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Warum macht der Diabetestyp einen Unterschied? Was nutzt Bewegung bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes? Dr. Wolf-Rüdiger Klare erklärt, wieso körperliche Aktivität so wichtig ist.
Ich trage seit Jahren einen Schrittzähler in der Hosentasche – wie die Uhr am Handgelenk. An einem faulen Sonntag zeigt er mir am Abend 300 bis 400 Schritte an.
Mit dieser Schrittzahl käme ein Schreibtischtäter auch an einem Werktag aus: Der Weg zur Arbeit kann mit dem Auto zurückgelegt werden, aus der Tiefgarage geht es mit dem Fahrstuhl in die richtige Etage, dann Schreibtischtätigkeit, abends geht es mit dem Auto zurück. Ein gelegentlicher Einkauf im Supermarkt kann mit dem Auto erledigt werden.
Diese Lebensweise macht krank. Die Muskelmasse nimmt ab, Fettpolster wachsen, Knochen und Gelenke werden geschwächt. Vor allem die muskuläre Inaktivität ist fatal, denn über Myokine nimmt die Muskulatur als das größte Organsystem des Körpers entscheidenden Einfluss auf fast alle Körperfunktionen. Myokine sind chemische Substanzen, die vom aktiven Muskel in die Blutbahn abgegeben werden.
Das vom Muskel ins Blut abgegebene Irisin z. B. fördert durch Umwandlung von weißem in braunes Fettgewebe die Fettverbrennung. Ausdauer- und Krafttraining führen über eine Senkung der Myostatinkonzentration im Blut zu einer Abnahme der Fettgewebsmasse und zu Muskelwachstum.
Über ein weiteres Myokin, das Interleukin 6, werden die Glukoseaufnahme der Muskelzelle und die Fettverbrennung im Muskel gesteigert; ebenfalls z. T. durch die Wirkung von Interleukin 6 zu erklären sind entzündungshemmende Effekte und positive Effekte körperlicher Aktivität auf das Immunsystem. Selbst eine vermehrte Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität unter Vermittlung von Interleukin 6 konnte im Tierversuch gezeigt werden.
Andere Myokine fördern die Funktion von Zellen der Gefäßinnenwand und die Knochenneubildung – schützen also die Blutgefäße vor Verengung und Verschlüssen und stärken das Skelettsystem (s. Abb. 1). All die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung können gut erklären, was wir aus Beobachtungsstudien wissen: Körperlich Aktive sind weniger krank und leben länger.
Bewegung ist die effektivste Methode, sich vor den häufigsten Krankheiten zu schützen, die zu Invalidität und vorzeitigem Tod führen: wie Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch Krebserkrankungen und Demenz.
Natürlich ist ein aktiver Lebensstil keine Garantie. Aber es ist wohl ein gutes Argument zu wissen, dass sich z. B. die Wahrscheinlichkeit, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken, schon durch regelmäßiges Spazierengehen halbieren lässt!
Aus gesundheitlicher Sicht gilt nach derzeitigem Kenntnisstand die Empfehlung, dass man sich mindestens 150 Minuten pro Woche so stark körperlich belasten sollte, dass man leicht ins Schwitzen gerät. Da spätestens ab dem 30. Lebensjahr der Muskelabbau beginnt, ist Krafttraining (2- bis 3-mal pro Woche) zusätzlich zu einer regelmäßigen moderaten Ausdauerbelastung sehr zu empfehlen.
Die oben dargestellten, vielfältigen, positiven Effekte einer aktiven Muskulatur sind natürlich umso ausgeprägter, je stärker ausgeprägt der Muskelapparat ist. Außerdem ist gerade im Alter eine gut ausgebildete Muskulatur wichtig, um vor Stürzen zu schützen.
Für Menschen mit Typ-1-Diabetes ist eine differenzierte Insulintherapie zum Überleben und zur Vermeidung ernster Diabetes-Folgeerkrankungen unerlässlich. Unabhängig davon haben Bewegung und Sport für sie dieselbe Bedeutung wie für Menschen ohne Diabetes – denn dies gilt für jeden: Herz-Kreislauf-Komplikationen und früher Tod lassen sich vermeiden, wenn man regelmäßig körperlich aktiv ist.
Wer körperlich aktiv ist, braucht aktuell weniger Insulin. Durch Bewegung/Sport mindestens jeden dritten Tag wird der Körper zusätzlich insgesamt empfindlicher auf Insulin, dadurch geht der Insulinbedarf deutlich zurück. Alles in allem wird die Blutzuckereinstellung bei körperlich aktiven Typ-1-Diabetikern besser.
Das gilt vor allem für sportlich aktive Kinder und Jugendliche: Sie haben durchschnittlich einen niedrigeren HbA1c-Wert ohne vermehrte Unterzuckerungen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind natürlich einige Regeln zur Anpassung der Insulindosis an den veränderten Bedarf unter körperlicher Aktivität zu beachten (mehr dazu im Schwerpunkt-Beitrag Faszination Bewegung).
Insgesamt gilt: Ein aktiver Lebensstil ist auch für Menschen mit Typ-1-Diabetes unbedingt zu empfehlen.
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Die Gemeinsamkeit zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes liegt darin, dass bei beiden Erkrankungen ein erhöhter Blutzucker gemessen wird. Beim Typ-2-Diabetes sind die Werte aber zumindest zu Beginn der Erkrankung meist nur leicht erhöht und eine Insulintherapie ist in der Regel nicht erforderlich.
Menschen mit Typ-2-Diabetes haben aber statistisch ein deutlich erhöhtes Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall, bestimmte Krebserkrankungen, Demenz und Depressionen. Aus diesen Gründen hat eine Bewegungssteigerung für sie einen besonderen Stellenwert.
Mehrere große Studien haben gezeigt: Die Langzeitprognose von Menschen mit Typ-2-Diabetes kann nicht sicher dadurch verbessert werden, dass man zahlreiche Medikamente einsetzt – mit denen man konsequent erhöhte Blutzuckerwerte in die Nähe des Normbereichs senken möchte.
Auch durch langjährige Bemühungen um eine Gewichtsabnahme kann dieses Ziel nicht erreicht werden; auch das hat inzwischen eine große Studie ergeben. Wenn es also um mehr gehen soll als um die Normalisierung eines Laborwertes (erhöhter Blutzucker), benötigt man andere Ansätze.
Ganz sicher effektiv ist die Senkung erhöhter Blutdruckwerte in einen Bereich unter 140/90 mm Hg. Das ist wissenschaftlich gesichert. Daneben steht die Steigerung der regelmäßigen körperlichen Aktivität ganz im Vordergrund. Wir wissen jetzt auch, welches Ausmaß die Bewegungssteigerung haben sollte, damit messbare gesundheitliche Effekte zu erwarten sind.
In einer aktuellen wissenschaftlichen Studie mit über 9.000 Teilnehmern, die eine gestörte Glukosetoleranz (Diabetes-Vorstufe) hatten und zusätzlich ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen, wurde mittels Schrittzähler die körperliche Aktivität zu Studienbeginn und nach 12 Monaten erfasst.
Das Ergebnis nach 6 Jahren Beobachtung: Das Risiko für einen tödlichen oder nichttödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall reduzierte sich pro 2.000 Schritte (etwa 20 Minuten moderates Gehen) täglich um 10 Prozent (NAVIGATOR-Studie). Dieses Ergebnis war unabhängig vom Körpergewicht und von anderen denkbaren Einflussfaktoren.
Daraus folgt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes unbedingt körperlich aktiv sein bzw. werden sollen. Basis ist eine moderate Ausdauerbelastung. 150 Minuten zügiges Gehen pro Woche oder 20 Minuten täglich sind effektiv. Wer einen Schrittzähler benutzt, kann das auch in Schritten messen: 2 000 Schritte täglich mehr als bisher ist die Vorgabe. Wer mehr schafft – umso besser!
Natürlich sind andere Aktivitäten ebenso gewünscht: Jogging, Radfahren, Nordic Walking, Tanzen, Teilnahme an einer Diabetes-Sportgruppe und vieles mehr. Auch und gerade für Menschen mit Typ-2-Diabetes ist ein zusätzliches Krafttraining (2- bis 3-mal pro Woche) unter fachkundiger Anleitung ganz besonders sinnvoll.
In diesem Zusammenhang ist es besonders wichtig, dass es inzwischen spezielle Gesundheitsstudios gibt – zertifiziert von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und dem TÜV Rheinland.
von Dr. Wolf-Rüdiger Klare
Internist/Diabetologe, Chefarzt Klinik für Innere Medizin am Hegau-Bodensee-Klinikum Radolfzell
Kontakt:
Hausherrenstr. 12, 78315 Radolfzell, wolf-ruediger.klare@hbh-kliniken.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (8) Seite 18-21
5 Minuten
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