immer geringerer Menge aus der Schleimhaut des Dünndarms ausgeschüttet wird. Durch diesen Mangel steigen oft die Blutzuckerwerte nach dem Essen und auch nüchtern, ohne dass man viele Kohlenhydrate gegessen hat.
Die GLP-1-Rezeptoragonisten wie Dulaglutid (Handelsname: Trulicity), Exenatid (Byetta, Bydureon), Liraglutid (Victoza) und Semaglutid (Ozempic) werden, wie Insulin, gespritzt. Es gibt eine Ausnahme: Semaglutid ist unter dem Namen Rybelsus seit Kurzem auch als Tablette verfügbar. Die Medikamente verringern den Appetit und die Zuckeraufnahme im Darm, außerdem hemmen sie die Zuckerabgabe aus der Leber. So ist zusätzlich zur besseren Blutzuckereinstellung manchmal eine drastische Gewichtsabnahme möglich.
Zusätzlich zu den Einzelsubstanzen gibt es ein Präparat mit einer festen Kombination eines GLP-1-Rezeptoragonisten (Lixisenatid) und eines Basalinsulins (Insulin glargin 100 Einheiten/ml): Suliqua. Mit dieser Kombination versucht man, eine Gewichtszunahme durch den Beginn einer Insulintherapie zu verhindern.
Zunehmendes Alter der Menschen mit Diabetes
Diabetes ist gerade bei älteren Menschen immer häufiger – 25 Prozent der über 75-Jährigen haben einen Diabetes. Deshalb müssen bei der Neueinstellung auf Insulin immer auch das Alter des Betroffenen und dessen körperliche und psychische/geistige Fähigkeiten berücksichtigt werden, um niemanden zu überfordern. Auch die oft vorhandene Angst vor dem Spritzen muss man durch Aufklärung nehmen – ein einfaches Insulinschema und das Verwenden sehr kurzer Kanülen mit 4 mm Länge für die Injektion unterstützen dies.
Da bei einer Insulintherapie das Messen der Glukosewerte sinnvoll ist, kann der Einsatz der Gewebezuckermessung mit einem Sensor anstelle der Blutzuckermessung mit regelmäßigen „Finger-Piksen“ den Einstieg manchmal erleichtern. Klar ist auch: Einmal Insulin heißt nicht immer Insulin. Man sollte mit seinem Diabetesteam besprechen, unter welchen Bedingungen wieder ein Ausstieg aus der Insulintherapie möglich ist.
Wie beginnt man eine Insulintherapie?
Zunächst klärt man, ob primär die Nüchtern-Blutzuckerwerte erhöht sind und/oder auch die Werte nach dem Essen. Sind beide Werte erhöht, spricht das eher dafür, dass man sowohl nachts als auch tagsüber Insulin benötigt. Dann geht es nur noch darum, mit welchem Therapieschema man möglichst einfach und ohne Nebenwirkungen (vor allem Unterzuckerungen) beginnen kann.
Derzeit bei uns verfügbare Insuline
| kurzwirksame Insuline | |
| kurzwirksame Humaninsuline |
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| kurzwirksame Analoginsuline |
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| ultrakurzwirksame Analoginsuline |
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| langwirksame Insuline | |
| langwirksame Humaninsuline |
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| langwirksame Analoginsuline |
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| ultralangwirksame Analoginsuline |
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| Mischinsuline (kurz- und langwirksames Insulin) | |
| Humane Mischinsuline |
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| Analoge Mischinsuline |
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Trotz einer Insulingabe sollten Medikamente wie Metformin möglichst beibehalten werden, da dadurch weniger Insulin notwendig ist und damit auch das Risiko für eine Unterzuckerung und ggf. auch eine weitere Gewichtszunahme reduziert wird. Die Art der Insulintherapie richtet sich, wie oben schon erwähnt, primär danach, ob erhöhte Nüchternwerte und/oder erhöhte Blutzuckerwerte etwa 2 Stunden nach den Mahlzeiten vorliegen:
1. Erhöhte Blutzuckerwerte nüchtern
Sind die Nüchtern-Blutzuckerwerte erhöht und lassen sie sich durch die alleinige Gabe von Metformin abends nach dem Abendessen nicht mehr in den Normbereich senken, ist es sinnvoll, die Insulintherapie mit einer kleinen Menge Basalinsulin vor dem Schlafengehen zu starten.
2. Erhöhte Blutzuckerwerte nach den Mahlzeiten
Viele Typ-2-Diabetiker haben schon zu Beginn ihrer Erkrankung zu wenig Insulin, um die Kohlenhydrate aus den Mahlzeiten aus dem Blut in die Zellen zu bringen – Blutzuckermessungen etwa 2 Stunden nach dem Essen können dies aufzeigen. Regelmäßig erhöhte Werte nach den Mahlzeiten sind besonders für schwerwiegende Schäden am Herz-Kreislauf-System verantwortlich – weshalb es sinnvoll ist, diese konsequent zu senken.
Ein einfacher Einstieg in eine Insulintherapie bei lediglich erhöhten Werten nach den Mahlzeiten ist die SIT (supplementäre Insulintherapie): die Gabe von kleinen festen Dosen schnell- und kurzwirksamen Insulins kurz vor den Hauptmahlzeiten. Mittlerweile gibt es auch zwei sehr schnell und kürzer wirkende analoge Mahlzeiten-Insuline, mit denen dies oft sehr gut gelingt: Fiasp (Wirkstoff: faster Insulin aspart) und Lyumjev (Insulin lispro).
3. Erhöhte Blutzuckerwerte nüchtern und nach den Mahlzeiten
Zeigt sich anhand von erhöhten Blutzuckerwerten nüchtern und nach den Mahlzeiten und dazwischen, dass sowohl nachts als auch tagsüber Insulin gebraucht wird, hat sich als einfachster Einstieg in die Insulintherapie die Verwendung eines Langzeit-Analoginsulins wie Insulin glargin (Lantus, Abasaglar, Toujeo) und Insulin degludec (Tresiba) als sehr günstig erwiesen. In Kombination mit Tabletten zur Behandlung des Diabetes nennt man diese Therapie basalunterstützte orale Therapie (BOT).
Zum einfacheren Start gibt es für Insulin glargin eine Art „Titrationsschema“ – eine Anleitung für die konkrete Insulinmenge (siehe folgende Tabelle), die aber immer mit dem behandelnden Arzt besprochen werden muss.
Basal unterstützte orale Therapie (BOT)
Anpassung der abendlichen Insulindosis, abhängig von den morgendlichen Blutzuckerwerten (Beispiel)
Nüchternblutzucker Dosis-Vorschlag (Erfahrungswerte) mit Insulin glargin 100 Einheiten/ml (z. B. Abasaglar, Lantus)
| über 180 mg/dl (10,0 mmol/l) | + 6 Einheiten |
| über 140 mg/dl (7,8 mmol/l) | + 4 Einheiten |
| über 110 mg/dl (6,1 mmol/l) | + 2 Einheiten |
| unter 90 mg/dl (5,0 mmol/l) | - 2 Einheiten |
Wird schon eine SIT durchgeführt, kann ergänzend ein Langzeit-Analoginsulin eingesetzt werden wie Insulin glargin und Insulin degludec, aber auch z. B. Insulin detemir (Levemir) oder ein verzögertes Humaninsulin (NPH-Insulin). Alternativ kann auch eine konventionelle Insulintherapie (CT) mit Mischinsulin mit z. B. 30 Prozent kurzwirkendem und 70 Prozent verzögertem Insulin zwei- oder dreimal täglich gespritzt.
Heute ist es aber eher sinnvoll, Mischungen mit Analoginsulin einzusetzen, z. B. Humalog Mix 25 oder NovoMix 30, da die Unterzuckerungsgefahr geringer ist. Das Mischinsulin sollte nur zu den Hauptmahlzeiten gegeben werden, unter Umständen z. B. auch nur mittags und abends, wenn nicht gefrühstückt wird.
Insulin bei Niereninsuffizienz
Viele ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes haben eine eingeschränkte Nierenfunktion (Niereninsuffizienz). Manche Tabletten zum Senken der Blutzuckerwerte dürfen ab einem bestimmten Ausmaß der Nierenfunktionsstörung nicht mehr gegeben werden oder müssen von der Menge her reduziert werden.
Die Wirkung von Insulin kann bei einer Niereninsuffizienz verstärkt und verlängert sein, denn Insulin wird z. T. über die Nieren ausgeschieden. Manchmal benötigt man aber auch mehr Insulin. In diesen Fällen ist, wie bei jeder anderen Diabetestherapie auch, ein individuelles Ausprobieren erforderlich.
Zusammenfassung
Wenn ein Mensch mit Typ-2-Diabetes wegen ständig zu hoher Blutzuckerwerte – auch ohne üppiges Essen – Insulin benötigt, ist gerade mit zunehmendem Alter eine einfache, möglichst nicht einschränkende Therapie sinnvoll. Die Lebensqualität soll sich ja damit verbessern und nicht verschlechtern. Das Beibehalten von „Diabetes-Tabletten“, evtl. in geringerer Stärke/Dosis, hilft, eine Gewichtszunahme zu verhindern und trotzdem gute Blutzuckerwerte zu erreichen.
Neue Insuline, evtl. auch in Kombination mit GLP-1-Rezeptoragonisten, sind dabei sehr effektiv. Das Verhindern schwerer Unterzuckerungen hat dabei Vorrang! Schulung und regelmäßiges Training sind ebenfalls sehr hilfreich bei diesem Schritt hin zu einer Therapie mit Insulin.
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (1) Seite 32-35
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gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus -
hexle postete ein Update vor 1 Woche, 2 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 4 Tagen, 22 Stunden
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*
LG Sndra
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG