AID-Systeme – was gibt es und für wen?

4 Minuten

AID-Systeme – was gibt es und für wen?

AID – automatische Insulindosierung: Seit Ende 2019 besteht auch in Deutschland die Möglichkeit für Menschen mit Diabetes, auf zertifizierte Systeme von Unternehmen zurückgreifen zu können. Die AID-Systeme sind eine Kombination aus Insulinpumpe, Glukosesensor und einer Steuerungseinheit, die gemeinsam einen Teil der Insulintherapie automatisieren können.

Die heute verfügbaren AID-Systeme sind „Hybrid-Closed-Loop“-Systeme: Hierbei muss weiterhin vor dem Essen ein Insulinbolus durch die Nutzer abgegeben werden. Grund ist, dass das ins Unterhautfettgewebe gespritzte Insulin erst daraus ins Blut aufgenommen werden muss, damit es wirken kann.

Je nach Hersteller sind die Systeme unterschiedlich aufgebaut. Es gibt Systeme, bei denen das Rechensystem zum Ermitteln der Insulinabgabe auf einem Handgerät untergebracht ist, wie bei den Systemen CamAPS FX, das von der Universität Cambridge entwickelt wurde, und DBLG1 des Unternehmens Diabeloop. Das Handgerät muss zwar immer in der Bluetooth-Reichweite von Pumpe und Sensor sein, das Ablesen der Werte und die Insulinabgabe zum Essen funktionieren aber ganz einfach per Fernsteuerung.

Abb. 1: Bei diesem 17-Jährigen steuert das System MiniMed 780G teilautomatisch die ­Insulinabgabe.

Die Geräte von Tandem und Medtronic haben den Computer in die Insulinpumpe eingebaut. Die Sensorwerte werden auf der Pumpe angezeigt, können aber auch auf ein Smartphone in der Nähe übertragen werden. Für die Abgabe von Mahlzeiteninsulin ist das Herausnehmen der Pumpe notwendig, ein Extra-Gerät ist aber keine Voraussetzung.

Abb. 2: So kann ein Schultag eines Achtjährigen aussehen, der sich allein um seine Dia­betes-Therapie kümmert und die Pumpe t:slim von Tandem mit Control-IQ verwendet.

Wichtig ist, eine individuell passende Wahl zu treffen. Interessierte sollten sich im Vorfeld gut informieren – bei den Unternehmen, unabhängigen Anbietern von Diabetestechnologie, YouTube oder Menschen, die es bereits nutzen. Natürlich sollte man auch mit dem eigenen Diabetes-Team darüber sprechen. Wichtig ist hier, dass das Team sich mit den Systemen auskennt und die notwendigen Kenntnisse für die Schulung, das Auslesen der Systeme und das Ziehen der richtigen Schlüsse für die Beratung besitzt. Die Entscheidung, welches System es wird, sollte dann gemeinsam getroffen werden.

Steuerung der Mahlzeiten komplett ­automatisierbar?

Immer wieder wird von Experten beobachtet, dass insbesondere Jugendliche über mehrere Tage nur Mahlzeiten mit geringen Mengen an Kohlenhydraten zu sich nehmen, dafür mit einem höheren Eiweißanteil, und häufiger etwas essen. Auch wenn dieses nicht die empfohlene Ernährung ist: So lassen sich Glukoseverläufe mit viel Zeit im Zielbereich erzielen. Auch wenn es ebenfalls nicht empfohlen wird, bleibt natürlich der nachvollziehbare Wunsch, dass im Sinne einer echten „künstlichen Bauchspeicheldrüse“ auch das Mahlzeiteninsulin über so ein System gesteuert wird.

Neben einem besseren Erkennen des Sensors von ansteigenden Werten gibt es aber natürlich auch andere Ideen. Im Inselspital in Bern wird probiert, mithilfe einer Handykamera und eines standardisierten Fotos die Kohlenhydrate in einer Mahlzeit zu berechnen, um so die richtige Insulindosis zu ermitteln. Andere Ideen sind die Integration von Bewegungssensoren wie Sportarmbänder. Marktreife Ideen gibt es hier bisher nicht.

Kein absoluter Schutz vor Unterzuckerungen

Natürlich kann auch ein automatisches System nicht garantieren, dass es nicht zu Unterzuckerungen kommt. Denn der Gegenspieler Glukagon, das den Blutzucker wieder ansteigen lässt, wird nicht auch automatisch bei Bedarf abgegeben, wie es die körpereigene Bauchspeicheldrüse bei Gesunden tut. Aber in der Entwicklung befindet sich z. B. die Pumpe iLet, die nicht nur Insulin, sondern auch Glukagon abgeben kann.

Wer kann und sollte was bekommen?

Neue internationale Leitlinien empfehlen AID-Systeme jetzt für alle Menschen mit Typ-1-­Diabetes als die optimale Therapie­option. Im Moment ist das Alter ein begrenzender Faktor für die Geräte. Während bei Erwachsenen alle in Deutschland erhältlichen Pumpen verordnet werden können, sind die Geräte des Unternehmens Medtronic erst ab 7 Jahren und die des Unternehmens Tandem ab 6 Jahren für den Einsatz bestimmt.

Das System CamAPS an sich ist für Kinder ab 1 Jahr geeignet, der Sensor Dexcom G6, mit dem das Gerät arbeiten muss, aber erst ab 2 Jahren. Weitere Faktoren wie die tägliche Insulindosis können hier weiter einschränken. Außerdem ist die technische Entwicklung viel schneller als Entscheidungen bei Behörden und Krankenkassen. Daher kann ­CamAPS FX derzeit nur Versicherten einer privaten Krankenversicherung verordnet werden. Da es sich um eine App handelt, kann diese natürlich auch selbst bezahlt werden, allerdings ist der Preis sicherlich nicht für jeden tragbar.

Freie Wahl des Systems für Jugendliche

Größere Kinder und Jugendliche können derzeit zwischen den Systemen von Medtronic und Tandem wählen. Dass beide Systeme in der Lage sind, bei korrekter Anwendung hervorragende und bei nicht ganz korrekter Anwendung immer noch eine sehr gute Therapieunterstützung zu bieten und Kinder und Jugendliche wirklich im Alltag und in der Therapieführung zu entlasten, wurde in internationalen Studien gezeigt. Dieses konnte aber auch in Deutschland schon überall dort nachvollzogen werden, wo die Systeme bereits angewendet werden. Die Nächte sind mit diesen Systemen kein Problem mehr: Sie bekommen tolle Nächte ohne hohe Werte oder Unterzuckerungen hin. Die Grundzüge einer Insulinpumpentherapie darf man natürlich trotzdem nicht vergessen!

Für Kleinstkinder bisher kaum Systeme

Und was ist mit den ganz kleinen Kindern? Es bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft auch kleine Kinder mit einem solchen Gerät versorgt werden können. Hierzu sind verschiedene „Player“ gefragt: Die Unternehmen müssen dafür sorgen, dass ihre Produkte auch bei kleinen Kindern getestet sind, damit eine CE-Kennzeichnung, die den Einsatz in der EU ermöglicht, vergeben werden kann. Für die Systeme Mini­Med 670G und 770G des Unternehmens Med­tronic sollte es das geringste Problem sein, denn diese sind in den USA für Kinder ab 2 Jahren zugelassen, das neueste Modell MiniMed 780G allerdings erst ab 7 Jahren.

Auch für das System Control-IQ des Unternehmens Tandem gibt es schon Studiendaten bei Kleinkindern. CamAPS FX hat ein CE-Kennzeichen und kann auch regelhaft bei Kindern ab einem Alter von 2 Jahren eingesetzt werden, wird aber eben in Deutschland noch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Der andere Player ist der Gemeinsame Bundesausschuss, der u. a. darüber entscheidet, welche Geräte in Deutschland von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden.


von PD Dr. med. Torben Biester

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (1) Seite 24-25

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Diagnose Typ-1-Diabetes: Das Leben neu sortiert

Diagnose Typ-1-Diabetes: Das Leben neu sortiert | Foto: privat

9 Minuten

Exzellent versorgt: tk pharma trade – Kompetenz für Menschen mit Diabetes

Seit über 30 Jahren ist tk pharma trade Partner für moderne Diabetesversorgung. Mit innovativen Lösungen, persönlicher Beratung und regionaler Nähe begleiten wir Menschen mit Diabetes zuverlässig – und setzen gleichzeitig auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Service-Innovationen.

2 Minuten

Anzeige

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche

    hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • mayhe antwortete vor 1 Woche

      Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • sveastine antwortete vor 1 Woche

      @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

Verbände