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Mit meinem Diabetes lebe ich im Hier und Jetzt. Denn sind wir mal ehrlich: Das kleine Diamonster verursacht inzwischen schon genug Unannehmlichkeiten. Die weiteste Spanne, die ich aktuell vorrausschaue, ist, wie ich für nächstes Jahr eine gute Reiseversicherung bekomme, in der alles mit dem Diabetes abgedeckt ist.
Folgeerkrankungen schiebe ich sowieso gaaaanz weit vor mir her und hoffe einfach, dass ich nie ernsthaft davon betroffen sein werde. Doch wenn wir älter werden, sollten wir uns nicht nur über Folgeerkrankungen Gedanken machen. Was passiert, wenn wir nicht mehr selbst für uns und unseren Diabetes sorgen können? Wenn wir z.B. eine Lähmung erleiden, geistig nicht mehr so fit sind oder an Demenz erkranken.
Über sowas habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Zumindest solange nicht, bis ich Erika Späth kennen gelernt habe. Frau Späth hat mir einen Brief geschrieben, nachdem sie einen Artikel über mich und meinen Typ-Fler in einer lokalen Zeitung gelesen hat.
Sie erzählte mir, dass sie schon seit 65 Jahren Diabetes Typ 1 hat und sich aktiv dafür einsetzt, dass auch für Typ-1-Diabetiker in der Pflege noch was getan wird. Nachdem wir uns ein paar Briefe hin und her geschrieben haben, habe ich mich mit ihr auf einen Kaffee bei ihr zu Hause in einer Einrichtung für betreutes Wohnen getroffen und wir haben insgesamt 4 Stunden über Gott und die Welt und natürlich den Diabetes geredet.
Frau Späth hat ihren Diabetes mit 15 Jahren bekommen. Kein ungewöhnliches Alter für eine Diagnose. Allerdings war das im Jahr 1953.
Damals haben die Arbeitgeber die ganze Sache noch nicht so locker genommen. Und auch der Kinderwusch blieb für Frau Späth unerfüllt, da man ihr davon abriet, als Diabetikerin ein Kind zu bekommen.
Insulin musste konstant auf Temperatur gehalten werden, deshalb war es immer schwer, in den Urlaub zu fahren.
Frau Späth hat immer ein sehr selbstbestimmtes Leben geführt. Und mit FreeStyle Libre und Fiasp kann sie auch gut auf ihren Diabetes reagieren. Und genau da fangen für Frau Späth die Probleme an. Was ist, wenn sie sich irgendwann nicht mehr selbst darum kümmern kann? Laut ihren Erfahrungen sind Pfleger nicht ausreichend auf Typ-1-Diabetes geschult. Sie verabreichen zwar Insulin nach Plan des Arztes, aber wirklich auskennen würden sie sich mit der Krankheit nicht. Die Pflegerinnen im betreuten Wohnen von Frau Späth lassen sich von ihr sogar den Diabetes Typ 1 erklären.
Zuerst fand ich die Vorstellung, auch noch im hohen Alter, wenn man auf Pflege angewiesen ist, selbstbestimmt zu leben, überzogen. Wenn ich selbst meine eigene Familie nicht mehr erkennen kann, dann würde mir doch auch der Diabetes und was ich esse egal sein! Doch dann dachte ich an meine Uroma, die kurz vor ihrem Tod an Demenz litt und sich auch mit viel Liebe und Unterstützung aus der eigenen Familie schwergetan hat.
In Zeiten von Pflegenotstand ist es in den meisten Einrichtungen nicht möglich, auf Patienten individuell einzugehen. Alles muss zack, zack gehen, da einfach Personal fehlt und die einzelne Pflegekraft Arbeiten stemmen muss, die sonst von mehreren Personen übernommen werden würden. Auch wenn ich persönlich Pflegekräfte kenne, die mit viel Geduld ihre Patienten betreuen, bleibt im stressigen Arbeitstag nicht die Zeit, jeden Schritt zu überwachen.
Stellen wir uns folgendes Worst-Case-Szenario vor:
Ein Typ-1-Diabetiker mit Demenz wird im Pflegeheim betreut. Die Pflegekräfte handeln nach dem Ess-Spritz-Plan des Arztes. Es wird Insulin verabreicht, das auf das Essen abgestimmt ist. Nun ist der Diabetiker aber nicht so hungrig und isst nicht alles auf. Das Resultat? Wahrscheinlich eine kräftige Hypoglykämie.
Nachdem die Pflegekraft sich selbst kaum mit dem Diabetes auskennt, da Typ-1-Diabetes nun mal eher eine Seltenheit im hohen Alter ist, lautet die Anweisung: „Sie müssen das aber essen.“ Auf der anderen Seite herrscht Trotz und Frustration.
Auch wenn die Technik weit vorangeschritten ist, kommen wir nicht darum herum, dass die Personen, die uns im Alter betreuen, über den Diabetes Bescheid wissen müssen. Egal ob es sich hierbei um Verwandte, Mediziner oder Pflegepersonal handelt. Genauso wie wir müssen sie nachvollziehen können, wie der Wert entstanden ist, den das Messgerät oder das CGM-System jetzt anzeigt.
Wir können nur hoffen, dass es irgendwann eine Lösung für solche Probleme gibt. Und dass eben nicht mehr blindlings Medikamente verabreicht werden, weil das irgendein Arzt mal so verordnet hat. Denn auch im Alter können sich Faktoren oder Bedürfnisse des Körpers sehr plötzlich ändern.
Der Pflegeberuf muss wieder attraktiv und vor allem gut bezahlt werden. Wir geben unsere Gesundheit und unser Leben im Alter in die Hände von Menschen, die mit Leidenschaft einen Beruf ausüben, von dessen Gehalt sie teilweise nur schwer ihren Lebensunterhalt bestreiten können! Die Politik muss endlich wach werden!
Und ich bin froh, dass es Menschen wie Frau Späth gibt, die jeden Tag dafür kämpfen, denn ihre Gegenwart ist unsere Zukunft!
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