- Behandlung
Sicher Sport treiben mit Typ-1-Diabetes: Das „Insulin on Board“ muss stimmen
4 Minuten
Knapp 100 Jahre ist es her, dass der britische Wissenschaftler Dr. R. D. Lawrence in der Fachzeitschrift „The British Medical Journal“ erstmals den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Insulinwirkung beschrieben hat. Entscheidend für einen sicheren Sport mit Typ-1-Diabetes ist damals wie heute, dass das „Insulin on Board“ stimmt.
Die Regulation der Glukosewerte erfolgt in erster Linie über die Hormone Insulin und seinen Gegenspieler Glukagon. Zudem können Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol die Glukoseproduktion ankurbeln und so dem Insulin entgegenwirken. Ferner sorgt Bewegung, bei der Muskeln sich zusammenziehen (Muskelkontraktionen), dafür, dass Glukose auch über einen von Insulin unabhängigen Signalweg in die Muskelzellen aufgenommen werden kann.
Mehr als 40 Faktoren nehmen Einfluss auf die Stoffwechsel-Regulation beim Sport. Ohne ein entsprechendes Anpassen der Insulindosen oder zusätzliche Zufuhr von Kohlenhydraten steigt das Risiko für Unterzuckerungen. Liegt ein Mangel an Insulin vor, z. B. durch Weglassen von Insulin-Injektionen, steigt die Gefahr, dass die Glukosewerte stark ansteigen und der Körper übersäuert, also sich eine Ketoazidose entwickelt.
Insulin bei Sport
- Zahlreiche Einflussfaktoren bestimmen den Glukosestoffwechsel beim Sport.
- Das Insulin on Board (IOB) ist ein entscheidender Faktor für die Glukoseverläufe beim Sport.
- Das aktive Insulin (IOB) sollte in der Regel so gering wie möglich gehalten werden.
Wichtig ist das noch aktive Insulin im Körper
Die komplexen Stoffwechsel-Prozesse lassen unschwer erkennen, wie hoch die Herausforderungen für ein bedarfsgerechtes Anpassen der Insulingabe und Nahrungszufuhr für Sportlerinnen und Sportler mit Typ-1-Diabetes sind.
Das weiß auch Ivo Rettig. Der 35-jährige sportbegeisterte Diabetes-Coach (dialectics.com) lebt seit seinem 13. Lebensjahr mit Typ-1-Diabetes. Ob Fun-, Extrem-, Breiten- oder Leistungssport – Ivo Rettig hat Freude an einer Vielzahl von Sportarten und ist praktisch immer in Bewegung. Aktuell hilft ihm dabei sein System zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-System), eine Kombination von kontinuierlichem Glukose-Messen (CGM) und Insulinpumpe.
„Egal ob Spritzen- oder Pumpentherapie, die Menge an aktivem Insulin im Körper – soweit ich das beeinflussen kann – ist je nach geplanter Sportart entscheidend“, berichtet Ivo. Das restliche wirkende Insulin – auf Englisch das Insulin on Board (IOB) – ist unbestritten ein entscheidender Faktor für die Stoffwechsel-Kontrolle beim Sport.
Insulin on Board richtig erfassen
Schnell wirkendes Insulin beginnt in der Regel innerhalb von etwa 15 Minuten zu wirken, braucht eine bis zwei Stunden, um seinen Wirk-Höhepunkt zu erreichen, und wirkt dann zwei bis vier Stunden lang. Unterschiedliche Diabetes-Apps mit integrierten Bolusrechnern können dabei unterstützen, das Insulin on Board zu ermitteln.
Insulinpumpen verfügen in der Regel automatisch über eine IOB-Funktion, mit der die Pumpe das im Körper verbleibende Insulin aus kürzlich verabreichten Insulingaben (Boli) berechnen kann. Gleiches gilt für die unterschiedlichen AID-Systeme. Die Berechnung und Anzeige des IOB hängt jedoch vom verwendeten AID-System und verschiedenen Benutzer-Einstellungen ab.
Wie hoch soll das Insulin on Board beim Sport sein?
Angesichts großer individueller Unterschiede im Insulinbedarf und der zahlreichen Einflussfaktoren auf den Insulinbedarf (siehe folgenden Kasten) lassen sich keine allgemeingültigen Zielwerte für das aktive Insulin angeben. Als Grundregel gilt, das aktive Insulin (IOB) in der Regel so gering wie möglich zu halten. Dies gilt insbesondere für Ausdauer-Sportarten wie Nordic Walking, Joggen, Radfahren oder Schwimmen, denn bei diesen Sportarten ist während der Aktivität mit einem Abfall der Glukosewerte zu rechnen.
Einflussfaktoren auf die Glukoseverläufe beim Sport
- Insulin on Board (IOB)
- Sportart, Dauer und Intensität der Belastung
- Diabetesdauer
- Insulinresistenz
- Trainings-Status
- Diabetestherapie
- letzte Nahrungsaufnahme
- Körperstatus
- Geschlecht
- Menstruationszyklus
- Tageszeitpunkt
- Umwelt-Bedingungen
- emotionale Situation
Spritzentherapie, Insulinpumpentherapie oder die Nutzung eines AID-Systems machen ganz unterschiedliche Strategien erforderlich, das aktive Insulin beim Ausdauersport optimal zu kontrollieren (siehe Tabelle 1).
Tab. 1: Strategien, das aktive Insulin beim Ausdauersport gering zu halten |
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| intensivierte Insulintherapie (ICT) mit Spritze/Insulinpen | Reduktion des Basalinsulins um etwa 20 Prozent* | Reduktion des Bolusinsulins um 25 – 75 Prozent | Durchführung der üblichen Basal- und Bolus-Insulingaben, Verzehr zusätzlicher Kohlenhydrate je nach Glukosewert und individuellem Ansprechen |
| Insulinpumpen-Therapie | Reduktion der Basalrate um 50 – 80 Prozent bereits 90 – 120 Minuten vor dem Sport | Reduktion des Bolusinsulins um 25 – 75 Prozent | Reduktion der Basalrate um 50 – 80 Prozent bereits 90 – 120 Minuten vor dem Sport oder Unterbrechung der Insulin-Abgabe bei Sportbeginn |
| automatisierte Insulin-Dosierung (AID-System) | Bewegungs-/Sportmodus bereits 90 – 120 Minuten vor dem Sport einschalten | Reduktion des Bolusinsulins um 25 – 75 Prozent und körperliche Aktivität bereits mit der Mahlzeit ankündigen | Bewegungs-/Sportmodus bereits 90 – 120 Minuten vor dem Sport einschalten |
*Empfehlungen gelten nur begrenzt für lang und ultralang wirksame Insulinanaloga
130 Kilometer, 7000 Meter hoch und 7400 Meter runter mit vollgepacktem Rucksack: Ivo Rettig hat bei seiner Überquerung der Alpen in sechs Tagen im Sommer 2023 den Einfluss von Ausdauer-Belastungen auf den Glukose-Stoffwechsel zu spüren bekommen. Obwohl er darauf geachtet hatte, das aktive Insulin (IOB) niedrig zu halten, schmolzen seine Glukose-Vorräte rasch dahin.
Ganz anders verhält es sich zum Beispiel bei hochintensivem Intervalltraining (HIIT). HIIT ist ein Trainingsansatz, bei dem sich hochintensive Phasen mit kurzen Ruhephasen abwechseln. Weil bei dieser Art des Trainings die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol ausgeschüttet werden, die alle Gegenspieler des Insulins sind, kommt es hierbei nicht selten zu einem Anstieg der Glukosewerte. Hier darf das IOB nicht maximal gesenkt werden. Daher ist sinnvoll, anders als vor geplanten Ausdauer-Aktivitäten, vor dem HIIT die Insulingaben nicht oder nur wenig zu reduzieren.
Eine allgemeine Orientierung bietet folgende Abbildung:
Abb. 1: Glukosetrends bei unterschiedlichen Belastungen (nach Michael C. Riddell, 2022)

Je nach Art der körperlichen Aktivität können die Glukosewerte eher fallen oder eher steigen. Bei manchen Sportarten kann beides, auch phasenweise, geschehen.
„Beim Beachvolleyball ist wieder alles anders“, schmunzelt Ivo. Bei Mannschafts-Sportarten findet man häufig steigende wie auch fallende Glukosewerte. Auch hier hält Ivo sein IOB bedarfsgerecht eher nicht so niedrig wie beim Ausdauersport.
Fazit
Das Insulin on Board (IOB) ist einer der wichtigsten Faktoren in der Therapie des Typ-1-Diabetes. Dies gilt insbesondere bei der Planung körperlicher Aktivitäten mit ganz unterschiedlich zu erwartenden Glukose-Verläufen. Das optimale IOB zu finden, ist nicht immer leicht. Mit guten Diabetes-Kenntnissen, einer immer besser werdenden Diabetes-Technologie, viel Körpergefühl und manchmal auch etwas Fantasie gelingt es aber, Sport mit Typ-1-Diabetes unbeschwert genießen zu können.
Schwerpunkt: „Sport mit Typ-1-Diabetes – eine 180-Grad-Wende zum Positiven“
- Worauf beim Start zu achten ist: Richtig durchstarten beim Sport mit Typ-1-Diabetes
- Sicher Sport treiben mit Typ-1-Diabetes: Das „Insulin on Board“ muss stimmen
- Mit guter Vorbereitung möglich: Intensiver Sport mit Typ-1-Diabetes
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (5) Seite 13-15
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 3 Tagen, 5 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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mayhe antwortete vor 3 Tagen, 4 Stunden
Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 2 Tagen, 10 Stunden
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 2 Tagen, 4 Stunden
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike
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stephanie-haack postete ein Update vor 4 Tagen, 3 Stunden
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 4 Tagen, 2 Stunden
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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