Nachgefragt | Recht: Was soll ein Lehrer bei einer Unterzuckerung tun?

3 Minuten

Nachgefragt | Recht: Was soll ein Lehrer bei einer Unterzuckerung tun?

Sie haben rechtliche oder soziale Fragen bezüglich Kindern und Jugendlichen mit Diabetes? Unser Rechts-Experte Oliver Ebert gibt Ihnen in der Diabetes-Eltern-Journal-Rubrik Nachgefragt Antwort.

Die Frage

Meine Tochter Lea (7 Jahre) kommt bislang gut mit ihrem Diabetes zurecht und es gab noch keine Probleme. Bei der letzten Klassenkonferenz wurde aber das Thema “Unterzuckerung” angesprochen: Einige Lehrer haben Angst, dass sie im Notfall Glukagon spritzen und dann haften, wenn dabei etwas falsch gemacht wird. Ein Lehrer hat sogar schon angekündigt, dass er nur den Notarzt rufen werde, er aber auf keinen Fall die Glukagonspritze geben würde.

Wie sieht es denn nun rechtlich aus – müssen Lehrer wirklich befürchten, dass sie im Zweifel rechtlich belangt werden, wenn im Notfall etwas schiefgeht? Und darf ein Lehrer sich auf das Herbeirufen des Notarztes beschränken bzw. das Verabreichen der Glukagonspritze verweigern?

Claudia P.

Die Antwort von Oliver Ebert

Grundsätzlich gilt: Jeder ist verpflichtet, im Notfall und bei Gefahr nach bestem Wissen und mit bestmöglicher Anstrengung Hilfe zu leisten. Wird eine zumutbare Hilfeleistung ohne triftigen Grund verweigert, dann droht eine Strafbarkeit gem. § 323c Strafgesetzbuch (“unterlassene Hilfeleistung”). Auch in der Schule gibt es hierzu selbstverständlich keine Ausnahme: Wenn ein Kind mit Diabetes erkennbar medizinische Notfallhilfe benötigt, dann müssen auch Lehrer die erforderlichen Maßnahmen leisten.

§ 323c Strafgesetzbuch

Unterlassene Hilfeleistung
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Ängste vor einer etwaigen Haftung sind hierbei unbegründet: Sofern die Hilfeleistung nämlich mit bester Anstrengung erfolgt, muss der Lehrer weder strafrechtliche noch zivilrechtliche Konsequenzen befürchten – selbst wenn er dabei versehentlich oder aus Unkenntnis etwas falsch macht.

Einweisung über Risiken und Behandlung von Unterzuckerungen

In der AGPD-Leitlinie zur Kinderdiabetologie wird ausgeführt, dass Eltern bzw. andere primäre Betreuungspersonen in der Anwendung der Glukagonspritze bzw. weiterer Sofortmaßnahmen bei Unterzuckerung unterwiesen werden sollen. Glukagon sollte für alle Eltern und Sorgeberechtigten (z. B. beim Sport) jederzeit verfügbar sein, vor allem dann, wenn ein hohes Risiko für Hypoglykämien besteht, beispielsweise bei rezidivierend aufgetretenen Hypoglykämien. Demgegenüber sollen Betreuerinnen, z. B. in Kindergärten, Kindertagesstätten, und Lehrkräfte in Schulen ebenfalls eine Einweisung über die Risiken und Behandlungsmöglichkeiten der Unterzuckerung erhalten.

Eine grundsätzliche Verfügbarkeit von Glukagon in der Schule oder auf Klassenreisen wird aber nicht empfohlen, weil zur Gabe eine Schulung in der Anwendung von Glukagon (wann geben?, wie viel?, wohin spritzen?) erforderlich ist. Es ist in der Regel nicht praktikabel, das Schulpersonal in der Glukagongabe umfassend zu schulen. Auch erscheint die mögliche Verunsicherung des Betreuungspersonals durch die Glukagonthematik hinsichtlich der Integration der Kinder mit Diabetes in den Schulalltag nicht zielführend.

Notwendige Hilfe muss geleistet werden

Zum Glück kommt in unseren Breitengraden der Notarzt ja tatsächlich sehr schnell. Die intravenöse Gabe einer Zuckerlösung durch den Notarzt wirkt auch viel schneller als Glukagon, sodass das Rufen des Notarztes wahrscheinlich effektiver ist als der Umgang mit der Glukagonspritze durch einen ungeübten Lehrer.

Grundsätzlich aber gilt: Wenn der Lehrer erkennt (oder mit einer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen muss), dass eine schwere Unterzuckerung vorliegt, dann hat er die in seinen Möglichkeiten stehende notwendige Hilfe zu leisten – genauso, wie jeder andere an seiner Stelle dies auch tun müsste.

Außerhalb von Notfallsituationen sind Lehrer aber nicht verpflichtet, diagnostische Maßnahmen, wie Blutzuckerkontrollen, durchzuführen oder Medikamente zu verabreichen. Allerdings ist der damit einhergehende Aufwand sehr überschaubar und wird daher auch von den meisten Lehrern unkompliziert übernommen.

Ein solches Entgegenkommen der Lehrer stellt auch sicher, dass das Kind trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung problemlos am Unterricht teilnehmen kann bzw. es zu keinen nennenswerten Störungen des Unterrichtsablaufs kommt. Eine Haftung ist auch hier nicht zu befürchten, solange im Auftrag und nach Anweisung der Eltern vorgegangen wird.


von Rechtsanwalt Oliver Ebert

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (4) Seite 28-29

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Rezept für Schoko-Kuchen mit Kidneybohnen

Rezept für Schoko-Kuchen mit Kidneybohnen | Foto: MedTriX / Bernhard und Gabi Kölsch

2 Minuten

Nachgefragt | Recht: Zweitmeinung und freie Arztwahl – so ist die rechtliche Situation

Menschen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes stehen mitunter vor weitreichenden medizinischen Entscheidungen – vor allem, wenn es um Operationen oder neue Therapien geht. In solchen Situationen sind das Recht auf eine ärztliche Zweitmeinung und die freie Arztwahl besonders wichtig. Nicht jedem ist das bekannt. Wie sieht die rechtliche Situation aus?
Nachgefragt | Recht: Zweitmeinung und freie Arztwahl – so ist die rechtliche Situation | Foto: HNFOTO – stock.adobe.com

3 Minuten

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Anzeige

Recor Medical

Das Verfahren der renalen Denervierung kann helfen, den Blutdruck effektiv zu senken.

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen