- Bewegung
Marathon: Macht der Motivation
4 Minuten
Kirchheim-Manager Hanno Schorlemmer motiviert Kirchheim-Autor Hans Lauber zum Training für den Halbmarathon in Mainz. Sogar beim Lauf wirkt der Motivationsschub – nur beim Start gibt es ein Problem.
„Wo ist die Treppe?“ frage ich kürzlich in einem Münchner Hotel. „Treppe? Das Zimmer liegt im 6. Stock“, entgegnet mir fassungslos der Mann an der Rezeption. Kopfschüttelnd zeigt er mir dann doch den hinter dem Lift versteckten Zugang. Ja, in den Alltag integrierte Bewegung gilt immer noch als etwas Exotisches. Aber ich bin erpicht auf jede sich bietende Laufeinheit. Denn plötzlich hat mich nach langer Zeit wieder das Lauffieber gepackt. Ganz eingeschlafen ist es nie, schließlich laufe ich jede Woche mindestens vier- bis fünfmal eine runde halbe Stunde.
Geweckt hat den Ehrgeiz nach der langen Distanz Hanno Schorlemmer, der mich seit 15 Jahren bei meinen publizistischen Aktivitäten im Verlag begleitet, mit dem ich sieben Bücher verlegt habe. „Am 22. Mai laufe ich in Mainz wieder den Halbmarathon“, erzählte er mir – und spontan sage ich: „Da laufe ich mit!“ Zwar hatte ich mir nach acht langen Läufen, Marathons in Basel, Berlin, Köln, London, New York und Wien geschworen, nie wieder die ganz große Herausforderung zu suchen – schließlich sagen ja Orthopäden gerne: „Marathon ist die beste Vorbereitung für die künstliche Hüfte“, was Sportwissenschaftler vehement bestreiten. Auch warnt der Dortmunder Nierenspezialist Dr. Kai Hahn davor, dass extreme Läufe den Harnsäurespiegel erhöhen können.
Trotzdem, schon lange habe ich geliebäugelt, mal wieder über eine Stunde – und damit über 10 Kilometer zu laufen, schließlich beflügelt bei mir nichts stärker den Geist als der lange Lauf – nur mein Schweinehund flüsterte mir immer wieder eine Ausrede ins Ohr. Aber jetzt, versprochen ist versprochen – und ran ans Training. Motiviert wie selten steigere ich kontinuierlich die Zeiten, schon nach wenigen Wochen bin ich wieder bei über 60 Minuten – und eines morgens bei besten Wetterbedingungen sind es plötzlich über 90 Minuten. Da weiß ich: „Mainz kann kommen, ich packe es!“ Aber Mainz kommt nicht, stelle ich tief enttäuscht fest, als ich mich registrieren lassen will. „Anmeldefrist überschritten“, heißt es – und das, obwohl es noch knapp vier Wochen bis zum Lauf sind. „Sture Sportbürokraten“, schimpfe ich. Aber alles Zetern hilft nichts, verpasst ist verpasst.
22. Mai 2016: Mein privater Halbmarathon
Was tun, Aufgeben? Das ist nicht meine Art. „Wenn die mich nicht wollen, dann laufe ich eben meinen privaten Marathon“ – und lege keck den 22. Mai fest, vier Tage vor dem „richtigen“ Marathon. Es ist ein perfekter Lauftag: Um die 15 Grad, bedeckt, kein Regen. Etwas nervös bin ich wie früher, hatte nicht besonders gut geschlafen. Aber all das ist wie weggeblasen, als ich mir mit einem „Los geht´s“ Punkt 9 Uhr den persönlichen Startschuss gebe. Beschwingt trabe ich an den Rhein, überquere bald die südliche Rheinbrücke – um dann auf eine riesige Wiese abzubiegen. Eine grüne Idylle mit ungepflasterten Wegen, schönen Blumen, kleinen Sträuchern, freundlichen Spaziergängern – eine die Seele streichelnde Strecke. Ganz anders als das harte Pflaster der meisten Marathons, aber da laufen ja auch viel mehr Leute.

Über eine Stunde jogge ich kreuz und quer, grüße wortreich, um mich zu versichern, dass ich noch im optimalen, im Sprechtempo laufe, sodass der Körper genügend Sauerstoff bekommt, „aerober Bereich“, nennen das die Sportwissenschaftler. Nachdem ich einen kräftigen Schluck aus der im Gebüsch versteckten Wasserflasche genommen habe, geht´s zurück an den Rhein. Eine knappe Stunde ist noch zu laufen, da kommt wie angeflogen der Durchhänger, werden die Beine schwer, klopft der Schweinehund mit „Was soll das?“.
Da motiviere ich mich damit, dass ich unbedingt eine Motivationsmail nach Mainz schicken will: „Halbmarathon geschafft“. Also weiter, bald verfliegt die Schwächephase, bewusst noch eine Extrarunde eingelegt, damit ich deutlich über die 2 Stunden komme. Bei meinem Tempo bin ich dann auf jeden Fall bei über 21 Kilometern, der Strecke eines Halbmarathons. Jetzt rauf auf die von Eisenbahnen befahrene Südbrücke, mit der kleinen Kamera noch ein Foto vor typischem Kölner Panorama gemacht – sehe doch etwas geschafft aus, aber was macht das? Ganz leichten Schrittes jogge ich die letzten Meter nach Hause, wo ich feststelle, dass ich den eingepackten kleinen Proviant nicht gebraucht habe.

Glücklich und zufrieden sitze ich auf dem Balkon, messe nach einiger Zeit den Blutzucker, der vor dem Lauf bei 108 mg/dl lag. Gemäß offizieller Diabetes-Doktrin müsste er gesunken sein. Ist er aber nicht, er liegt bei 122 mg/dl. Lachen muss ich darüber, wie der Körper nicht immer nach den Lehrmeinungen tickt – und schreibe dieses Ergebnis leichten Herzens einer sportlichen Diabetikerin, die das Phänomen bei sich auch beobachtet und mich um Rat fragt.
Dann gehe ich zum Rechner und schicke die Mail nach Mainz: „Halbmarathon geschafft!“
Besiegt das Hitzemonster: Hanno Schorlemmer
Ich habe es geschafft – aber was macht Hanno Schorlemmer? Der schickt am Vorabend eine SMS: „Anspannung steigt“ – und Sonntag morgens um 6 Uhr 53: „Es wird heiß heute – aber ich bin cool“. Hoffentlich packt er’s, denke ich – und mir fällt mein London-Marathon von 2002 ein: Da war’s zwar nicht sonderlich heiß, aber einige Meilen vor dem Ziel ein Ziehen in der Leistengegend, ich kann kaum noch laufen, will aufhören. Da fragen mich die Zuschauer nach meinem Namen: „Jack from Germany“. Gut, dass die Engländer Deutsche mögen: „You make it“, rufen sie, der Bobby klatscht mich ab, mit letzter Kraft hinke ich ins Ziel. Geschafft, weil ich es schaffen wollte, die Macht der Motivation, sie hilft auch beim eigentlichen Lauf.
Die Motivationsmacht hat mir geholfen – und sie hilft auch Hanno Schorlemmer. Denn als endlich um 15:26 Uhr die SMS kommt, schreibt er: „Es war eine Hitzeschlacht, ich war vor dem Einbruch – aber ich habe es geschafft! Die Zeit ist indiskutabel, aber ist völlig egal“.
Die ist wirklich egal. Gratulation! Nächstes Jahr laufen wir zusammen, versprochen!

von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
Website: www.lauber-methode.de
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 3 Tagen, 17 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 4 Tagen, 15 Stunden
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 4 Tagen, 14 Stunden
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike