- Diabetes-Grundwissen
Wenn alle Menschen Diabetes hätten…
3 Minuten
Schon aus beruflichen Gründen lese ich ja sehr viel zum Thema Diabetes. Täglich bekomme ich News und Trends auf den Tisch, was sehr interessant ist und mich auch in meiner Arbeit weiterbringt. In den letzten Tagen waren allerdings ein paar Meldungen darunter, die mich wirklich nachdenklich gemacht haben.
Da ist zum einen die Meldung, dass inzwischen 12% aller erwachsenen US-Amerikaner einen Diabetes haben und weitere 38% einen Prädiabetes, also die Vorstufe. Man muss dazu sagen, dass nicht alle Menschen mit Prädiabetes auch tatsächlich einmal Diabetiker werden, aber die Chance ist hoch.
Das bedeutet, dass die Hälfte aller erwachsenen US-Amerikaner entweder einen Diabetes hat oder mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens einen bekommen wird. Ist das krass? Ich finde schon. Aus meiner Sicht wäre das glatt eine reißerische Titelseite in der Zeitung mit den großen Buchstaben wert (auch wenn kaum jemand zugibt, sie zu lesen).
Ein Blutzucker-Messgerät auf jedem Esstisch?
Wenn ich das lese, höre ich auf, uns Diabetiker als Minderheit zu betrachten, und frage mich, wie eine Welt aussähe, in der Diabetes einfach zum Leben dazugehört und nichts „Besonderes“ mehr ist. Wäre dann Insulin im Lieferumfang jedes Mittagsmenüs enthalten? Läge ein Blutzucker-Messgerät auf jedem Esstisch?
Weiter ging es mit der Meldung, dass die Freie Waldorfschule Dinslaken einem kleinen Mädchen die Aufnahme verweigerte, weil die Schulleitung sich außer Stande sieht, eine optimale medizinische Betreuung zu gewährleisten. Natürlich sorgt diese Schlagzeile zunächst für Unverständnis, fairerweise müsste man für eine Bewertung tiefer in die beiderseitige Argumentation einsteigen. Darum geht es hier aber gar nicht – vielmehr frage ich mich, wie die Welt aussehen wird, wenn auch das Wachstum der Diabetesquote bei Kindern so weitergeht wie prognostiziert? Wir wissen heute, dass auch immer mehr junge Menschen an Typ-2-Diabetes erkranken, ganz abgesehen von den Kindern, die schon in jüngsten Jahren den Typ-1-Diabetes an die Backe bekommen haben.
Diabetes als Schulfach?
Hätte dann endlich jedes diabetische Kind ein Recht auf eine geschulte Betreuung? Würden dann an jeder Kita und jeder Schule ausgebildete Diabetes-Experten arbeiten, so alltäglich, wie es inzwischen ein Recht auf einen Kita-Platz für jedes Kind ab dem ersten Geburtstag gibt? Oder würde sich jeder ohnehin so gut mit Diabetes auskennen, dass das kein Problem mehr wäre, da sowieso jeder Mensch schon in der Grundschule ein Jahr lang das Schulfach Diabetologie belegen müsste?
Das klingt alles so weit hergeholt, aber Fakt ist, dass Diabetes sich in unserer Zivilisation immer mehr ausbreitet und damit zwangsläufig auch immer mehr zum Alltagsthema wird. Bei meinen Vorträgen frage ich gerne das Publikum, wer schon einmal in irgendeiner Form Kontakt mit dem Thema hatte. Es melden sich eigentlich immer fast alle.
Und dann stellt sich mir automatisch die Frage, ob die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden schneller ginge, wenn es mehr von uns gäbe. Die Behauptung, dass viele neue Ideen nicht umgesetzt werden, weil an den bestehenden Methoden so gut verdient wird, lässt sich nur schwer widerlegen. Fakt ist, dass wir seit Jahren vom „Closed Loop“ sprechen, von neuen Blutzucker-Messmethoden und der Abkehr vom täglichen Piks. Und was passiert? Wir haben inzwischen das FreeStyle Libre, der Hersteller kommt mit der Produktion kaum nach und die Diabetes-Welt schreit nach bezahlbaren CGMs und besseren Pumpen. Aber während Computer rasant schneller, kleiner, leichter und billiger werden, tut sich auf dem Sektor Diabetes herzlich wenig. Ein Schelm, wer Böses unterstellt.
Wäre es eventuell gut für uns, wenn es mehr von uns gäbe?
In diesem Moment flattert noch so eine Schlagzeile in mein Postfach: Der sechsjährige Sohn von Fußballer Arturo Vidal, seines Zeichens Typ-1-Diabetiker, unterzieht sich in Italien einer „neuartigen“ Behandlung. Zu Deutsch: Er bekommt eine künstliche Bauchspeicheldrüse. Mehrere Diabetes-Zentren in Italien arbeiten zusammen, um das Thema voranzutreiben. Das ist eine tolle Meldung, die zeigt, dass sich etwas tut, dass man sich Gedanken macht und dass es sich lohnt, die Hoffnung nicht aufzugeben.
Wenn es mehr von uns gäbe, würden dann künstliche Bauchspeicheldrüsen so alltäglich eingepflanzt wie Knie- und Hüftgelenke? Wären solche Behandlungen dann Kassenleistung ohne Diskussion und aufwändige Tagebücher? Und wüssten dann viel mehr Menschen, dass Typ-1-Diabetiker alles essen dürfen?
Man mag diese Fragen für unmoralisch halten. Und ich möchte ganz klarstellen, dass ich sicherlich keinem Menschen den Diabetes wünsche. Aber in einer Welt, in der Diabetes immer alltäglicher wird, in der wir aber nach wie vor (oder mehr denn je) darum kämpfen müssen, die nötigen Hilfsmittel und die entsprechende Anerkennung zu bekommen, muss es auch erlaubt sein, einfach mal weiter zu denken und sich so seine Gedanken zu machen. Oder etwa nicht?
Hier kommt ihr zum nächsten Teil von Christians „Motivation monatlich“: Einstellungssache: Diabetes und Bewusstsein
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche, 1 Tag
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 2 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen, 3 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike