„Wir brauchen ein digitales Diabetes-Präventionszentrum“

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„Wir brauchen ein digitales Diabetes-Präventionszentrum“

Schätzungen zufolge ist in Deutschland nahezu jede/r Zehnte von Diabetes betroffen. Die Kosten für Prävention, Therapie und Arbeitsausfälle belaufen sich nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) auf mehr als 16 Milliarden Euro im Jahr. Entsprechend groß ist der Bedarf an moderner Versorgungsforschung. Im Interview mit dem Diabetesinformationsdienst erklärt Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis, Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), die Idee eines digitalen Diabetes-Präventionszentrums.

Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis leitet das Institut für Experimentelle Genetik am Helmholtz Zentrum München sowie den gleichnamigen Lehrstuhl an der Technischen Universität München.

Herr Prof. Hrabě de Angelis, ein digitales Diabetes-Präventionszentrum: Das klingt ein bisschen nach Science Fiction – was bedeutet der Begriff genau?
Prof. Hrabě de Angelis:
Im digitalen Diabetes-Präventionszentrum, kurz DDPC, wollen wir bereits vorhandene Gesundheits- und Forschungsdaten aus unterschiedlichsten Quellen zusammenführen und mithilfe von innovativen IT-Technologien wie etwa künstliche Intelligenz und Data-Mining auswerten. Wir hoffen, so unterschiedliche Diabetes-Subtypen zu identifizieren und spezifische Präventions- und Therapieansätze entwickeln zu können.

Das DDPC ist als nationale Initiative mit verschiedenen Standorten in Deutschland konzipiert. Die mathematische und informationstechnische Expertise bringt das Helmholtz Zentrum München ein, die klinische Expertise kommt unter anderem vom DZD. Das Besondere daran wäre, dass die Menschen, die sich beteiligen und ihre Daten zur Verfügung stellen, auch einen konkreten Mehrwert haben. Sie erhalten eine individuelle Diabetesprävention, wissenschaftlich fundiert und frei von kommerziellen Interessenslagen.

Welche Gründe sprechen für das DDPC?
Prof. Hrabě de Angelis:
Wir in Deutschland laufen Gefahr, bei der Erforschung und Analyse der Krankheit den Anschluss zu verlieren. Bei Krebserkrankungen beispielsweise ist eine nationale Strategie bereits etabliert: Hier gibt es eine gesetzliche Vorgabe, Krankheitsverläufe und deren Behandlung zu erfassen und langfristig auszuwerten. Auch gibt es große Unterschiede in der regionalen Versorgung von Menschen mit Diabetes, die man durch ein solches Register zutage fördern könnte.

Zudem könnte die Behandlung der Patienten durch ein DDPC weiter personalisiert und verbessert werden. Mit Hilfe eines Patientenregisters können wir beispielsweise auswerten, wie hilfreich Therapien mit bestimmten Medikamenten sind – und welche Wirkungen nicht medikamentöse Maßnahmen wie Patientenschulungen und begleitende Lebensstiländerungen haben.

Erst kürzlich hat eine schwedische Arbeit gezeigt, dass wir es bei Diabetes mit weit komplexeren Untertypen zu tun haben, als man bisher meint. Diese unterschiedlichen Formen von Diabeteserkrankungen könnte man mit Hilfe des DDPC besser identifizieren und maßgeschneiderte Therapien entwickeln.

Der neue Koalitionsvertrag der Bundesregierung umfasst auch eine Diabetesstrategie, macht Ihnen das Hoffnung?
Prof. Hrabě de Angelis:
Grundsätzlich ist das sehr zu begrüßen, nun muss man sehen, was daraus konkret folgt. Eine Vorreiterrolle des Staates wäre natürlich ideal, denn wenn nur Dr. Google und Dr. Apple die Daten einsammeln, diese aber nicht teilen, wird die Wissenschaft vom Datenfluss abgehängt. Die Forschung kann dann nicht mehr auf Augenhöhe mit der Wirtschaft agieren und als starker Partner kooperieren. Gleichzeitig verliert die Politik die Sprechfähigkeit gegenüber der dann besser informierten Industrie.

Inwieweit gibt es bereits bestehende Daten, auf die man zugreifen kann?
Prof. Hrabě de Angelis:
Vor allem bei den Krankenkassen schlummern zahlreiche Daten beispielsweise aus Disease Management Programmen. Hier sind die rechtlichen Rahmenbedingungen aber zu klären.

Zudem gibt es ja auch in der Bevölkerung selbst die Tendenz zur Erfassung eigener Gesundheitsdaten. Ich denke da beispielsweise an Tracking Armbänder beziehungsweise sogenannte Wearables und verschiedene Fitness-Apps für das Smartphone. Auch konkrete Daten mit Diabetesbezug werden privat erfasst: Dank eines Sensors können Eltern bereits heute die Zuckerwerte ihrer Kinder jederzeit über eine Smartphone-App überwachen.

Viele Menschen beteiligen sich darüber hinaus an großen Kohorten wie der Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (kurz KORA), der NAKO Gesundheitsstudie oder der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC-Studie), um die Entstehung von Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Demenz oder Herzinfarkten erforschen zu können. Alle diese Daten zusammenzuführen, wäre ein sehr guter Anfang.

Wie ist der aktuelle Stand?
Prof. Hrabě de Angelis:
Wir haben noch kein Geld für das Zentrum und müssen die Politik noch davon überzeugen, dass sie darin investiert. Wir rechnen mit etwa 80 Millionen Euro Kosten pro Jahr. Bei Gesundheitskosten im Diabetesbereich von über 16 Milliarden Euro jährlich wäre das sicher eine gute Investition.

Ein sinnvoller erster Einstieg wäre also ein nationales Diabetesregister mit Daten von Erkrankten und Gesunden, auf dem man dann die Idee eines digitalen DDPC aufsetzen kann. Am DZD haben wir mit dem Aufbau eines Daten- und Wissensmanagements begonnen. Ziel ist es, Daten auffindbar, zugänglich, wiederverwertbar und übergreifend nutzbar zu machen. Wir bereiten ein Pilotprojekt vor, in dem Daten aus klinischen Studien miteinander verknüpft werden. Daraus versuchen wir in einem nächsten Schritt, Schlüsse für Diagnose und Therapie abzuleiten.

Herzlichen Dank für das Interview!


Quelle: Diabetesinformationsdienst München

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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